Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

schon vor geraumer Zeit betont, dass das Eiweiss die Fähigkeit
der Assimilation nicht besitze, also nicht lebe, und die physio-
logische Chemie hat nachgewiesen, dass neben dem Eiweiss
noch andere Stoffe aus dem Protoplama erhalten werden, von
denen nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass sie
bedeutungslos sind. Allerdings sind sie, z. B. die Schwefel-
und Phosphorverbindungen, nur in verhältnissmässig geringer
Menge im Protoplasma vorhanden, aber daraus kann nicht
auf geringe Bedeutung geschlossen werden. Jedenfalls wird
man schon deshalb nicht sagen dürfen, Protoplasma sei eine
Eiweiss-Modification, weil wir nur todtes Protoplasma chemisch
untersuchen können, d. h. ein solches, welches gerade seine
wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer
für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat.
De Vries drückt dies dahin aus, Protoplasma sei überhaupt
kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff. Das
heisst: es besteht nicht blos aus einem ungeordneten Haufen
irgend welcher chemischen Moleküle, sondern aus morphologischen
Einheiten, welche ihrerseits erst wieder aus Molekülen zusammen-
gesetzt sind, oder wie Brücke es zuerst ausgedrückt hat, das
Protoplasma ist "organisirt". Herbert Spencer und neuer-
dings de Vries und Wiesner haben solche Einheiten an-
genommen, wie in der historischen Einleitung bereits gezeigt
wurde.

De Vries hebt noch hervor, dass das Protoplasma ausser
seinen physikalischen und chemischen Merkmalen noch gewisse
"historische" Eigenschaften besitze. Man wird gewiss mit de
Vries
bezweifeln dürfen, dass es jemals gelingen werde, "lebendes
Protoplasma auf anderm als auf phylogenetischem Wege" ent-
stehen zu lassen, d. h. also: künstlich im Laboratorium zu
machen, aber man wird nicht zugeben können, dass dies des-
halb so unwahrscheinlich sei, weil der Begriff des Protoplasma's

4*

schon vor geraumer Zeit betont, dass das Eiweiss die Fähigkeit
der Assimilation nicht besitze, also nicht lebe, und die physio-
logische Chemie hat nachgewiesen, dass neben dem Eiweiss
noch andere Stoffe aus dem Protoplama erhalten werden, von
denen nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass sie
bedeutungslos sind. Allerdings sind sie, z. B. die Schwefel-
und Phosphorverbindungen, nur in verhältnissmässig geringer
Menge im Protoplasma vorhanden, aber daraus kann nicht
auf geringe Bedeutung geschlossen werden. Jedenfalls wird
man schon deshalb nicht sagen dürfen, Protoplasma sei eine
Eiweiss-Modification, weil wir nur todtes Protoplasma chemisch
untersuchen können, d. h. ein solches, welches gerade seine
wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer
für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat.
De Vries drückt dies dahin aus, Protoplasma sei überhaupt
kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff. Das
heisst: es besteht nicht blos aus einem ungeordneten Haufen
irgend welcher chemischen Moleküle, sondern aus morphologischen
Einheiten, welche ihrerseits erst wieder aus Molekülen zusammen-
gesetzt sind, oder wie Brücke es zuerst ausgedrückt hat, das
Protoplasma ist „organisirt“. Herbert Spencer und neuer-
dings de Vries und Wiesner haben solche Einheiten an-
genommen, wie in der historischen Einleitung bereits gezeigt
wurde.

De Vries hebt noch hervor, dass das Protoplasma ausser
seinen physikalischen und chemischen Merkmalen noch gewisse
„historische“ Eigenschaften besitze. Man wird gewiss mit de
Vries
bezweifeln dürfen, dass es jemals gelingen werde, „lebendes
Protoplasma auf anderm als auf phylogenetischem Wege“ ent-
stehen zu lassen, d. h. also: künstlich im Laboratorium zu
machen, aber man wird nicht zugeben können, dass dies des-
halb so unwahrscheinlich sei, weil der Begriff des Protoplasma’s

4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0075" n="51"/>
schon vor geraumer Zeit betont, dass das Eiweiss die Fähigkeit<lb/>
der Assimilation nicht besitze, also nicht lebe, und die physio-<lb/>
logische Chemie hat nachgewiesen, dass neben dem Eiweiss<lb/>
noch andere Stoffe aus dem Protoplama erhalten werden, von<lb/>
denen nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass sie<lb/>
bedeutungslos sind. Allerdings sind sie, z. B. die Schwefel-<lb/>
und Phosphorverbindungen, nur in verhältnissmässig geringer<lb/>
Menge im Protoplasma vorhanden, aber daraus kann nicht<lb/>
auf geringe Bedeutung geschlossen werden. Jedenfalls wird<lb/>
man schon deshalb nicht sagen dürfen, Protoplasma sei eine<lb/>
Eiweiss-Modification, weil wir nur todtes Protoplasma chemisch<lb/>
untersuchen können, d. h. ein solches, welches gerade seine<lb/>
wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer<lb/>
für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat.<lb/><hi rendition="#g">De Vries</hi> drückt dies dahin aus, Protoplasma sei überhaupt<lb/>
kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff. Das<lb/>
heisst: es besteht nicht blos aus einem ungeordneten Haufen<lb/>
irgend welcher chemischen Moleküle, sondern aus morphologischen<lb/>
Einheiten, welche ihrerseits erst wieder aus Molekülen zusammen-<lb/>
gesetzt sind, oder wie <hi rendition="#g">Brücke</hi> es zuerst ausgedrückt hat, das<lb/>
Protoplasma ist &#x201E;<hi rendition="#g">organisirt</hi>&#x201C;. <hi rendition="#g">Herbert Spencer</hi> und neuer-<lb/>
dings <hi rendition="#g">de Vries</hi> und <hi rendition="#g">Wiesner</hi> haben solche Einheiten an-<lb/>
genommen, wie in der historischen Einleitung bereits gezeigt<lb/>
wurde.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">De Vries</hi> hebt noch hervor, dass das Protoplasma ausser<lb/>
seinen physikalischen und chemischen Merkmalen noch gewisse<lb/>
&#x201E;historische&#x201C; Eigenschaften besitze. Man wird gewiss mit <hi rendition="#g">de<lb/>
Vries</hi> bezweifeln dürfen, dass es jemals gelingen werde, &#x201E;lebendes<lb/>
Protoplasma auf anderm als auf phylogenetischem Wege&#x201C; ent-<lb/>
stehen zu lassen, d. h. also: künstlich im Laboratorium zu<lb/>
machen, aber man wird nicht zugeben können, dass dies des-<lb/>
halb so unwahrscheinlich sei, weil der Begriff des Protoplasma&#x2019;s<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0075] schon vor geraumer Zeit betont, dass das Eiweiss die Fähigkeit der Assimilation nicht besitze, also nicht lebe, und die physio- logische Chemie hat nachgewiesen, dass neben dem Eiweiss noch andere Stoffe aus dem Protoplama erhalten werden, von denen nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass sie bedeutungslos sind. Allerdings sind sie, z. B. die Schwefel- und Phosphorverbindungen, nur in verhältnissmässig geringer Menge im Protoplasma vorhanden, aber daraus kann nicht auf geringe Bedeutung geschlossen werden. Jedenfalls wird man schon deshalb nicht sagen dürfen, Protoplasma sei eine Eiweiss-Modification, weil wir nur todtes Protoplasma chemisch untersuchen können, d. h. ein solches, welches gerade seine wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat. De Vries drückt dies dahin aus, Protoplasma sei überhaupt kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff. Das heisst: es besteht nicht blos aus einem ungeordneten Haufen irgend welcher chemischen Moleküle, sondern aus morphologischen Einheiten, welche ihrerseits erst wieder aus Molekülen zusammen- gesetzt sind, oder wie Brücke es zuerst ausgedrückt hat, das Protoplasma ist „organisirt“. Herbert Spencer und neuer- dings de Vries und Wiesner haben solche Einheiten an- genommen, wie in der historischen Einleitung bereits gezeigt wurde. De Vries hebt noch hervor, dass das Protoplasma ausser seinen physikalischen und chemischen Merkmalen noch gewisse „historische“ Eigenschaften besitze. Man wird gewiss mit de Vries bezweifeln dürfen, dass es jemals gelingen werde, „lebendes Protoplasma auf anderm als auf phylogenetischem Wege“ ent- stehen zu lassen, d. h. also: künstlich im Laboratorium zu machen, aber man wird nicht zugeben können, dass dies des- halb so unwahrscheinlich sei, weil der Begriff des Protoplasma’s 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/75
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/75>, abgerufen am 28.11.2024.