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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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fassten Begriff der Vererbung wieder unklar werden lassen,
indem wir abnormale Vorgänge hineinrechnen, die mit der
Architectur des Keimplasmas nichts zu thun haben? Nur
von dieser
und den sie zusammensetzenden chemischen
Baustoffen kann die wirkliche Vererbung bedingt sein, d. h.
die Wiederholung des elterlichen Baues im Kind, die Ver-
mischung der elterlichen Eigenschaften und die Durchsetzung
derselben mit solchen weiter zurückliegender Vorfahren. Die
diese normale Vererbung bewirkende Substanz kann keine
Flüssigkeit, sie muss eine feste Substanz sein, und zwar
deshalb, weil die ungeheure Mannigfaltigkeit des Keim-
plasmas nach Individuen und Arten, wie wir sie aus der
Beschaffenheit der fertigen Organismen erschliessen können,
undenkbar wäre, wenn die Vererbungssubstanz eine Flüssig-
keit wäre. Das hat vor mir schon Nägeli in überzeugender
Weise dargethan. Wie sollte diese unendliche Mannigfaltig-
keit zu Stande kommen, wenn die Molecüle der Vererbungs-
substanz als Lösung vorhanden wären, d. h. keine bestimmten
Lagerungsverhältnisse gegen einander einhielten, wenn sie
also rein nur auf der chemischen Verschiedenheit dieser
Molecüle beruhen müsste? Ueberdies kann die lebende Sub-
stanz nicht aus freien Molecülen zusammengesetzt sein,
sondern sie muss aus fest zusammengeordneten Molecül-
gruppen bestehen, aus dem, was de Vries Pangene,
Wiesner Plasome, ich selbst Lebensträger oder Biophoren
genannt habe.

Ich will nicht gradezu bestreiten, dass ausser para-
sitischen Organismen auch noch gelöste "chemische Fer-
mente" den Keimzellen beigemengt sein können, obgleich mir
die Vorstellung solcher "Fermente" noch recht unbestimmt,
und ihre Existenz noch nicht wirklich erwiesen zu sein

fassten Begriff der Vererbung wieder unklar werden lassen,
indem wir abnormale Vorgänge hineinrechnen, die mit der
Architectur des Keimplasmas nichts zu thun haben? Nur
von dieser
und den sie zusammensetzenden chemischen
Baustoffen kann die wirkliche Vererbung bedingt sein, d. h.
die Wiederholung des elterlichen Baues im Kind, die Ver-
mischung der elterlichen Eigenschaften und die Durchsetzung
derselben mit solchen weiter zurückliegender Vorfahren. Die
diese normale Vererbung bewirkende Substanz kann keine
Flüssigkeit, sie muss eine feste Substanz sein, und zwar
deshalb, weil die ungeheure Mannigfaltigkeit des Keim-
plasmas nach Individuen und Arten, wie wir sie aus der
Beschaffenheit der fertigen Organismen erschliessen können,
undenkbar wäre, wenn die Vererbungssubstanz eine Flüssig-
keit wäre. Das hat vor mir schon Nägeli in überzeugender
Weise dargethan. Wie sollte diese unendliche Mannigfaltig-
keit zu Stande kommen, wenn die Molecüle der Vererbungs-
substanz als Lösung vorhanden wären, d. h. keine bestimmten
Lagerungsverhältnisse gegen einander einhielten, wenn sie
also rein nur auf der chemischen Verschiedenheit dieser
Molecüle beruhen müsste? Ueberdies kann die lebende Sub-
stanz nicht aus freien Molecülen zusammengesetzt sein,
sondern sie muss aus fest zusammengeordneten Molecül-
gruppen bestehen, aus dem, was de Vries Pangene,
Wiesner Plasome, ich selbst Lebensträger oder Biophoren
genannt habe.

Ich will nicht gradezu bestreiten, dass ausser para-
sitischen Organismen auch noch gelöste „chemische Fer-
mente“ den Keimzellen beigemengt sein können, obgleich mir
die Vorstellung solcher „Fermente“ noch recht unbestimmt,
und ihre Existenz noch nicht wirklich erwiesen zu sein

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[94/0106] fassten Begriff der Vererbung wieder unklar werden lassen, indem wir abnormale Vorgänge hineinrechnen, die mit der Architectur des Keimplasmas nichts zu thun haben? Nur von dieser und den sie zusammensetzenden chemischen Baustoffen kann die wirkliche Vererbung bedingt sein, d. h. die Wiederholung des elterlichen Baues im Kind, die Ver- mischung der elterlichen Eigenschaften und die Durchsetzung derselben mit solchen weiter zurückliegender Vorfahren. Die diese normale Vererbung bewirkende Substanz kann keine Flüssigkeit, sie muss eine feste Substanz sein, und zwar deshalb, weil die ungeheure Mannigfaltigkeit des Keim- plasmas nach Individuen und Arten, wie wir sie aus der Beschaffenheit der fertigen Organismen erschliessen können, undenkbar wäre, wenn die Vererbungssubstanz eine Flüssig- keit wäre. Das hat vor mir schon Nägeli in überzeugender Weise dargethan. Wie sollte diese unendliche Mannigfaltig- keit zu Stande kommen, wenn die Molecüle der Vererbungs- substanz als Lösung vorhanden wären, d. h. keine bestimmten Lagerungsverhältnisse gegen einander einhielten, wenn sie also rein nur auf der chemischen Verschiedenheit dieser Molecüle beruhen müsste? Ueberdies kann die lebende Sub- stanz nicht aus freien Molecülen zusammengesetzt sein, sondern sie muss aus fest zusammengeordneten Molecül- gruppen bestehen, aus dem, was de Vries Pangene, Wiesner Plasome, ich selbst Lebensträger oder Biophoren genannt habe. Ich will nicht gradezu bestreiten, dass ausser para- sitischen Organismen auch noch gelöste „chemische Fer- mente“ den Keimzellen beigemengt sein können, obgleich mir die Vorstellung solcher „Fermente“ noch recht unbestimmt, und ihre Existenz noch nicht wirklich erwiesen zu sein

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/106>, abgerufen am 27.04.2024.