Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine erste Seereise

Auch der Bootsmann sprach sein Bedauern aus, aber nur
darüber, daß wir keine Fässer an Bord hatten, um den kost-
baren Speck zu retten.

"Der hat mindestens seine dreihundert Tonnen, es ist ein
Capitalbulle, und nun geht all' der Blubber vor die Haie",
klagte er. "Da sind rund 1500 Thaler zum Teufel, und
nun muß es gar ein Potwal sein, sonst könnte man in einer
Stunde doch noch eine Masse Geld an ihm verdienen."

"Wie so?" fragte ich, da ich den Sinn der letzten Be-
merkung nicht verstand.

"Der Potwal hat keine Barten," erwiederte er, "sondern
nur Zähne im Unterkiefer, und die haben wenig Werth, wenn-
gleich er damit Unglück genug anrichten kann. Ich hab's erlebt
und kann davon ein Liedchen singen; aber jetzt wollen wir
niederentern und den Alten um ein Boot fragen. Wir wollen
uns wenigstens ein Stück von der Zunge holen, die schmeckt
ganz vortrefflich und eine solche Abwechselung bei dem ewigen
Tornisterfleisch thut wohl."

In meinem Eifer, recht schnell an Deck zu kommen und
auch wol mit einer gewissen Eitelkeit, um vor dem Bootsmann
meine Gewandtheit zu zeigen, benutzte ich nicht die Strickleitern
der Wanten, sondern rutschte an der Stenge-Pardune herunter,
aber leider bekam es mir schlecht. Ich machte es zu schnell und
verbrannte mir so das Innere der Handfläche, daß ganze Stücke
von der Haut abgerissen wurden.

"Bravo Schweizer, das nenne ich flink!" rief der Boots-
mann. "Siehst du, mit der Zeit kann noch ein ganz tüchtiger
Kerl aus Dir werden."

Das Lob war theuer erkauft; ich biß vor Schmerz die
Zähne aufeinander, ließ aber natürlich von meinem Mißgeschick
nichts verlauten, um nicht ausgelacht zu werden. Der Kapitän
erlaubte, daß der Bootsmann die Gig nahm, um ein Stück
von der Zunge zu holen, und ich durfte mitfahren. Selten

R. Werner, Erinnerungen. 7
Eine erſte Seereiſe

Auch der Bootsmann ſprach ſein Bedauern aus, aber nur
darüber, daß wir keine Fäſſer an Bord hatten, um den koſt-
baren Speck zu retten.

„Der hat mindeſtens ſeine dreihundert Tonnen, es iſt ein
Capitalbulle, und nun geht all’ der Blubber vor die Haie“,
klagte er. „Da ſind rund 1500 Thaler zum Teufel, und
nun muß es gar ein Potwal ſein, ſonſt könnte man in einer
Stunde doch noch eine Maſſe Geld an ihm verdienen.“

„Wie ſo?“ fragte ich, da ich den Sinn der letzten Be-
merkung nicht verſtand.

„Der Potwal hat keine Barten,“ erwiederte er, „ſondern
nur Zähne im Unterkiefer, und die haben wenig Werth, wenn-
gleich er damit Unglück genug anrichten kann. Ich hab’s erlebt
und kann davon ein Liedchen ſingen; aber jetzt wollen wir
niederentern und den Alten um ein Boot fragen. Wir wollen
uns wenigſtens ein Stück von der Zunge holen, die ſchmeckt
ganz vortrefflich und eine ſolche Abwechſelung bei dem ewigen
Torniſterfleiſch thut wohl.“

In meinem Eifer, recht ſchnell an Deck zu kommen und
auch wol mit einer gewiſſen Eitelkeit, um vor dem Bootsmann
meine Gewandtheit zu zeigen, benutzte ich nicht die Strickleitern
der Wanten, ſondern rutſchte an der Stenge-Pardune herunter,
aber leider bekam es mir ſchlecht. Ich machte es zu ſchnell und
verbrannte mir ſo das Innere der Handfläche, daß ganze Stücke
von der Haut abgeriſſen wurden.

„Bravo Schweizer, das nenne ich flink!“ rief der Boots-
mann. „Siehſt du, mit der Zeit kann noch ein ganz tüchtiger
Kerl aus Dir werden.“

Das Lob war theuer erkauft; ich biß vor Schmerz die
Zähne aufeinander, ließ aber natürlich von meinem Mißgeſchick
nichts verlauten, um nicht ausgelacht zu werden. Der Kapitän
erlaubte, daß der Bootsmann die Gig nahm, um ein Stück
von der Zunge zu holen, und ich durfte mitfahren. Selten

R. Werner, Erinnerungen. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0109" n="97"/>
        <fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
        <p>Auch der Bootsmann &#x017F;prach &#x017F;ein Bedauern aus, aber nur<lb/>
darüber, daß wir keine Fä&#x017F;&#x017F;er an Bord hatten, um den ko&#x017F;t-<lb/>
baren Speck zu retten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der hat minde&#x017F;tens &#x017F;eine dreihundert Tonnen, es i&#x017F;t ein<lb/>
Capitalbulle, und nun geht all&#x2019; der Blubber vor die Haie&#x201C;,<lb/>
klagte er. &#x201E;Da &#x017F;ind rund 1500 Thaler zum Teufel, und<lb/>
nun muß es gar ein Potwal &#x017F;ein, &#x017F;on&#x017F;t könnte man in einer<lb/>
Stunde doch noch eine Ma&#x017F;&#x017F;e Geld an ihm verdienen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie &#x017F;o?&#x201C; fragte ich, da ich den Sinn der letzten Be-<lb/>
merkung nicht ver&#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Potwal hat keine Barten,&#x201C; erwiederte er, &#x201E;&#x017F;ondern<lb/>
nur Zähne im Unterkiefer, und die haben wenig Werth, wenn-<lb/>
gleich er damit Unglück genug anrichten kann. Ich hab&#x2019;s erlebt<lb/>
und kann davon ein Liedchen &#x017F;ingen; aber jetzt wollen wir<lb/>
niederentern und den Alten um ein Boot fragen. Wir wollen<lb/>
uns wenig&#x017F;tens ein Stück von der Zunge holen, die &#x017F;chmeckt<lb/>
ganz vortrefflich und eine &#x017F;olche Abwech&#x017F;elung bei dem ewigen<lb/>
Torni&#x017F;terflei&#x017F;ch thut wohl.&#x201C;</p><lb/>
        <p>In meinem Eifer, recht &#x017F;chnell an Deck zu kommen und<lb/>
auch wol mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en Eitelkeit, um vor dem Bootsmann<lb/>
meine Gewandtheit zu zeigen, benutzte ich nicht die Strickleitern<lb/>
der Wanten, &#x017F;ondern rut&#x017F;chte an der Stenge-Pardune herunter,<lb/>
aber leider bekam es mir &#x017F;chlecht. Ich machte es zu &#x017F;chnell und<lb/>
verbrannte mir &#x017F;o das Innere der Handfläche, daß ganze Stücke<lb/>
von der Haut abgeri&#x017F;&#x017F;en wurden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bravo Schweizer, das nenne ich flink!&#x201C; rief der Boots-<lb/>
mann. &#x201E;Sieh&#x017F;t du, mit der Zeit kann noch ein ganz tüchtiger<lb/>
Kerl aus Dir werden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das Lob war theuer erkauft; ich biß vor Schmerz die<lb/>
Zähne aufeinander, ließ aber natürlich von meinem Mißge&#x017F;chick<lb/>
nichts verlauten, um nicht ausgelacht zu werden. Der Kapitän<lb/>
erlaubte, daß der Bootsmann die Gig nahm, um ein Stück<lb/>
von der Zunge zu holen, und ich durfte mitfahren. Selten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R. <hi rendition="#g">Werner</hi>, Erinnerungen. 7</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0109] Eine erſte Seereiſe Auch der Bootsmann ſprach ſein Bedauern aus, aber nur darüber, daß wir keine Fäſſer an Bord hatten, um den koſt- baren Speck zu retten. „Der hat mindeſtens ſeine dreihundert Tonnen, es iſt ein Capitalbulle, und nun geht all’ der Blubber vor die Haie“, klagte er. „Da ſind rund 1500 Thaler zum Teufel, und nun muß es gar ein Potwal ſein, ſonſt könnte man in einer Stunde doch noch eine Maſſe Geld an ihm verdienen.“ „Wie ſo?“ fragte ich, da ich den Sinn der letzten Be- merkung nicht verſtand. „Der Potwal hat keine Barten,“ erwiederte er, „ſondern nur Zähne im Unterkiefer, und die haben wenig Werth, wenn- gleich er damit Unglück genug anrichten kann. Ich hab’s erlebt und kann davon ein Liedchen ſingen; aber jetzt wollen wir niederentern und den Alten um ein Boot fragen. Wir wollen uns wenigſtens ein Stück von der Zunge holen, die ſchmeckt ganz vortrefflich und eine ſolche Abwechſelung bei dem ewigen Torniſterfleiſch thut wohl.“ In meinem Eifer, recht ſchnell an Deck zu kommen und auch wol mit einer gewiſſen Eitelkeit, um vor dem Bootsmann meine Gewandtheit zu zeigen, benutzte ich nicht die Strickleitern der Wanten, ſondern rutſchte an der Stenge-Pardune herunter, aber leider bekam es mir ſchlecht. Ich machte es zu ſchnell und verbrannte mir ſo das Innere der Handfläche, daß ganze Stücke von der Haut abgeriſſen wurden. „Bravo Schweizer, das nenne ich flink!“ rief der Boots- mann. „Siehſt du, mit der Zeit kann noch ein ganz tüchtiger Kerl aus Dir werden.“ Das Lob war theuer erkauft; ich biß vor Schmerz die Zähne aufeinander, ließ aber natürlich von meinem Mißgeſchick nichts verlauten, um nicht ausgelacht zu werden. Der Kapitän erlaubte, daß der Bootsmann die Gig nahm, um ein Stück von der Zunge zu holen, und ich durfte mitfahren. Selten R. Werner, Erinnerungen. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/109
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/109>, abgerufen am 22.11.2024.