"Wenn Sie es denn durchaus erfahren wollen, es ist heute der Jahrestag einer Begebenheit, die -- ich möchte sagen -- meinem ganzen Leben eine höhere Weihe gegeben hat," begann Flamberg feierlich, was jedoch nicht hinderte, daß Alle, die den flotten, leichtlebigen Lieutenant näher kannten, laut auflachten.
"Lachen Sie nicht, meine Herren," fuhr der Letztere in demselben Tone fort, "es ist eine ernste Geschichte. Es ist Ihnen bekannt, daß ich 1848 bei den Preußen stand. Mein altes frommes Mütterchen, die nach schwerem Kampfe endlich ihre Einwilligung ertheilte, daß ich als Freiwilliger eintreten durfte, übergab mir beim Abschiede noch ein Büchelchen, den Thomas a Kempis, und ich mußte ihr geloben, denselben stets bei mir zu tragen und so oft ich Zeit fände, darin zu lesen. Dies Versprechen habe ich auch erfüllt und trage seitdem das Buch stets in meiner Brusttasche.
Es war bei den Dannewerken, meine Herren! Ich befand mich in den vordersten Reihen der Stürmenden und wir drangen mit solchem Ungestüm vorwärts, daß, wie Gefangene später aussagten, die Dänen geglaubt hatten, wir rennten wie die Stiere mit den Köpfen voran, um unsere Gegner mit der Pickel- haube aufzuspießen."
Allgemeine Heiterkeit der Zuhörer.
"Ja, wahrhaftig," bekräftigte der Erzähler, "so war es; aber die Dänen schossen auch verteufelt gut hinter ihren Schanzen und der Tod hielt furchtbare Ernte unter uns. Meine Com- pagnie litt ganz besonders. Mit den Wenigen, die noch übrig geblieben, stürmte ich unaufhaltsam vorwärts. Ich hatte das Glück, die erste preußische Fahne auf den Wällen aufzupflanzen; im selben Augenblicke war es mir, als ob ich von unsichtbarer Faust einen Schlag vor die Brust erhielt. Ich taumelte zurück, raffte mich aber schnell wieder auf und fand mich merkwürdiger Weise unverletzt. Die Dannewerke waren genommen; die Preußen hatten einen ihrer schönsten Siege errungen.
R. Werner, Erinnerungen. 18
Ernſtes und Heiteres
„Wenn Sie es denn durchaus erfahren wollen, es iſt heute der Jahrestag einer Begebenheit, die — ich möchte ſagen — meinem ganzen Leben eine höhere Weihe gegeben hat,“ begann Flamberg feierlich, was jedoch nicht hinderte, daß Alle, die den flotten, leichtlebigen Lieutenant näher kannten, laut auflachten.
„Lachen Sie nicht, meine Herren,“ fuhr der Letztere in demſelben Tone fort, „es iſt eine ernſte Geſchichte. Es iſt Ihnen bekannt, daß ich 1848 bei den Preußen ſtand. Mein altes frommes Mütterchen, die nach ſchwerem Kampfe endlich ihre Einwilligung ertheilte, daß ich als Freiwilliger eintreten durfte, übergab mir beim Abſchiede noch ein Büchelchen, den Thomas a Kempis, und ich mußte ihr geloben, denſelben ſtets bei mir zu tragen und ſo oft ich Zeit fände, darin zu leſen. Dies Verſprechen habe ich auch erfüllt und trage ſeitdem das Buch ſtets in meiner Bruſttaſche.
Es war bei den Dannewerken, meine Herren! Ich befand mich in den vorderſten Reihen der Stürmenden und wir drangen mit ſolchem Ungeſtüm vorwärts, daß, wie Gefangene ſpäter ausſagten, die Dänen geglaubt hatten, wir rennten wie die Stiere mit den Köpfen voran, um unſere Gegner mit der Pickel- haube aufzuſpießen.“
Allgemeine Heiterkeit der Zuhörer.
„Ja, wahrhaftig,“ bekräftigte der Erzähler, „ſo war es; aber die Dänen ſchoſſen auch verteufelt gut hinter ihren Schanzen und der Tod hielt furchtbare Ernte unter uns. Meine Com- pagnie litt ganz beſonders. Mit den Wenigen, die noch übrig geblieben, ſtürmte ich unaufhaltſam vorwärts. Ich hatte das Glück, die erſte preußiſche Fahne auf den Wällen aufzupflanzen; im ſelben Augenblicke war es mir, als ob ich von unſichtbarer Fauſt einen Schlag vor die Bruſt erhielt. Ich taumelte zurück, raffte mich aber ſchnell wieder auf und fand mich merkwürdiger Weiſe unverletzt. Die Dannewerke waren genommen; die Preußen hatten einen ihrer ſchönſten Siege errungen.
R. Werner, Erinnerungen. 18
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Ernſtes und Heiteres
„Wenn Sie es denn durchaus erfahren wollen, es iſt heute
der Jahrestag einer Begebenheit, die — ich möchte ſagen —
meinem ganzen Leben eine höhere Weihe gegeben hat,“ begann
Flamberg feierlich, was jedoch nicht hinderte, daß Alle, die den
flotten, leichtlebigen Lieutenant näher kannten, laut auflachten.
„Lachen Sie nicht, meine Herren,“ fuhr der Letztere in
demſelben Tone fort, „es iſt eine ernſte Geſchichte. Es iſt
Ihnen bekannt, daß ich 1848 bei den Preußen ſtand. Mein
altes frommes Mütterchen, die nach ſchwerem Kampfe endlich
ihre Einwilligung ertheilte, daß ich als Freiwilliger eintreten
durfte, übergab mir beim Abſchiede noch ein Büchelchen, den
Thomas a Kempis, und ich mußte ihr geloben, denſelben ſtets
bei mir zu tragen und ſo oft ich Zeit fände, darin zu leſen.
Dies Verſprechen habe ich auch erfüllt und trage ſeitdem das
Buch ſtets in meiner Bruſttaſche.
Es war bei den Dannewerken, meine Herren! Ich befand
mich in den vorderſten Reihen der Stürmenden und wir drangen
mit ſolchem Ungeſtüm vorwärts, daß, wie Gefangene ſpäter
ausſagten, die Dänen geglaubt hatten, wir rennten wie die
Stiere mit den Köpfen voran, um unſere Gegner mit der Pickel-
haube aufzuſpießen.“
Allgemeine Heiterkeit der Zuhörer.
„Ja, wahrhaftig,“ bekräftigte der Erzähler, „ſo war es;
aber die Dänen ſchoſſen auch verteufelt gut hinter ihren Schanzen
und der Tod hielt furchtbare Ernte unter uns. Meine Com-
pagnie litt ganz beſonders. Mit den Wenigen, die noch übrig
geblieben, ſtürmte ich unaufhaltſam vorwärts. Ich hatte das
Glück, die erſte preußiſche Fahne auf den Wällen aufzupflanzen;
im ſelben Augenblicke war es mir, als ob ich von unſichtbarer
Fauſt einen Schlag vor die Bruſt erhielt. Ich taumelte zurück,
raffte mich aber ſchnell wieder auf und fand mich merkwürdiger
Weiſe unverletzt. Die Dannewerke waren genommen; die Preußen
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R. Werner, Erinnerungen. 18
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/285>, abgerufen am 22.11.2024.
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