Dunkelheit ist der Schrecken des Seemanns in solchen engen Fahrwassern. Man lebt in einer beständigen nervösen Aufregung; jeder Augenblick droht Unheil und selbst bei der größten Aufmerksamkeit kann man ihm bisweilen nicht ent- gehen.
Einige Jahre zuvor schleppte ich mit dem "Kronprinz" den "Friedrich Karl" nach Portsmouth. Letzterer hatte im Belt auf einer Untiefe seine Schraube abgeschlagen und mußte zu ihrem Ersatze nach einem englischen Hafen, da wir damals noch keine eigenen Anstalten dazu besaßen. In der Nähe der Doggersbank in der Nordsee fiel Abends dichter Nebel ein, der kaum hundert Schritt weit sehen ließ. Plötzlich tauchte quer vor uns ab eine Brigg unter vollen Segeln aus dem Dunkel auf. Sie lief gegen unser Bugsirtau und zerriß dasselbe, trieb dann aber gegen den "Friedrich Karl", dessen Krahnbalken ihr beide Masten abrasirte.
Die erschreckende Zahl der Zusammenstöße giebt Zeugniß von den großen Gefahren, welche die Schiffahrt nach dieser Richtung bedrohen, und man dankt seinem Schöpfer, wenn man die engen Straßen hinter sich hat und auf dem freien Ocean schwimmt. Am andern Morgen näherten wir uns dem Ein- gange des Canals. Für tiefgehende Schiffe, wie der "Friedrich Karl", ist hier das Fahrwasser sehr schmal, kaum drei See- meilen breit; es wird durch ein Feuerschiff auf dem "Gallo- per Sand" gekennzeichnet. Es war jedoch wieder so unsichtige Witterung geworden, daß ein Ansegeln der schmalen Rinne ge- fährlich gewesen wäre, und so gebot die Vorsicht, noch einmal in das freie Wasser der Nordsee zurückzukehren und dort günstigere Umstände abzuwarten, inzwischen uns aber mit dem uns heim- suchenden Sturme abzufinden.
Erst 48 Stunden später beruhigte sich der grimme Wind- gott und gab uns einen Freipaß für die Weiterfahrt, so daß wir, statt der für Dampfschiffe üblichen drei Tage, mehr als die
Werner
Dunkelheit iſt der Schrecken des Seemanns in ſolchen engen Fahrwaſſern. Man lebt in einer beſtändigen nervöſen Aufregung; jeder Augenblick droht Unheil und ſelbſt bei der größten Aufmerkſamkeit kann man ihm bisweilen nicht ent- gehen.
Einige Jahre zuvor ſchleppte ich mit dem „Kronprinz“ den „Friedrich Karl“ nach Portsmouth. Letzterer hatte im Belt auf einer Untiefe ſeine Schraube abgeſchlagen und mußte zu ihrem Erſatze nach einem engliſchen Hafen, da wir damals noch keine eigenen Anſtalten dazu beſaßen. In der Nähe der Doggersbank in der Nordſee fiel Abends dichter Nebel ein, der kaum hundert Schritt weit ſehen ließ. Plötzlich tauchte quer vor uns ab eine Brigg unter vollen Segeln aus dem Dunkel auf. Sie lief gegen unſer Bugſirtau und zerriß daſſelbe, trieb dann aber gegen den „Friedrich Karl“, deſſen Krahnbalken ihr beide Maſten abraſirte.
Die erſchreckende Zahl der Zuſammenſtöße giebt Zeugniß von den großen Gefahren, welche die Schiffahrt nach dieſer Richtung bedrohen, und man dankt ſeinem Schöpfer, wenn man die engen Straßen hinter ſich hat und auf dem freien Ocean ſchwimmt. Am andern Morgen näherten wir uns dem Ein- gange des Canals. Für tiefgehende Schiffe, wie der „Friedrich Karl“, iſt hier das Fahrwaſſer ſehr ſchmal, kaum drei See- meilen breit; es wird durch ein Feuerſchiff auf dem „Gallo- per Sand“ gekennzeichnet. Es war jedoch wieder ſo unſichtige Witterung geworden, daß ein Anſegeln der ſchmalen Rinne ge- fährlich geweſen wäre, und ſo gebot die Vorſicht, noch einmal in das freie Waſſer der Nordſee zurückzukehren und dort günſtigere Umſtände abzuwarten, inzwiſchen uns aber mit dem uns heim- ſuchenden Sturme abzufinden.
Erſt 48 Stunden ſpäter beruhigte ſich der grimme Wind- gott und gab uns einen Freipaß für die Weiterfahrt, ſo daß wir, ſtatt der für Dampfſchiffe üblichen drei Tage, mehr als die
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Werner
Dunkelheit iſt der Schrecken des Seemanns in ſolchen
engen Fahrwaſſern. Man lebt in einer beſtändigen nervöſen
Aufregung; jeder Augenblick droht Unheil und ſelbſt bei der
größten Aufmerkſamkeit kann man ihm bisweilen nicht ent-
gehen.
Einige Jahre zuvor ſchleppte ich mit dem „Kronprinz“
den „Friedrich Karl“ nach Portsmouth. Letzterer hatte im Belt
auf einer Untiefe ſeine Schraube abgeſchlagen und mußte zu
ihrem Erſatze nach einem engliſchen Hafen, da wir damals noch
keine eigenen Anſtalten dazu beſaßen. In der Nähe der
Doggersbank in der Nordſee fiel Abends dichter Nebel ein, der
kaum hundert Schritt weit ſehen ließ. Plötzlich tauchte quer
vor uns ab eine Brigg unter vollen Segeln aus dem Dunkel
auf. Sie lief gegen unſer Bugſirtau und zerriß daſſelbe, trieb
dann aber gegen den „Friedrich Karl“, deſſen Krahnbalken ihr
beide Maſten abraſirte.
Die erſchreckende Zahl der Zuſammenſtöße giebt Zeugniß
von den großen Gefahren, welche die Schiffahrt nach dieſer
Richtung bedrohen, und man dankt ſeinem Schöpfer, wenn man
die engen Straßen hinter ſich hat und auf dem freien Ocean
ſchwimmt. Am andern Morgen näherten wir uns dem Ein-
gange des Canals. Für tiefgehende Schiffe, wie der „Friedrich
Karl“, iſt hier das Fahrwaſſer ſehr ſchmal, kaum drei See-
meilen breit; es wird durch ein Feuerſchiff auf dem „Gallo-
per Sand“ gekennzeichnet. Es war jedoch wieder ſo unſichtige
Witterung geworden, daß ein Anſegeln der ſchmalen Rinne ge-
fährlich geweſen wäre, und ſo gebot die Vorſicht, noch einmal in
das freie Waſſer der Nordſee zurückzukehren und dort günſtigere
Umſtände abzuwarten, inzwiſchen uns aber mit dem uns heim-
ſuchenden Sturme abzufinden.
Erſt 48 Stunden ſpäter beruhigte ſich der grimme Wind-
gott und gab uns einen Freipaß für die Weiterfahrt, ſo daß wir,
ſtatt der für Dampfſchiffe üblichen drei Tage, mehr als die
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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