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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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thätigkeit sie schlaff und dünn macht, und wie nahe liegt
die Annahme, dass sich dieses Verkümmern von Generation
auf Generation vererbte! Aber diese Annahme ist nicht
richtig und kann einfach dadurch widerlegt werden, dass
auch solche Theile verkümmern, wenn sie nutzlos werden,
welche nur passiv functionirten, d. h. welche durch ihre
blosse Anwesenheit nützlich sind, wie der harte Hautpanzer
der Krebse und Insecten oder die schützende Färbung eines
Insectes.

Wenn es gelänge, nachzuweisen, dass Abänderungen
eines Körpertheiles von complicirterem Bau, dessen
Leistungen mit vielen anderen Theilen zusammenhängen,
vor sich gegangen sind, ohne dass Vererbung erworbener
Abänderungen dabei im Spiel gewesen sein kann, so wäre
der Beweis erbracht, dass auch dieses letzte Bollwerk des
Lamarck'schen Princips unhaltbar ist. Solche Fälle aber
lassen sich aufzeigen, wie ich glaube.

Es gibt glücklicherweise Thierformen, welche sich
nicht fortpflanzen, sondern immer wieder von neuem von
Eltern hervorgebracht werden, die ihnen nicht gleichen, und
diese Thiere, die also nichts vererben können, haben sich
trotzdem im Laufe der Erdgeschichte verändert, haben über-
flüssige Theile eingebüsst, andere vergrössert und umge-
staltet, und diese Umgestaltungen sind zuweilen sehr be-
deutende und verlangen die Veränderung vieler Theile des
Körpers, weil viele Theile sich nach ihnen richten, mit ihnen
in Harmonie stehen müssen.

Ich rede von den "Neutra" der staatenbildenden In-
secten, vor allem von denjenigen der Ameisen und
Termiten. Bei letzteren giebt es deren meist zweierlei:
Soldaten und Arbeiter, bei den Ameisen sind es meist nur

thätigkeit sie schlaff und dünn macht, und wie nahe liegt
die Annahme, dass sich dieses Verkümmern von Generation
auf Generation vererbte! Aber diese Annahme ist nicht
richtig und kann einfach dadurch widerlegt werden, dass
auch solche Theile verkümmern, wenn sie nutzlos werden,
welche nur passiv functionirten, d. h. welche durch ihre
blosse Anwesenheit nützlich sind, wie der harte Hautpanzer
der Krebse und Insecten oder die schützende Färbung eines
Insectes.

Wenn es gelänge, nachzuweisen, dass Abänderungen
eines Körpertheiles von complicirterem Bau, dessen
Leistungen mit vielen anderen Theilen zusammenhängen,
vor sich gegangen sind, ohne dass Vererbung erworbener
Abänderungen dabei im Spiel gewesen sein kann, so wäre
der Beweis erbracht, dass auch dieses letzte Bollwerk des
Lamarck’schen Princips unhaltbar ist. Solche Fälle aber
lassen sich aufzeigen, wie ich glaube.

Es gibt glücklicherweise Thierformen, welche sich
nicht fortpflanzen, sondern immer wieder von neuem von
Eltern hervorgebracht werden, die ihnen nicht gleichen, und
diese Thiere, die also nichts vererben können, haben sich
trotzdem im Laufe der Erdgeschichte verändert, haben über-
flüssige Theile eingebüsst, andere vergrössert und umge-
staltet, und diese Umgestaltungen sind zuweilen sehr be-
deutende und verlangen die Veränderung vieler Theile des
Körpers, weil viele Theile sich nach ihnen richten, mit ihnen
in Harmonie stehen müssen.

Ich rede von den „Neutra“ der staatenbildenden In-
secten, vor allem von denjenigen der Ameisen und
Termiten. Bei letzteren giebt es deren meist zweierlei:
Soldaten und Arbeiter, bei den Ameisen sind es meist nur

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[14/0026] thätigkeit sie schlaff und dünn macht, und wie nahe liegt die Annahme, dass sich dieses Verkümmern von Generation auf Generation vererbte! Aber diese Annahme ist nicht richtig und kann einfach dadurch widerlegt werden, dass auch solche Theile verkümmern, wenn sie nutzlos werden, welche nur passiv functionirten, d. h. welche durch ihre blosse Anwesenheit nützlich sind, wie der harte Hautpanzer der Krebse und Insecten oder die schützende Färbung eines Insectes. Wenn es gelänge, nachzuweisen, dass Abänderungen eines Körpertheiles von complicirterem Bau, dessen Leistungen mit vielen anderen Theilen zusammenhängen, vor sich gegangen sind, ohne dass Vererbung erworbener Abänderungen dabei im Spiel gewesen sein kann, so wäre der Beweis erbracht, dass auch dieses letzte Bollwerk des Lamarck’schen Princips unhaltbar ist. Solche Fälle aber lassen sich aufzeigen, wie ich glaube. Es gibt glücklicherweise Thierformen, welche sich nicht fortpflanzen, sondern immer wieder von neuem von Eltern hervorgebracht werden, die ihnen nicht gleichen, und diese Thiere, die also nichts vererben können, haben sich trotzdem im Laufe der Erdgeschichte verändert, haben über- flüssige Theile eingebüsst, andere vergrössert und umge- staltet, und diese Umgestaltungen sind zuweilen sehr be- deutende und verlangen die Veränderung vieler Theile des Körpers, weil viele Theile sich nach ihnen richten, mit ihnen in Harmonie stehen müssen. Ich rede von den „Neutra“ der staatenbildenden In- secten, vor allem von denjenigen der Ameisen und Termiten. Bei letzteren giebt es deren meist zweierlei: Soldaten und Arbeiter, bei den Ameisen sind es meist nur

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/26>, abgerufen am 29.03.2024.