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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Ernstes und Heiteres
ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander
stimmen.

In einem Regimente oder Bataillon kommen solche Ver-
hältnisse weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern
aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienstes ist jeder
Landofficier sein eigener Herr. Er hat seine bequeme Wohnung,
seine Familie, Gesellschaften, Theater, einen Spaziergang in
Wald und Feld oder andere Genüsse, die ihm Erholung von
den Anstrengungen des Dienstes bieten, durch die er die em-
pfangenen unangenehmen Eindrücke von sich abstreifen und sich
die Elasticität seines Geistes bewahren kann. Wie viel un-
günstiger ist dagegen der Seeofficier gestellt! Für Jahre wird
er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathisch sind, auf den-
selben kleinen Raum beschränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen,
er ist gezwungen, sie fast immer zu sehen, er muß mit ihnen an
demselben Tische speisen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit
ihnen theilen. Keinerlei Zerstreuung zieht seine Gedanken ab,
kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf -- Himmel, Wasser,
die Bordwände und der Dienst sind seine Gesellschafter und ein-
zigen Begleiter. So ist es denn natürlich, daß seine Stimmung
von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten,
über die der Mensch in normalen Verhältnissen leicht und gleich-
gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlassen.

Dann ist es die Kammer, in deren Einsamkeit er Zuflucht
vor sich selbst sucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen-
den Kummers macht und die ihm Trost spendet. Dort kann
er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt ist
und seinen Gefühlen freien Lauf lassen -- ja dann ist der
kleine enge Raum ein Schatz, dessen Werth nicht hoch genug
veranschlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige
Gegenwart vergessen und träumen darf, träumen von der Ver-
gangenheit, deren schöne Erinnerungen milden Balsam auf sein
wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im

Ernſtes und Heiteres
ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander
ſtimmen.

In einem Regimente oder Bataillon kommen ſolche Ver-
hältniſſe weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern
aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienſtes iſt jeder
Landofficier ſein eigener Herr. Er hat ſeine bequeme Wohnung,
ſeine Familie, Geſellſchaften, Theater, einen Spaziergang in
Wald und Feld oder andere Genüſſe, die ihm Erholung von
den Anſtrengungen des Dienſtes bieten, durch die er die em-
pfangenen unangenehmen Eindrücke von ſich abſtreifen und ſich
die Elaſticität ſeines Geiſtes bewahren kann. Wie viel un-
günſtiger iſt dagegen der Seeofficier geſtellt! Für Jahre wird
er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathiſch ſind, auf den-
ſelben kleinen Raum beſchränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen,
er iſt gezwungen, ſie faſt immer zu ſehen, er muß mit ihnen an
demſelben Tiſche ſpeiſen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit
ihnen theilen. Keinerlei Zerſtreuung zieht ſeine Gedanken ab,
kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf — Himmel, Waſſer,
die Bordwände und der Dienſt ſind ſeine Geſellſchafter und ein-
zigen Begleiter. So iſt es denn natürlich, daß ſeine Stimmung
von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten,
über die der Menſch in normalen Verhältniſſen leicht und gleich-
gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlaſſen.

Dann iſt es die Kammer, in deren Einſamkeit er Zuflucht
vor ſich ſelbſt ſucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen-
den Kummers macht und die ihm Troſt ſpendet. Dort kann
er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt iſt
und ſeinen Gefühlen freien Lauf laſſen — ja dann iſt der
kleine enge Raum ein Schatz, deſſen Werth nicht hoch genug
veranſchlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige
Gegenwart vergeſſen und träumen darf, träumen von der Ver-
gangenheit, deren ſchöne Erinnerungen milden Balſam auf ſein
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[253/0265] Ernſtes und Heiteres ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander ſtimmen. In einem Regimente oder Bataillon kommen ſolche Ver- hältniſſe weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienſtes iſt jeder Landofficier ſein eigener Herr. Er hat ſeine bequeme Wohnung, ſeine Familie, Geſellſchaften, Theater, einen Spaziergang in Wald und Feld oder andere Genüſſe, die ihm Erholung von den Anſtrengungen des Dienſtes bieten, durch die er die em- pfangenen unangenehmen Eindrücke von ſich abſtreifen und ſich die Elaſticität ſeines Geiſtes bewahren kann. Wie viel un- günſtiger iſt dagegen der Seeofficier geſtellt! Für Jahre wird er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathiſch ſind, auf den- ſelben kleinen Raum beſchränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen, er iſt gezwungen, ſie faſt immer zu ſehen, er muß mit ihnen an demſelben Tiſche ſpeiſen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit ihnen theilen. Keinerlei Zerſtreuung zieht ſeine Gedanken ab, kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf — Himmel, Waſſer, die Bordwände und der Dienſt ſind ſeine Geſellſchafter und ein- zigen Begleiter. So iſt es denn natürlich, daß ſeine Stimmung von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten, über die der Menſch in normalen Verhältniſſen leicht und gleich- gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlaſſen. Dann iſt es die Kammer, in deren Einſamkeit er Zuflucht vor ſich ſelbſt ſucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen- den Kummers macht und die ihm Troſt ſpendet. Dort kann er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt iſt und ſeinen Gefühlen freien Lauf laſſen — ja dann iſt der kleine enge Raum ein Schatz, deſſen Werth nicht hoch genug veranſchlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige Gegenwart vergeſſen und träumen darf, träumen von der Ver- gangenheit, deren ſchöne Erinnerungen milden Balſam auf ſein wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/265>, abgerufen am 25.11.2024.