einfache Erklärung dieses scheinbar so verwickelten Falles an die Hand giebt, und lege, eben weil er damit eine Bestätigung dieser Lehre enthält, grossen Werth auf ihn. Weit entfernt davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften eine Stütze zu sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein eines solchen Vorganges zu Stande kommen kann, und worauf er beruht. Nicht eine somatogene Eigenschaft wird vererbt, sondern der abändernde Einfluss, hier die Temperatur, trifft in jedem Individuum zugleich die Flügelanlage, also einen Theil des Soma's, und das Keimplasma der in dem Thier enthaltenen Keimzellen. In der Flügelanlage der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten, wie in den Keimzellen, nämlich diejenigen der betreffenden Flügel- schuppen. Die erstere Abänderung kann sich nicht auf die Keimzellen übertragen, sondern sie bezieht sich nur auf die Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andere aber über- trägt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit die Flügelfärbung derselben, soweit diese nicht wieder durch spä- tere Temperatureinflüsse modificirt wird. Denn dieselben De- terminanten, welche heute im Keimplasma der Keimzellen von Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der Raupe und Puppe von Generation II, und die Abänderung, welche sie erlitten, solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder auch abgeschwächt werden durch Temperatureinflüsse, welche sie treffen, wenn sie in Generation II eingetreten sind.
Da die Wärme den ganzen Körper trifft, so kann es nicht befremden, dass Determinanten, welche überhaupt durch sie verändert werden, diese Veränderungen erleiden, mögen sie liegen, wo sie wollen, im Keimplasma der jungen Ei- oder Samenzellen der Raupe, Puppe und des Schmetterlings, oder in gewissen Zellen der Flügelanlage der Raupe und Puppe. Es folgt aber daraus noch nicht, dass sie an beiden Orten gleich stark verändert
einfache Erklärung dieses scheinbar so verwickelten Falles an die Hand giebt, und lege, eben weil er damit eine Bestätigung dieser Lehre enthält, grossen Werth auf ihn. Weit entfernt davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften eine Stütze zu sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein eines solchen Vorganges zu Stande kommen kann, und worauf er beruht. Nicht eine somatogene Eigenschaft wird vererbt, sondern der abändernde Einfluss, hier die Temperatur, trifft in jedem Individuum zugleich die Flügelanlage, also einen Theil des Soma’s, und das Keimplasma der in dem Thier enthaltenen Keimzellen. In der Flügelanlage der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten, wie in den Keimzellen, nämlich diejenigen der betreffenden Flügel- schuppen. Die erstere Abänderung kann sich nicht auf die Keimzellen übertragen, sondern sie bezieht sich nur auf die Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andere aber über- trägt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit die Flügelfärbung derselben, soweit diese nicht wieder durch spä- tere Temperatureinflüsse modificirt wird. Denn dieselben De- terminanten, welche heute im Keimplasma der Keimzellen von Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der Raupe und Puppe von Generation II, und die Abänderung, welche sie erlitten, solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder auch abgeschwächt werden durch Temperatureinflüsse, welche sie treffen, wenn sie in Generation II eingetreten sind.
Da die Wärme den ganzen Körper trifft, so kann es nicht befremden, dass Determinanten, welche überhaupt durch sie verändert werden, diese Veränderungen erleiden, mögen sie liegen, wo sie wollen, im Keimplasma der jungen Ei- oder Samenzellen der Raupe, Puppe und des Schmetterlings, oder in gewissen Zellen der Flügelanlage der Raupe und Puppe. Es folgt aber daraus noch nicht, dass sie an beiden Orten gleich stark verändert
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einfache Erklärung dieses scheinbar so verwickelten Falles an
die Hand giebt, und lege, eben weil er damit eine Bestätigung
dieser Lehre enthält, grossen Werth auf ihn. Weit entfernt
davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften
eine Stütze zu sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein
eines solchen Vorganges zu Stande kommen kann, und
worauf er beruht. Nicht eine somatogene Eigenschaft wird
vererbt, sondern der abändernde Einfluss, hier die Temperatur,
trifft in jedem Individuum zugleich die Flügelanlage,
also einen Theil des Soma’s, und das Keimplasma der in
dem Thier enthaltenen Keimzellen. In der Flügelanlage
der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten, wie
in den Keimzellen, nämlich diejenigen der betreffenden Flügel-
schuppen. Die erstere Abänderung kann sich nicht auf die
Keimzellen übertragen, sondern sie bezieht sich nur auf die
Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andere aber über-
trägt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit die
Flügelfärbung derselben, soweit diese nicht wieder durch spä-
tere Temperatureinflüsse modificirt wird. Denn dieselben De-
terminanten, welche heute im Keimplasma der Keimzellen von
Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der Raupe
und Puppe von Generation II, und die Abänderung, welche sie
erlitten, solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder
auch abgeschwächt werden durch Temperatureinflüsse, welche
sie treffen, wenn sie in Generation II eingetreten sind.
Da die Wärme den ganzen Körper trifft, so kann es nicht
befremden, dass Determinanten, welche überhaupt durch sie
verändert werden, diese Veränderungen erleiden, mögen sie liegen,
wo sie wollen, im Keimplasma der jungen Ei- oder Samenzellen
der Raupe, Puppe und des Schmetterlings, oder in gewissen Zellen
der Flügelanlage der Raupe und Puppe. Es folgt aber daraus
noch nicht, dass sie an beiden Orten gleich stark verändert
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/550>, abgerufen am 22.11.2024.
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