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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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dusenpolypen finden sich solche. Bei diesen werden nur die
Sexualdeterminanten doppelten Charakter besitzen. Bei den
meisten Thieren aber beschränkt sich der Geschlechtsunterschied
nicht blos auf die Keimzellen, sondern auf mehr oder minder
ausgedehnte Theile des Soma selbst. Bei allen sexuell di-
morphen
Wesen müssen deshalb im Keimplasma noch eine
verschiedene Anzahl von somatischen Charakteren der Anlage
nach doppelt vorhanden sein, alle diejenigen nämlich, welche
bei weiblichen und männlichen Individuen verschieden sind.
Dies sind zunächst die Organe, in welchen die Geschlechtszellen
sich entwickeln, in welchen sie ernährt, aufgespeichert und aus-
geleitet werden, also die sog. Geschlechtsdrüsen und ihre Leitungs-
wege, dann die Begattungsorgane, aktive und passive, und die
Organe zur Eiablage; schliesslich die Organe zur Brutpflege,
mögen dieselben in Milchdrüsen, Zitzen und einem Fruchthälter,
oder in dem Instinkt bestehen, die Eier im Mund aufzubewahren,
wie dies bei einem männlichen Frosch der Tropen vorkommt,
oder in dem Instinkt der Schmetterlingsweibchen, ihre Eier in
bestimmter Weise an eine bestimmte Pflanze zu legen. Auch
in den letzten beiden Fällen muss ein Unterschied im Bau des
Körpers, hier in dem der Nervencentren nach dem Geschlecht
vorhanden sein, und sowohl der männliche als der weibliche
Modus dieser Theile muss latent in jedem Keimplasma ent-
halten sein. Ferner aber gehören alle "sekundären" Ge-
schlechtscharaktere
hierher, die verschiedenen Spürorgane
der Männchen, ihre Anlockungsorgane, die prächtigen Farben
männlicher Vögel und Schmetterlinge, die Duftorgane der Letz-
teren, der Gesang männlicher Vögel und Insekten u. s. w.

Vom Menschen her wissen wir, dass sämmtliche sekundäre
Geschlechtscharaktere nicht nur von den Individuen des ent-
sprechenden Geschlechtes vererbt werden, sondern auch von
denen des andern. Die schöne Sopranstimme der Mutter kann

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dusenpolypen finden sich solche. Bei diesen werden nur die
Sexualdeterminanten doppelten Charakter besitzen. Bei den
meisten Thieren aber beschränkt sich der Geschlechtsunterschied
nicht blos auf die Keimzellen, sondern auf mehr oder minder
ausgedehnte Theile des Soma selbst. Bei allen sexuell di-
morphen
Wesen müssen deshalb im Keimplasma noch eine
verschiedene Anzahl von somatischen Charakteren der Anlage
nach doppelt vorhanden sein, alle diejenigen nämlich, welche
bei weiblichen und männlichen Individuen verschieden sind.
Dies sind zunächst die Organe, in welchen die Geschlechtszellen
sich entwickeln, in welchen sie ernährt, aufgespeichert und aus-
geleitet werden, also die sog. Geschlechtsdrüsen und ihre Leitungs-
wege, dann die Begattungsorgane, aktive und passive, und die
Organe zur Eiablage; schliesslich die Organe zur Brutpflege,
mögen dieselben in Milchdrüsen, Zitzen und einem Fruchthälter,
oder in dem Instinkt bestehen, die Eier im Mund aufzubewahren,
wie dies bei einem männlichen Frosch der Tropen vorkommt,
oder in dem Instinkt der Schmetterlingsweibchen, ihre Eier in
bestimmter Weise an eine bestimmte Pflanze zu legen. Auch
in den letzten beiden Fällen muss ein Unterschied im Bau des
Körpers, hier in dem der Nervencentren nach dem Geschlecht
vorhanden sein, und sowohl der männliche als der weibliche
Modus dieser Theile muss latent in jedem Keimplasma ent-
halten sein. Ferner aber gehören alle „sekundären“ Ge-
schlechtscharaktere
hierher, die verschiedenen Spürorgane
der Männchen, ihre Anlockungsorgane, die prächtigen Farben
männlicher Vögel und Schmetterlinge, die Duftorgane der Letz-
teren, der Gesang männlicher Vögel und Insekten u. s. w.

Vom Menschen her wissen wir, dass sämmtliche sekundäre
Geschlechtscharaktere nicht nur von den Individuen des ent-
sprechenden Geschlechtes vererbt werden, sondern auch von
denen des andern. Die schöne Sopranstimme der Mutter kann

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[467/0491] dusenpolypen finden sich solche. Bei diesen werden nur die Sexualdeterminanten doppelten Charakter besitzen. Bei den meisten Thieren aber beschränkt sich der Geschlechtsunterschied nicht blos auf die Keimzellen, sondern auf mehr oder minder ausgedehnte Theile des Soma selbst. Bei allen sexuell di- morphen Wesen müssen deshalb im Keimplasma noch eine verschiedene Anzahl von somatischen Charakteren der Anlage nach doppelt vorhanden sein, alle diejenigen nämlich, welche bei weiblichen und männlichen Individuen verschieden sind. Dies sind zunächst die Organe, in welchen die Geschlechtszellen sich entwickeln, in welchen sie ernährt, aufgespeichert und aus- geleitet werden, also die sog. Geschlechtsdrüsen und ihre Leitungs- wege, dann die Begattungsorgane, aktive und passive, und die Organe zur Eiablage; schliesslich die Organe zur Brutpflege, mögen dieselben in Milchdrüsen, Zitzen und einem Fruchthälter, oder in dem Instinkt bestehen, die Eier im Mund aufzubewahren, wie dies bei einem männlichen Frosch der Tropen vorkommt, oder in dem Instinkt der Schmetterlingsweibchen, ihre Eier in bestimmter Weise an eine bestimmte Pflanze zu legen. Auch in den letzten beiden Fällen muss ein Unterschied im Bau des Körpers, hier in dem der Nervencentren nach dem Geschlecht vorhanden sein, und sowohl der männliche als der weibliche Modus dieser Theile muss latent in jedem Keimplasma ent- halten sein. Ferner aber gehören alle „sekundären“ Ge- schlechtscharaktere hierher, die verschiedenen Spürorgane der Männchen, ihre Anlockungsorgane, die prächtigen Farben männlicher Vögel und Schmetterlinge, die Duftorgane der Letz- teren, der Gesang männlicher Vögel und Insekten u. s. w. Vom Menschen her wissen wir, dass sämmtliche sekundäre Geschlechtscharaktere nicht nur von den Individuen des ent- sprechenden Geschlechtes vererbt werden, sondern auch von denen des andern. Die schöne Sopranstimme der Mutter kann 30*

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/491>, abgerufen am 22.11.2024.