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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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falls verändert zu werden brauchten. Die "Eigenschaften" sind
aber auch "fast in jedem Verhältniss mit einander mischbar",
wie besonders die Versuche über Bastardirung und Kreuzung
lehren sollen; "nirgendwo tritt so klar wie hier das Bild der
Art gegenüber seiner Zusammensetzung aus selbständigen Fak-
toren in den Hintergrund". Die Eigenschaften, oder vielmehr
ihr materielles Substrat, sind also selbständig und fast beliebig
mischbar.

Die Träger nun dieser die Art zusammensetzenden "Eigen-
schaften" sind eben jene "Pangene", jene kleinsten Lebens-Ein-
heiten, welche de Vries an Stelle der Darwin'schen "Zellen-
keimchen" setzt.

Der Grundgedanke der ganzen Deduction ist gewiss voll-
kommen richtig; als ich vor einem Jahrzehnt zuerst anfing,
mich in das Problem der Vererbung zu vertiefen, glaubte ich
noch an die Möglichkeit einer epigenetischen Theorie, habe sie
aber auch längst als unmöglich erkannt, wie man im Verlauf
dieses Buches sehen wird. Auch ich denke mir die Vererbungs-
substanz aus "Anlagen" zusammengesetzt und glaube sogar,
diese Annahme als unvermeidlich und als eine völlig gesicherte
nachweisen zu können. Aber ich meine nicht, dass wir mit
"Pangenen" ausreichen zur Erklärung der Vererbungserschei-
nungen. De Vries lässt die Keimsubstanz aus einer Menge
verschiedener Arten von Pangenen bestehen, von denen so viele
vorhanden sein müssen, als "Eigenschaften" bei der Art vor-
kommen. Diese Pangene denkt sich nun de Vries nicht in
festem geordneten Verband, sondern frei mischbar, wie es der
angenommenen "freien Mischbarkeit der Eigenschaften" entspricht.
Höhere Einheiten, die etwa eine bestimmte Zahl Pangene ge-
ordnet zusammenhielten, bekämpft er als eine überflüssige An-
nahme und darin scheint mir der schwache Punkt seiner Auf-
stellungen zu liegen.

falls verändert zu werden brauchten. Die „Eigenschaften“ sind
aber auch „fast in jedem Verhältniss mit einander mischbar“,
wie besonders die Versuche über Bastardirung und Kreuzung
lehren sollen; „nirgendwo tritt so klar wie hier das Bild der
Art gegenüber seiner Zusammensetzung aus selbständigen Fak-
toren in den Hintergrund“. Die Eigenschaften, oder vielmehr
ihr materielles Substrat, sind also selbständig und fast beliebig
mischbar.

Die Träger nun dieser die Art zusammensetzenden „Eigen-
schaften“ sind eben jene „Pangene“, jene kleinsten Lebens-Ein-
heiten, welche de Vries an Stelle der Darwin’schen „Zellen-
keimchen“ setzt.

Der Grundgedanke der ganzen Deduction ist gewiss voll-
kommen richtig; als ich vor einem Jahrzehnt zuerst anfing,
mich in das Problem der Vererbung zu vertiefen, glaubte ich
noch an die Möglichkeit einer epigenetischen Theorie, habe sie
aber auch längst als unmöglich erkannt, wie man im Verlauf
dieses Buches sehen wird. Auch ich denke mir die Vererbungs-
substanz aus „Anlagen“ zusammengesetzt und glaube sogar,
diese Annahme als unvermeidlich und als eine völlig gesicherte
nachweisen zu können. Aber ich meine nicht, dass wir mit
„Pangenen“ ausreichen zur Erklärung der Vererbungserschei-
nungen. De Vries lässt die Keimsubstanz aus einer Menge
verschiedener Arten von Pangenen bestehen, von denen so viele
vorhanden sein müssen, als „Eigenschaften“ bei der Art vor-
kommen. Diese Pangene denkt sich nun de Vries nicht in
festem geordneten Verband, sondern frei mischbar, wie es der
angenommenen „freien Mischbarkeit der Eigenschaften“ entspricht.
Höhere Einheiten, die etwa eine bestimmte Zahl Pangene ge-
ordnet zusammenhielten, bekämpft er als eine überflüssige An-
nahme und darin scheint mir der schwache Punkt seiner Auf-
stellungen zu liegen.

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[21/0045] falls verändert zu werden brauchten. Die „Eigenschaften“ sind aber auch „fast in jedem Verhältniss mit einander mischbar“, wie besonders die Versuche über Bastardirung und Kreuzung lehren sollen; „nirgendwo tritt so klar wie hier das Bild der Art gegenüber seiner Zusammensetzung aus selbständigen Fak- toren in den Hintergrund“. Die Eigenschaften, oder vielmehr ihr materielles Substrat, sind also selbständig und fast beliebig mischbar. Die Träger nun dieser die Art zusammensetzenden „Eigen- schaften“ sind eben jene „Pangene“, jene kleinsten Lebens-Ein- heiten, welche de Vries an Stelle der Darwin’schen „Zellen- keimchen“ setzt. Der Grundgedanke der ganzen Deduction ist gewiss voll- kommen richtig; als ich vor einem Jahrzehnt zuerst anfing, mich in das Problem der Vererbung zu vertiefen, glaubte ich noch an die Möglichkeit einer epigenetischen Theorie, habe sie aber auch längst als unmöglich erkannt, wie man im Verlauf dieses Buches sehen wird. Auch ich denke mir die Vererbungs- substanz aus „Anlagen“ zusammengesetzt und glaube sogar, diese Annahme als unvermeidlich und als eine völlig gesicherte nachweisen zu können. Aber ich meine nicht, dass wir mit „Pangenen“ ausreichen zur Erklärung der Vererbungserschei- nungen. De Vries lässt die Keimsubstanz aus einer Menge verschiedener Arten von Pangenen bestehen, von denen so viele vorhanden sein müssen, als „Eigenschaften“ bei der Art vor- kommen. Diese Pangene denkt sich nun de Vries nicht in festem geordneten Verband, sondern frei mischbar, wie es der angenommenen „freien Mischbarkeit der Eigenschaften“ entspricht. Höhere Einheiten, die etwa eine bestimmte Zahl Pangene ge- ordnet zusammenhielten, bekämpft er als eine überflüssige An- nahme und darin scheint mir der schwache Punkt seiner Auf- stellungen zu liegen.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/45>, abgerufen am 18.04.2024.