die andere anschwoll. Anfänglich konnte ich mir diese wunder- bare Metamorphose nicht erklären, später entdeckte ich, daß ein riesiges Stück Kautabak die Ursache war, welches von einer Seite des Mundes nach der anderen wanderte, sobald der Bootsmann auf irgend eine seiner Reden einen besonderen Trumpf setzen wollte.
Auf meine Bitte ließ er nun durch einige Matrosen meine Kiste an Bord schaffen und wies mir in dem Mannschaftsraume den Platz für jene und meine Coje an. Ich verstand manches nicht, von dem, was er sagte und fragte wiederholt; da verlor er die Geduld, "was wir Schweizer wohl an Bord zu suchen hätten, wenn wir nicht einmal Plattdeutsch verständen," meinte er brum- mend. Er war nämlich der Ansicht, Hochdeutsch würde nur in der Schweiz gesprochen.
Mein zukünftiger Wohnraum -- technisch das "Logis" genannt -- machte einen sehr deprimirenden Eindruck auf mich und entsprach auch nicht meinen bescheidensten Erwartungen. Es lag in der vordersten Spitze des Schiffes, im Bug und unter Deck, hatte die Form eines Dreiecks, war so niedrig, daß man nur gebückt darin stehen konnte und so eng, daß ein Umhergehen sehr schwierig wurde. An den Wänden waren je zwei feste Cojen übereinander gebaut, aber nicht 18 sondern nur 16, so daß je zwei der vier Jüngsten, zu denen ich gehörte, nur ein Bett hatten. Die Kisten standen vor den Cojen; sie und zwei Klapptische, sowie eine von dem Deck herabhängende blecherne Oellampe mit zwei Flammen bildeten das einzige Mobiliar des Logis, das sein Tageslicht durch die Niedergangs- luke erhielt. Eine weitere Umschau war mir nicht gestattet; denn kaum hatte ich meine Kiste placirt und die vom Regen durchfeuchtete Matratze in die Coje gestopft, als auch schon des Bootsmanns Stimme erschallte. Meinen Namen mußte er wohl schon wieder vergessen haben, denn er rief mich "Schweizer" und nannte mich auch consequent während der ganzen späteren Reise so.
Eine erſte Seereiſe
die andere anſchwoll. Anfänglich konnte ich mir dieſe wunder- bare Metamorphoſe nicht erklären, ſpäter entdeckte ich, daß ein rieſiges Stück Kautabak die Urſache war, welches von einer Seite des Mundes nach der anderen wanderte, ſobald der Bootsmann auf irgend eine ſeiner Reden einen beſonderen Trumpf ſetzen wollte.
Auf meine Bitte ließ er nun durch einige Matroſen meine Kiſte an Bord ſchaffen und wies mir in dem Mannſchaftsraume den Platz für jene und meine Coje an. Ich verſtand manches nicht, von dem, was er ſagte und fragte wiederholt; da verlor er die Geduld, „was wir Schweizer wohl an Bord zu ſuchen hätten, wenn wir nicht einmal Plattdeutſch verſtänden,“ meinte er brum- mend. Er war nämlich der Anſicht, Hochdeutſch würde nur in der Schweiz geſprochen.
Mein zukünftiger Wohnraum — techniſch das „Logis“ genannt — machte einen ſehr deprimirenden Eindruck auf mich und entſprach auch nicht meinen beſcheidenſten Erwartungen. Es lag in der vorderſten Spitze des Schiffes, im Bug und unter Deck, hatte die Form eines Dreiecks, war ſo niedrig, daß man nur gebückt darin ſtehen konnte und ſo eng, daß ein Umhergehen ſehr ſchwierig wurde. An den Wänden waren je zwei feſte Cojen übereinander gebaut, aber nicht 18 ſondern nur 16, ſo daß je zwei der vier Jüngſten, zu denen ich gehörte, nur ein Bett hatten. Die Kiſten ſtanden vor den Cojen; ſie und zwei Klapptiſche, ſowie eine von dem Deck herabhängende blecherne Oellampe mit zwei Flammen bildeten das einzige Mobiliar des Logis, das ſein Tageslicht durch die Niedergangs- luke erhielt. Eine weitere Umſchau war mir nicht geſtattet; denn kaum hatte ich meine Kiſte placirt und die vom Regen durchfeuchtete Matratze in die Coje geſtopft, als auch ſchon des Bootsmanns Stimme erſchallte. Meinen Namen mußte er wohl ſchon wieder vergeſſen haben, denn er rief mich „Schweizer“ und nannte mich auch conſequent während der ganzen ſpäteren Reiſe ſo.
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Eine erſte Seereiſe
die andere anſchwoll. Anfänglich konnte ich mir dieſe wunder-
bare Metamorphoſe nicht erklären, ſpäter entdeckte ich, daß ein
rieſiges Stück Kautabak die Urſache war, welches von einer
Seite des Mundes nach der anderen wanderte, ſobald der
Bootsmann auf irgend eine ſeiner Reden einen beſonderen
Trumpf ſetzen wollte.
Auf meine Bitte ließ er nun durch einige Matroſen meine
Kiſte an Bord ſchaffen und wies mir in dem Mannſchaftsraume
den Platz für jene und meine Coje an. Ich verſtand manches nicht,
von dem, was er ſagte und fragte wiederholt; da verlor er die
Geduld, „was wir Schweizer wohl an Bord zu ſuchen hätten,
wenn wir nicht einmal Plattdeutſch verſtänden,“ meinte er brum-
mend. Er war nämlich der Anſicht, Hochdeutſch würde nur in
der Schweiz geſprochen.
Mein zukünftiger Wohnraum — techniſch das „Logis“
genannt — machte einen ſehr deprimirenden Eindruck auf mich
und entſprach auch nicht meinen beſcheidenſten Erwartungen.
Es lag in der vorderſten Spitze des Schiffes, im Bug und
unter Deck, hatte die Form eines Dreiecks, war ſo niedrig, daß
man nur gebückt darin ſtehen konnte und ſo eng, daß ein
Umhergehen ſehr ſchwierig wurde. An den Wänden waren je
zwei feſte Cojen übereinander gebaut, aber nicht 18 ſondern nur
16, ſo daß je zwei der vier Jüngſten, zu denen ich gehörte,
nur ein Bett hatten. Die Kiſten ſtanden vor den Cojen; ſie
und zwei Klapptiſche, ſowie eine von dem Deck herabhängende
blecherne Oellampe mit zwei Flammen bildeten das einzige
Mobiliar des Logis, das ſein Tageslicht durch die Niedergangs-
luke erhielt. Eine weitere Umſchau war mir nicht geſtattet;
denn kaum hatte ich meine Kiſte placirt und die vom Regen
durchfeuchtete Matratze in die Coje geſtopft, als auch ſchon des
Bootsmanns Stimme erſchallte. Meinen Namen mußte er wohl
ſchon wieder vergeſſen haben, denn er rief mich „Schweizer“ und
nannte mich auch conſequent während der ganzen ſpäteren Reiſe ſo.
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/19>, abgerufen am 27.07.2024.
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