ratur erst in dem Zeitpunkt einwirken lässt, in welchem die Flügelschuppen sich färben. Es ist also nicht eine direkte Beeinflussung der chemischen Umwandlungen, welche die Farb- stoffe erzeugen, sondern eine ganz indirekte Beeinflussung, die man sich etwa als gegenseitige Verschiebung und Umordnung des Biophorenmaterials denken kann, welches die Determinante zusammensetzt, und aus dessen Zusammenwirken der farben- bildende chemische Vorgang sich ableitet.
Dass die Schuppen-Determinanten des Keimplasma's weit schwächer von der Temperatur beeinflusst werden, als die der Flügelanlage, ergiebt sich mit Sicherheit allein schon aus der Existenz des Saison-Dimorphismus. Wäre die umwandelnde Wirkung auf beide gleich stark, dann müsste das Keimplasma in den Keimzellen eines Schmetterlings der Sommergeneration ebenso stark verändert werden, als die Flügel des betreffenden Individuums selbst; dann würde also in den Nachkommen, auch wenn sie von der Kälte getroffen würden, eine stärkere Hin- neigung zur Sommerfärbung eintreten müssen, weil sie eben schon im Keim vorbereitet wäre. Es sei denn, dass der Ein- fluss der Kälte ein stärkerer wäre, als der der Wärme. In jedem Falle aber würde eine Mittelform zwischen der durch Wärme und der durch Kälte hervorgerufenen Färbung sich festsetzen und auf beide Generationen übertragen müssen, auch dann, wenn die beiderlei Einflüsse gleich stark wären. In diesem Falle würde 1 A + 1 B die Färbung jeder Generation sein müssen, wenn wir Winter- und Sommerfärbung als A und B bezeichnen. Nur dann, wenn das Keimplasma weit schwächer verändert wird, als die bereits in der Flügelanlage angekommenen Deter- minanten, kann ein Wechsel der Färbung andauern.
Wahrscheinlich rufen auch bei vielen andern Thieren und Pflanzen Temperatur- oder andere Medium-Einflüsse in ähnlicher Weise dauernde, erbliche Abänderungen hervor, aber es ist
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ratur erst in dem Zeitpunkt einwirken lässt, in welchem die Flügelschuppen sich färben. Es ist also nicht eine direkte Beeinflussung der chemischen Umwandlungen, welche die Farb- stoffe erzeugen, sondern eine ganz indirekte Beeinflussung, die man sich etwa als gegenseitige Verschiebung und Umordnung des Biophorenmaterials denken kann, welches die Determinante zusammensetzt, und aus dessen Zusammenwirken der farben- bildende chemische Vorgang sich ableitet.
Dass die Schuppen-Determinanten des Keimplasma’s weit schwächer von der Temperatur beeinflusst werden, als die der Flügelanlage, ergiebt sich mit Sicherheit allein schon aus der Existenz des Saison-Dimorphismus. Wäre die umwandelnde Wirkung auf beide gleich stark, dann müsste das Keimplasma in den Keimzellen eines Schmetterlings der Sommergeneration ebenso stark verändert werden, als die Flügel des betreffenden Individuums selbst; dann würde also in den Nachkommen, auch wenn sie von der Kälte getroffen würden, eine stärkere Hin- neigung zur Sommerfärbung eintreten müssen, weil sie eben schon im Keim vorbereitet wäre. Es sei denn, dass der Ein- fluss der Kälte ein stärkerer wäre, als der der Wärme. In jedem Falle aber würde eine Mittelform zwischen der durch Wärme und der durch Kälte hervorgerufenen Färbung sich festsetzen und auf beide Generationen übertragen müssen, auch dann, wenn die beiderlei Einflüsse gleich stark wären. In diesem Falle würde 1 A + 1 B die Färbung jeder Generation sein müssen, wenn wir Winter- und Sommerfärbung als A und B bezeichnen. Nur dann, wenn das Keimplasma weit schwächer verändert wird, als die bereits in der Flügelanlage angekommenen Deter- minanten, kann ein Wechsel der Färbung andauern.
Wahrscheinlich rufen auch bei vielen andern Thieren und Pflanzen Temperatur- oder andere Medium-Einflüsse in ähnlicher Weise dauernde, erbliche Abänderungen hervor, aber es ist
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ratur erst in dem Zeitpunkt einwirken lässt, in welchem die
Flügelschuppen sich färben. Es ist also nicht eine direkte
Beeinflussung der chemischen Umwandlungen, welche die Farb-
stoffe erzeugen, sondern eine ganz indirekte Beeinflussung, die
man sich etwa als gegenseitige Verschiebung und Umordnung
des Biophorenmaterials denken kann, welches die Determinante
zusammensetzt, und aus dessen Zusammenwirken der farben-
bildende chemische Vorgang sich ableitet.
Dass die Schuppen-Determinanten des Keimplasma’s weit
schwächer von der Temperatur beeinflusst werden, als die der
Flügelanlage, ergiebt sich mit Sicherheit allein schon aus der
Existenz des Saison-Dimorphismus. Wäre die umwandelnde
Wirkung auf beide gleich stark, dann müsste das Keimplasma
in den Keimzellen eines Schmetterlings der Sommergeneration
ebenso stark verändert werden, als die Flügel des betreffenden
Individuums selbst; dann würde also in den Nachkommen, auch
wenn sie von der Kälte getroffen würden, eine stärkere Hin-
neigung zur Sommerfärbung eintreten müssen, weil sie eben
schon im Keim vorbereitet wäre. Es sei denn, dass der Ein-
fluss der Kälte ein stärkerer wäre, als der der Wärme. In jedem
Falle aber würde eine Mittelform zwischen der durch Wärme und
der durch Kälte hervorgerufenen Färbung sich festsetzen und
auf beide Generationen übertragen müssen, auch dann, wenn die
beiderlei Einflüsse gleich stark wären. In diesem Falle würde
1 A + 1 B die Färbung jeder Generation sein müssen, wenn
wir Winter- und Sommerfärbung als A und B bezeichnen.
Nur dann, wenn das Keimplasma weit schwächer verändert
wird, als die bereits in der Flügelanlage angekommenen Deter-
minanten, kann ein Wechsel der Färbung andauern.
Wahrscheinlich rufen auch bei vielen andern Thieren und
Pflanzen Temperatur- oder andere Medium-Einflüsse in ähnlicher
Weise dauernde, erbliche Abänderungen hervor, aber es ist
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/555>, abgerufen am 22.11.2024.
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