Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Gestalt auftreten können, männlich oder weiblich. Die eine der
beiden Doppeldeterminanten bleibt inaktiv, wenn die andere in
Thätigkeit tritt. So muss schon die geschlechtliche Differen-
zirung der Keimzellen auf solchen Doppeldeterminanten, spermo-
genen und ovogenen beruhen, aber auch sämmtliche sekundäre
Geschlechtscharaktere werden auf ähnliche idioplasmatische Grund-
lage zu beziehen sein, und die Doppeldeterminanten derselben
sind nicht nur im Keimplasma enthalten, sondern sie rücken
durch die Zellenstufen der Ontogenese bis an die Körperstelle,
an welcher die beiderlei Charaktere sich scheiden. Dann wird
die eine Determinante aktiv, während ihre Zwillingsschwester
inaktiv im Kern einer somatischen Zelle enthalten bleibt, um
unter Umständen im späteren Leben noch aktiv zu werden.
Das Letztere tritt freilich nur ausnahmsweise ein, in den Fällen
nämlich, in welchen z. B. durch Castration ein weibliches Thier
(Ente, Huhn) männliche Charaktere entwickelt. Ein lehrreicher
Beleg für die Anwesenheit von beiderlei Charakteren im ganzen
Körper, also auch für die Annahme von Doppeldeterminanten,
liegt in den Zwitter-Bienen, bei welchen männlich und weib-
lich ausgebildete Theile in buntester Mischung den Körper
zusammensetzen.

Nicht immer aber bleibt es bei der einfachen Doppel-
determinante, sondern es stehen sich ganze weibliche und männ-
liche Determinanten gruppen gegenüber, welche in demselben
Abhängigkeitsverhältniss von einander stehen, wie die Hälften
der einzelnen Doppeldeterminante, d. h. von welchen immer
die eine inaktiv bleibt, wenn die andere aktiv wird. Diese
Gruppen können sehr ungleich sein, die männliche ist in vielen
Fällen (Riechorgane männlicher Cruster, männliche Schmuck-
federn der Vögel) weit reicher an Einzeldeterminanten, als die
weibliche. Die eine Hälfte der Doppelgruppe kann auch ver-
kümmern, so dass das betreffende Organ in dem einen Ge-

Gestalt auftreten können, männlich oder weiblich. Die eine der
beiden Doppeldeterminanten bleibt inaktiv, wenn die andere in
Thätigkeit tritt. So muss schon die geschlechtliche Differen-
zirung der Keimzellen auf solchen Doppeldeterminanten, spermo-
genen und ovogenen beruhen, aber auch sämmtliche sekundäre
Geschlechtscharaktere werden auf ähnliche idioplasmatische Grund-
lage zu beziehen sein, und die Doppeldeterminanten derselben
sind nicht nur im Keimplasma enthalten, sondern sie rücken
durch die Zellenstufen der Ontogenese bis an die Körperstelle,
an welcher die beiderlei Charaktere sich scheiden. Dann wird
die eine Determinante aktiv, während ihre Zwillingsschwester
inaktiv im Kern einer somatischen Zelle enthalten bleibt, um
unter Umständen im späteren Leben noch aktiv zu werden.
Das Letztere tritt freilich nur ausnahmsweise ein, in den Fällen
nämlich, in welchen z. B. durch Castration ein weibliches Thier
(Ente, Huhn) männliche Charaktere entwickelt. Ein lehrreicher
Beleg für die Anwesenheit von beiderlei Charakteren im ganzen
Körper, also auch für die Annahme von Doppeldeterminanten,
liegt in den Zwitter-Bienen, bei welchen männlich und weib-
lich ausgebildete Theile in buntester Mischung den Körper
zusammensetzen.

Nicht immer aber bleibt es bei der einfachen Doppel-
determinante, sondern es stehen sich ganze weibliche und männ-
liche Determinanten gruppen gegenüber, welche in demselben
Abhängigkeitsverhältniss von einander stehen, wie die Hälften
der einzelnen Doppeldeterminante, d. h. von welchen immer
die eine inaktiv bleibt, wenn die andere aktiv wird. Diese
Gruppen können sehr ungleich sein, die männliche ist in vielen
Fällen (Riechorgane männlicher Cruster, männliche Schmuck-
federn der Vögel) weit reicher an Einzeldeterminanten, als die
weibliche. Die eine Hälfte der Doppelgruppe kann auch ver-
kümmern, so dass das betreffende Organ in dem einen Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0630" n="606"/>
Gestalt auftreten können, männlich oder weiblich. Die eine der<lb/>
beiden Doppeldeterminanten bleibt inaktiv, wenn die andere in<lb/>
Thätigkeit tritt. So muss schon die geschlechtliche Differen-<lb/>
zirung der Keimzellen auf solchen Doppeldeterminanten, spermo-<lb/>
genen und ovogenen beruhen, aber auch sämmtliche sekundäre<lb/>
Geschlechtscharaktere werden auf ähnliche idioplasmatische Grund-<lb/>
lage zu beziehen sein, und die Doppeldeterminanten derselben<lb/>
sind nicht nur im Keimplasma enthalten, sondern sie rücken<lb/>
durch die Zellenstufen der Ontogenese bis an die Körperstelle,<lb/>
an welcher die beiderlei Charaktere sich scheiden. Dann wird<lb/>
die eine Determinante aktiv, während ihre Zwillingsschwester<lb/>
inaktiv im Kern einer somatischen Zelle enthalten bleibt, um<lb/>
unter Umständen im späteren Leben noch aktiv zu werden.<lb/>
Das Letztere tritt freilich nur ausnahmsweise ein, in den Fällen<lb/>
nämlich, in welchen z. B. durch Castration ein weibliches Thier<lb/>
(Ente, Huhn) männliche Charaktere entwickelt. Ein lehrreicher<lb/>
Beleg für die Anwesenheit von beiderlei Charakteren im ganzen<lb/>
Körper, also auch für die Annahme von Doppeldeterminanten,<lb/>
liegt in den <hi rendition="#g">Zwitter-Bienen</hi>, bei welchen männlich und weib-<lb/>
lich ausgebildete Theile in buntester Mischung den Körper<lb/>
zusammensetzen.</p><lb/>
        <p>Nicht immer aber bleibt es bei der einfachen Doppel-<lb/>
determinante, sondern es stehen sich ganze weibliche und männ-<lb/>
liche Determinanten <hi rendition="#g">gruppen</hi> gegenüber, welche in demselben<lb/>
Abhängigkeitsverhältniss von einander stehen, wie die Hälften<lb/>
der einzelnen Doppeldeterminante, d. h. von welchen immer<lb/>
die eine inaktiv bleibt, wenn die andere aktiv wird. Diese<lb/>
Gruppen können sehr ungleich sein, die männliche ist in vielen<lb/>
Fällen (Riechorgane männlicher Cruster, männliche Schmuck-<lb/>
federn der Vögel) weit reicher an Einzeldeterminanten, als die<lb/>
weibliche. Die eine Hälfte der Doppelgruppe kann auch ver-<lb/>
kümmern, so dass das betreffende Organ in dem einen Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[606/0630] Gestalt auftreten können, männlich oder weiblich. Die eine der beiden Doppeldeterminanten bleibt inaktiv, wenn die andere in Thätigkeit tritt. So muss schon die geschlechtliche Differen- zirung der Keimzellen auf solchen Doppeldeterminanten, spermo- genen und ovogenen beruhen, aber auch sämmtliche sekundäre Geschlechtscharaktere werden auf ähnliche idioplasmatische Grund- lage zu beziehen sein, und die Doppeldeterminanten derselben sind nicht nur im Keimplasma enthalten, sondern sie rücken durch die Zellenstufen der Ontogenese bis an die Körperstelle, an welcher die beiderlei Charaktere sich scheiden. Dann wird die eine Determinante aktiv, während ihre Zwillingsschwester inaktiv im Kern einer somatischen Zelle enthalten bleibt, um unter Umständen im späteren Leben noch aktiv zu werden. Das Letztere tritt freilich nur ausnahmsweise ein, in den Fällen nämlich, in welchen z. B. durch Castration ein weibliches Thier (Ente, Huhn) männliche Charaktere entwickelt. Ein lehrreicher Beleg für die Anwesenheit von beiderlei Charakteren im ganzen Körper, also auch für die Annahme von Doppeldeterminanten, liegt in den Zwitter-Bienen, bei welchen männlich und weib- lich ausgebildete Theile in buntester Mischung den Körper zusammensetzen. Nicht immer aber bleibt es bei der einfachen Doppel- determinante, sondern es stehen sich ganze weibliche und männ- liche Determinanten gruppen gegenüber, welche in demselben Abhängigkeitsverhältniss von einander stehen, wie die Hälften der einzelnen Doppeldeterminante, d. h. von welchen immer die eine inaktiv bleibt, wenn die andere aktiv wird. Diese Gruppen können sehr ungleich sein, die männliche ist in vielen Fällen (Riechorgane männlicher Cruster, männliche Schmuck- federn der Vögel) weit reicher an Einzeldeterminanten, als die weibliche. Die eine Hälfte der Doppelgruppe kann auch ver- kümmern, so dass das betreffende Organ in dem einen Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/630
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/630>, abgerufen am 19.05.2024.