Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Oberfläche des
Flügels sich bei der braunen Stammform von Phlaeas ganz
gleichmässig in Rothgold umgefärbt hat; es ist viel wahrschein-
licher, dass zuerst ein verwaschener Fleck der Mitte durch
sexuelle Züchtung rothgolden wurde und sich dann gegen die
Ränder hin allmälig ausbreitete. Ist dies so gewesen, dann
müssen die rothgoldenen Schuppen der Mitte durch eine grössere
Majorität homodynamer Determinanten im Keimplasma ver-
treten sein, als die der Randflächen, und dann können wir ein-
sehen, warum die Schwärzung des Flügels zuerst die Seiten-
theile desselben ergreift und zuletzt erst die Mitte. Sobald die
alten "braunen" Determinanten durch Wärme leichter in schwarze
umgewandelt werden, als die "rothgoldenen", wird es so kommen
müssen. Mag aber diese Erklärung in diesem speciellen Falle
richtig sein, oder nicht, jedenfalls haben wir in der ver-
schieden starken Determinantenvertretung des glei-
chen Charakters an verschiedenen Körperstellen ein
Erklärungsprincip, welches uns die ungleiche Wirkung
gleicher Abänderungseinflüsse auf verschiedene Stellen
des Körpers verstehen lässt
.

Wenn es nun auch keinem Zweifel mehr unterliegen kann,
dass klimatische und andere äussere Einflüsse dauernde Abände-
rungen an einer Art hervorzurufen vermögen, indem die lange
Zeit hindurch gleichsinnig einwirkende Ursache die erste leichte
Abänderung gewisser Determinanten verstärkt, und nach und
nach auch die schwerer veränderlichen Varianten der Determi-
nanten beeinflusst, so beruht doch die unendliche Mehrheit der
Abänderungen nicht darauf, sondern auf Selectionsprocessen. Es
fragt sich nun, in welcher Weise hier Variationen von solchem
Betrage entstehen, dass Naturzüchtung mit ihnen operiren
kann. Zunächst schaffen die äusseren Einflüsse nur kleinste
Schwankungen der Determinanten, und man wird annehmen

Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Oberfläche des
Flügels sich bei der braunen Stammform von Phlaeas ganz
gleichmässig in Rothgold umgefärbt hat; es ist viel wahrschein-
licher, dass zuerst ein verwaschener Fleck der Mitte durch
sexuelle Züchtung rothgolden wurde und sich dann gegen die
Ränder hin allmälig ausbreitete. Ist dies so gewesen, dann
müssen die rothgoldenen Schuppen der Mitte durch eine grössere
Majorität homodynamer Determinanten im Keimplasma ver-
treten sein, als die der Randflächen, und dann können wir ein-
sehen, warum die Schwärzung des Flügels zuerst die Seiten-
theile desselben ergreift und zuletzt erst die Mitte. Sobald die
alten „braunen“ Determinanten durch Wärme leichter in schwarze
umgewandelt werden, als die „rothgoldenen“, wird es so kommen
müssen. Mag aber diese Erklärung in diesem speciellen Falle
richtig sein, oder nicht, jedenfalls haben wir in der ver-
schieden starken Determinantenvertretung des glei-
chen Charakters an verschiedenen Körperstellen ein
Erklärungsprincip, welches uns die ungleiche Wirkung
gleicher Abänderungseinflüsse auf verschiedene Stellen
des Körpers verstehen lässt
.

Wenn es nun auch keinem Zweifel mehr unterliegen kann,
dass klimatische und andere äussere Einflüsse dauernde Abände-
rungen an einer Art hervorzurufen vermögen, indem die lange
Zeit hindurch gleichsinnig einwirkende Ursache die erste leichte
Abänderung gewisser Determinanten verstärkt, und nach und
nach auch die schwerer veränderlichen Varianten der Determi-
nanten beeinflusst, so beruht doch die unendliche Mehrheit der
Abänderungen nicht darauf, sondern auf Selectionsprocessen. Es
fragt sich nun, in welcher Weise hier Variationen von solchem
Betrage entstehen, dass Naturzüchtung mit ihnen operiren
kann. Zunächst schaffen die äusseren Einflüsse nur kleinste
Schwankungen der Determinanten, und man wird annehmen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0577" n="553"/>
Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Oberfläche des<lb/>
Flügels sich bei der braunen Stammform von Phlaeas ganz<lb/>
gleichmässig in Rothgold umgefärbt hat; es ist viel wahrschein-<lb/>
licher, dass zuerst ein verwaschener Fleck der Mitte durch<lb/>
sexuelle Züchtung rothgolden wurde und sich dann gegen die<lb/>
Ränder hin allmälig ausbreitete. Ist dies so gewesen, dann<lb/>
müssen die rothgoldenen Schuppen der Mitte durch eine grössere<lb/>
Majorität homodynamer Determinanten im Keimplasma ver-<lb/>
treten sein, als die der Randflächen, und dann können wir ein-<lb/>
sehen, warum die Schwärzung des Flügels zuerst die Seiten-<lb/>
theile desselben ergreift und zuletzt erst die Mitte. Sobald die<lb/>
alten &#x201E;braunen&#x201C; Determinanten durch Wärme leichter in schwarze<lb/>
umgewandelt werden, als die &#x201E;rothgoldenen&#x201C;, wird es so kommen<lb/>
müssen. Mag aber diese Erklärung in diesem speciellen Falle<lb/>
richtig sein, oder nicht, jedenfalls haben wir <hi rendition="#g">in der ver-<lb/>
schieden starken Determinantenvertretung des glei-<lb/>
chen Charakters an verschiedenen Körperstellen ein<lb/>
Erklärungsprincip, welches uns die ungleiche Wirkung<lb/>
gleicher Abänderungseinflüsse auf verschiedene Stellen<lb/>
des Körpers verstehen lässt</hi>.</p><lb/>
            <p>Wenn es nun auch keinem Zweifel mehr unterliegen kann,<lb/>
dass klimatische und andere äussere Einflüsse dauernde Abände-<lb/>
rungen an einer Art hervorzurufen vermögen, indem die lange<lb/>
Zeit hindurch gleichsinnig einwirkende Ursache die erste leichte<lb/>
Abänderung gewisser Determinanten verstärkt, und nach und<lb/>
nach auch die schwerer veränderlichen Varianten der Determi-<lb/>
nanten beeinflusst, so beruht doch die unendliche Mehrheit der<lb/>
Abänderungen nicht darauf, sondern auf Selectionsprocessen. Es<lb/>
fragt sich nun, in welcher Weise hier Variationen von solchem<lb/>
Betrage entstehen, dass Naturzüchtung mit ihnen operiren<lb/>
kann. Zunächst schaffen die äusseren Einflüsse nur kleinste<lb/>
Schwankungen der Determinanten, und man wird annehmen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[553/0577] Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Oberfläche des Flügels sich bei der braunen Stammform von Phlaeas ganz gleichmässig in Rothgold umgefärbt hat; es ist viel wahrschein- licher, dass zuerst ein verwaschener Fleck der Mitte durch sexuelle Züchtung rothgolden wurde und sich dann gegen die Ränder hin allmälig ausbreitete. Ist dies so gewesen, dann müssen die rothgoldenen Schuppen der Mitte durch eine grössere Majorität homodynamer Determinanten im Keimplasma ver- treten sein, als die der Randflächen, und dann können wir ein- sehen, warum die Schwärzung des Flügels zuerst die Seiten- theile desselben ergreift und zuletzt erst die Mitte. Sobald die alten „braunen“ Determinanten durch Wärme leichter in schwarze umgewandelt werden, als die „rothgoldenen“, wird es so kommen müssen. Mag aber diese Erklärung in diesem speciellen Falle richtig sein, oder nicht, jedenfalls haben wir in der ver- schieden starken Determinantenvertretung des glei- chen Charakters an verschiedenen Körperstellen ein Erklärungsprincip, welches uns die ungleiche Wirkung gleicher Abänderungseinflüsse auf verschiedene Stellen des Körpers verstehen lässt. Wenn es nun auch keinem Zweifel mehr unterliegen kann, dass klimatische und andere äussere Einflüsse dauernde Abände- rungen an einer Art hervorzurufen vermögen, indem die lange Zeit hindurch gleichsinnig einwirkende Ursache die erste leichte Abänderung gewisser Determinanten verstärkt, und nach und nach auch die schwerer veränderlichen Varianten der Determi- nanten beeinflusst, so beruht doch die unendliche Mehrheit der Abänderungen nicht darauf, sondern auf Selectionsprocessen. Es fragt sich nun, in welcher Weise hier Variationen von solchem Betrage entstehen, dass Naturzüchtung mit ihnen operiren kann. Zunächst schaffen die äusseren Einflüsse nur kleinste Schwankungen der Determinanten, und man wird annehmen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/577
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/577>, abgerufen am 19.05.2024.