plicirte Theilungsmaschine der Zelle wesentlich nur wegen der Theilung der Chromatinsubstanz des Kernes vorhanden ist, dass diese also unzweifelhaft der wichtigste Theil des Kernes ist. Da nun die Vererbungssubstanz im Kern enthalten ist, so muss das Chromatin die Vererbungssubstanz sein.
Den Widerspruch, welchen de Vries gegen diese Meinung erhoben hat, halte ich nur für einen scheinbaren. Denn es ist nicht behauptet worden, "dass nur der Kern Träger der erblichen Eigenschaften sei", wie de Vries meint, sondern, dass nur der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, d. h. diejenige Substanz, welche im Stande ist, nicht nur den Charakter der betreffenden Zelle, sondern auch den ihrer Nachkommen zu bestimmen. Diese Substanz aber ist bei Vielzelligen und wohl auch bei Einzelligen niemals im Zell- körper, sondern immer im Kern enthalten. Es mag sein, dass bei gewissen niederen Algen einzelne Zellorgane (Vacuolen, Chlorophyllkörper) direkt von der mütterlichen Eizelle auf ihre Tochterzellen übergehen, obwohl auch dieses keineswegs als erwiesen anzusehen ist. Jedenfalls spielt aber diese direkte Vererbung auch bei Pflanzen nur eine sehr geringfügige Rolle, und bei Thieren wohl gar keine. Denn specifische Organe oder Structuren kommen bei der thierischen Eizelle nicht vor, höchstens Ablagerungen von Nährstoffen. Diese aber sind keine lebendigen Zellorgane, sondern passive chemische Substanzen. De Vries bestreitet auch nicht, dass der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, er baut vielmehr seine ganze Theorie auf dieser Basis auf, die in der That auch nicht mehr zu bestreiten ist. Den letzten Zweifel daran mussten die Ver- suche Boveri's1) beseitigen, der künstlich kernlos gemachte
1)Boveri, "Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütter- liche Eigenschaften". Gesellsch. f. Morph. u. Physiol. München, 16. Juli 1883.
plicirte Theilungsmaschine der Zelle wesentlich nur wegen der Theilung der Chromatinsubstanz des Kernes vorhanden ist, dass diese also unzweifelhaft der wichtigste Theil des Kernes ist. Da nun die Vererbungssubstanz im Kern enthalten ist, so muss das Chromatin die Vererbungssubstanz sein.
Den Widerspruch, welchen de Vries gegen diese Meinung erhoben hat, halte ich nur für einen scheinbaren. Denn es ist nicht behauptet worden, „dass nur der Kern Träger der erblichen Eigenschaften sei“, wie de Vries meint, sondern, dass nur der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, d. h. diejenige Substanz, welche im Stande ist, nicht nur den Charakter der betreffenden Zelle, sondern auch den ihrer Nachkommen zu bestimmen. Diese Substanz aber ist bei Vielzelligen und wohl auch bei Einzelligen niemals im Zell- körper, sondern immer im Kern enthalten. Es mag sein, dass bei gewissen niederen Algen einzelne Zellorgane (Vacuolen, Chlorophyllkörper) direkt von der mütterlichen Eizelle auf ihre Tochterzellen übergehen, obwohl auch dieses keineswegs als erwiesen anzusehen ist. Jedenfalls spielt aber diese direkte Vererbung auch bei Pflanzen nur eine sehr geringfügige Rolle, und bei Thieren wohl gar keine. Denn specifische Organe oder Structuren kommen bei der thierischen Eizelle nicht vor, höchstens Ablagerungen von Nährstoffen. Diese aber sind keine lebendigen Zellorgane, sondern passive chemische Substanzen. De Vries bestreitet auch nicht, dass der Kern die Vererbungssubstanz enthalte, er baut vielmehr seine ganze Theorie auf dieser Basis auf, die in der That auch nicht mehr zu bestreiten ist. Den letzten Zweifel daran mussten die Ver- suche Boveri’s1) beseitigen, der künstlich kernlos gemachte
1)Boveri, „Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütter- liche Eigenschaften“. Gesellsch. f. Morph. u. Physiol. München, 16. Juli 1883.
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plicirte Theilungsmaschine der Zelle wesentlich nur wegen der
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Da nun die Vererbungssubstanz im Kern enthalten ist, so muss
das Chromatin die Vererbungssubstanz sein.
Den Widerspruch, welchen de Vries gegen diese Meinung
erhoben hat, halte ich nur für einen scheinbaren. Denn es ist
nicht behauptet worden, „dass nur der Kern Träger der
erblichen Eigenschaften sei“, wie de Vries meint, sondern,
dass nur der Kern die Vererbungssubstanz enthalte,
d. h. diejenige Substanz, welche im Stande ist, nicht nur
den Charakter der betreffenden Zelle, sondern auch den ihrer
Nachkommen zu bestimmen. Diese Substanz aber ist bei
Vielzelligen und wohl auch bei Einzelligen niemals im Zell-
körper, sondern immer im Kern enthalten. Es mag sein,
dass bei gewissen niederen Algen einzelne Zellorgane (Vacuolen,
Chlorophyllkörper) direkt von der mütterlichen Eizelle auf
ihre Tochterzellen übergehen, obwohl auch dieses keineswegs
als erwiesen anzusehen ist. Jedenfalls spielt aber diese direkte
Vererbung auch bei Pflanzen nur eine sehr geringfügige
Rolle, und bei Thieren wohl gar keine. Denn specifische
Organe oder Structuren kommen bei der thierischen Eizelle
nicht vor, höchstens Ablagerungen von Nährstoffen. Diese
aber sind keine lebendigen Zellorgane, sondern passive chemische
Substanzen. De Vries bestreitet auch nicht, dass der Kern
die Vererbungssubstanz enthalte, er baut vielmehr seine ganze
Theorie auf dieser Basis auf, die in der That auch nicht mehr
zu bestreiten ist. Den letzten Zweifel daran mussten die Ver-
suche Boveri’s 1) beseitigen, der künstlich kernlos gemachte
1) Boveri, „Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütter-
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/62>, abgerufen am 23.11.2024.
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