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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Ernstes und Heiteres
Admiral," fragte Flamberg, als die Gemüther sich wieder etwas
beruhigt hatten.

"Die kennen Sie nicht? Sie lief ja damals durch alle
Zeitungen. Nun dann hören Sie; ich war Augenzeuge und
kann deshalb den Verlauf genau schildern. Die russische Flotte
war auf der Rhede von Kronstadt versammelt und der Kaiser
wollte sie besuchen, hatte sich jedoch das übliche Salutiren und
Paradiren verbeten. Sei es, daß ein Mißverständniß obwaltete,
genug, der commandirende Admiral auf dem Flaggschiffe, in
dessen Nähe wir geankert hatten, glaubte es recht gut zu machen,
wenn er den ganzen Apparat des officiellen Empfanges in Scene
setzte. Der Kaiser erblickte darin jedoch einen Ungehorsam gegen
seine Befehle und war bei seiner autokratischen Natur darüber
sehr aufgebracht. Einen Officier von niedrigerem Range hätte
er wahrscheinlich gleich zum Matrosen degradirt; hier glaubte er
jedoch etwas Rücksicht nehmen zu müssen und schickte den un-
glücklichen Admiral zur Strafe nur bis Sonnenuntergang in
den Top. Es war Morgens zehn Uhr, wir befanden uns im
Juli und die Sonne ging um zehn Uhr Abends unter.

Im ersten Augenblick wagte natürlich Niemand, eine Für-
bitte einzulegen und den Zorn des Kaisers noch mehr zu reizen,
und so sahen wir denn den alten Herrn in voller Uniform die
Wanten hinauf und in die Großmars* klettern. Langsam genug
ging es, und um die Puttingswanten herum kam er auch nicht,
dazu war er zu steif, sondern er kroch durch das Soldatenloch.
Als er eine Stunde dort gesessen, der Kaiser sich zur Abfahrt
bereit machte und sein Zorn etwas verraucht war, riskirte seine
Umgebung, ihn auf die Härte der verfügten Strafe aufmerksam
zu machen, die sonst ja nur über Kadetten verhängt wurde, und
um Erlaß zu bitten.

"Was ich befohlen, das kann ich nicht gleich wieder rück-

* Mastkorb.

Ernſtes und Heiteres
Admiral,“ fragte Flamberg, als die Gemüther ſich wieder etwas
beruhigt hatten.

„Die kennen Sie nicht? Sie lief ja damals durch alle
Zeitungen. Nun dann hören Sie; ich war Augenzeuge und
kann deshalb den Verlauf genau ſchildern. Die ruſſiſche Flotte
war auf der Rhede von Kronſtadt verſammelt und der Kaiſer
wollte ſie beſuchen, hatte ſich jedoch das übliche Salutiren und
Paradiren verbeten. Sei es, daß ein Mißverſtändniß obwaltete,
genug, der commandirende Admiral auf dem Flaggſchiffe, in
deſſen Nähe wir geankert hatten, glaubte es recht gut zu machen,
wenn er den ganzen Apparat des officiellen Empfanges in Scene
ſetzte. Der Kaiſer erblickte darin jedoch einen Ungehorſam gegen
ſeine Befehle und war bei ſeiner autokratiſchen Natur darüber
ſehr aufgebracht. Einen Officier von niedrigerem Range hätte
er wahrſcheinlich gleich zum Matroſen degradirt; hier glaubte er
jedoch etwas Rückſicht nehmen zu müſſen und ſchickte den un-
glücklichen Admiral zur Strafe nur bis Sonnenuntergang in
den Top. Es war Morgens zehn Uhr, wir befanden uns im
Juli und die Sonne ging um zehn Uhr Abends unter.

Im erſten Augenblick wagte natürlich Niemand, eine Für-
bitte einzulegen und den Zorn des Kaiſers noch mehr zu reizen,
und ſo ſahen wir denn den alten Herrn in voller Uniform die
Wanten hinauf und in die Großmars* klettern. Langſam genug
ging es, und um die Puttingswanten herum kam er auch nicht,
dazu war er zu ſteif, ſondern er kroch durch das Soldatenloch.
Als er eine Stunde dort geſeſſen, der Kaiſer ſich zur Abfahrt
bereit machte und ſein Zorn etwas verraucht war, riskirte ſeine
Umgebung, ihn auf die Härte der verfügten Strafe aufmerkſam
zu machen, die ſonſt ja nur über Kadetten verhängt wurde, und
um Erlaß zu bitten.

„Was ich befohlen, das kann ich nicht gleich wieder rück-

* Maſtkorb.
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[279/0291] Ernſtes und Heiteres Admiral,“ fragte Flamberg, als die Gemüther ſich wieder etwas beruhigt hatten. „Die kennen Sie nicht? Sie lief ja damals durch alle Zeitungen. Nun dann hören Sie; ich war Augenzeuge und kann deshalb den Verlauf genau ſchildern. Die ruſſiſche Flotte war auf der Rhede von Kronſtadt verſammelt und der Kaiſer wollte ſie beſuchen, hatte ſich jedoch das übliche Salutiren und Paradiren verbeten. Sei es, daß ein Mißverſtändniß obwaltete, genug, der commandirende Admiral auf dem Flaggſchiffe, in deſſen Nähe wir geankert hatten, glaubte es recht gut zu machen, wenn er den ganzen Apparat des officiellen Empfanges in Scene ſetzte. Der Kaiſer erblickte darin jedoch einen Ungehorſam gegen ſeine Befehle und war bei ſeiner autokratiſchen Natur darüber ſehr aufgebracht. Einen Officier von niedrigerem Range hätte er wahrſcheinlich gleich zum Matroſen degradirt; hier glaubte er jedoch etwas Rückſicht nehmen zu müſſen und ſchickte den un- glücklichen Admiral zur Strafe nur bis Sonnenuntergang in den Top. Es war Morgens zehn Uhr, wir befanden uns im Juli und die Sonne ging um zehn Uhr Abends unter. Im erſten Augenblick wagte natürlich Niemand, eine Für- bitte einzulegen und den Zorn des Kaiſers noch mehr zu reizen, und ſo ſahen wir denn den alten Herrn in voller Uniform die Wanten hinauf und in die Großmars * klettern. Langſam genug ging es, und um die Puttingswanten herum kam er auch nicht, dazu war er zu ſteif, ſondern er kroch durch das Soldatenloch. Als er eine Stunde dort geſeſſen, der Kaiſer ſich zur Abfahrt bereit machte und ſein Zorn etwas verraucht war, riskirte ſeine Umgebung, ihn auf die Härte der verfügten Strafe aufmerkſam zu machen, die ſonſt ja nur über Kadetten verhängt wurde, und um Erlaß zu bitten. „Was ich befohlen, das kann ich nicht gleich wieder rück- * Maſtkorb.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/291>, abgerufen am 22.11.2024.