Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

blauen, d. h. der ursprünglichen Färbung der Columba livia
vorkommen, wenn auch solche blaue Unter-Rassen bei einigen
der Hauptrassen selten sind. Die übrigen Rassen-Merkmale
schliessen also jedenfalls die blaue Färbung nicht aus, und so
wird auch umgekehrt, die Rückkehr zur blauen Färbung nicht
nothwendig eine Rückkehr zu allen übrigen Charakteren der
Stammart nothwendig machen.

Vollkommen sicher ist, dass in den meisten durch Kreuzung
hervorgerufenen Fällen von Rückschlag dieser selbst in der
Färbung kein vollständiger ist, sondern von den schwächsten,
kaum erkennbaren Andeutungen der Flügel- und Schwanzbinden
durch theilweise Blaufärbung mit vollkommenen Binden bis
zur vollständigen Schieferfarbe und der ausgebildeten Zeichnung
der Stammform emporsteigt. Die grösste Zahl der Tauben-
Rückschläge sind also sicher unvollkommene Rückschläge,
d. h. Rückschläge auf einzelne oder auf Gruppen von
Charakteren
, und mit der theoretischen Erklärung dieser Fälle
haben wir es hier zu thun.

Ich stelle die beiden Thatsachen voran, dass alle werth-
vollen Taubenrassen unter sich rein züchten, dass alle Haupt-
rassen durch Form unterschiede charakterisirt sind, und dass
erst die Unterrassen auf Farben-Unterschieden beruhen. Dies
heisst, wie mir scheint, erstens, dass das Keimplasma dieser
Hauptrassen in der Hauptsache abgeändert ist dem der Felsen-
taube gegenüber, und dass nur kleinere Theile desselben der
Stammform entsprechen; weiter aber, dass nicht alle Deter-
minanten gleich stark abgeändert sind
; die der Färbung
am wenigsten, die des gesammten Körperbaues am meisten. Ich
denke mir deshalb das Keimplasma einer Hauptrasse aus lauter
abgeänderten Idanten zusammengesetzt; keiner derselben ent-
spricht mehr vollkommen der Stammform, d. h. keiner derselben,
wenn er für sich allein die Ontogenese leitete, würde zur Bil-

blauen, d. h. der ursprünglichen Färbung der Columba livia
vorkommen, wenn auch solche blaue Unter-Rassen bei einigen
der Hauptrassen selten sind. Die übrigen Rassen-Merkmale
schliessen also jedenfalls die blaue Färbung nicht aus, und so
wird auch umgekehrt, die Rückkehr zur blauen Färbung nicht
nothwendig eine Rückkehr zu allen übrigen Charakteren der
Stammart nothwendig machen.

Vollkommen sicher ist, dass in den meisten durch Kreuzung
hervorgerufenen Fällen von Rückschlag dieser selbst in der
Färbung kein vollständiger ist, sondern von den schwächsten,
kaum erkennbaren Andeutungen der Flügel- und Schwanzbinden
durch theilweise Blaufärbung mit vollkommenen Binden bis
zur vollständigen Schieferfarbe und der ausgebildeten Zeichnung
der Stammform emporsteigt. Die grösste Zahl der Tauben-
Rückschläge sind also sicher unvollkommene Rückschläge,
d. h. Rückschläge auf einzelne oder auf Gruppen von
Charakteren
, und mit der theoretischen Erklärung dieser Fälle
haben wir es hier zu thun.

Ich stelle die beiden Thatsachen voran, dass alle werth-
vollen Taubenrassen unter sich rein züchten, dass alle Haupt-
rassen durch Form unterschiede charakterisirt sind, und dass
erst die Unterrassen auf Farben-Unterschieden beruhen. Dies
heisst, wie mir scheint, erstens, dass das Keimplasma dieser
Hauptrassen in der Hauptsache abgeändert ist dem der Felsen-
taube gegenüber, und dass nur kleinere Theile desselben der
Stammform entsprechen; weiter aber, dass nicht alle Deter-
minanten gleich stark abgeändert sind
; die der Färbung
am wenigsten, die des gesammten Körperbaues am meisten. Ich
denke mir deshalb das Keimplasma einer Hauptrasse aus lauter
abgeänderten Idanten zusammengesetzt; keiner derselben ent-
spricht mehr vollkommen der Stammform, d. h. keiner derselben,
wenn er für sich allein die Ontogenese leitete, würde zur Bil-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0449" n="425"/>
blauen, d. h. der ursprünglichen Färbung der Columba livia<lb/>
vorkommen, wenn auch solche blaue Unter-Rassen bei einigen<lb/>
der Hauptrassen selten sind. Die übrigen Rassen-Merkmale<lb/>
schliessen also jedenfalls die blaue Färbung nicht aus, und so<lb/>
wird auch umgekehrt, die Rückkehr zur blauen Färbung nicht<lb/>
nothwendig eine Rückkehr zu allen übrigen Charakteren der<lb/>
Stammart nothwendig machen.</p><lb/>
            <p>Vollkommen sicher ist, dass in den meisten durch Kreuzung<lb/>
hervorgerufenen Fällen von Rückschlag dieser selbst in der<lb/>
Färbung kein vollständiger ist, sondern von den schwächsten,<lb/>
kaum erkennbaren Andeutungen der Flügel- und Schwanzbinden<lb/>
durch theilweise Blaufärbung mit vollkommenen Binden bis<lb/>
zur vollständigen Schieferfarbe und der ausgebildeten Zeichnung<lb/>
der Stammform emporsteigt. Die grösste Zahl der Tauben-<lb/>
Rückschläge sind also sicher <hi rendition="#g">unvollkommene Rückschläge,<lb/>
d. h. Rückschläge auf einzelne oder auf Gruppen von<lb/>
Charakteren</hi>, und mit der theoretischen Erklärung dieser Fälle<lb/>
haben wir es hier zu thun.</p><lb/>
            <p>Ich stelle die beiden Thatsachen voran, dass alle werth-<lb/>
vollen Taubenrassen unter sich rein züchten, dass alle Haupt-<lb/>
rassen durch <hi rendition="#g">Form</hi> unterschiede charakterisirt sind, und dass<lb/>
erst die Unterrassen auf <hi rendition="#g">Farben</hi>-Unterschieden beruhen. Dies<lb/>
heisst, wie mir scheint, erstens, dass das Keimplasma dieser<lb/>
Hauptrassen in der Hauptsache abgeändert ist dem der Felsen-<lb/>
taube gegenüber, und dass nur kleinere Theile desselben der<lb/>
Stammform entsprechen; weiter aber, dass <hi rendition="#g">nicht alle Deter-<lb/>
minanten gleich stark abgeändert sind</hi>; die der Färbung<lb/>
am wenigsten, die des gesammten Körperbaues am meisten. Ich<lb/>
denke mir deshalb das Keimplasma einer Hauptrasse aus lauter<lb/>
abgeänderten Idanten zusammengesetzt; keiner derselben ent-<lb/>
spricht mehr vollkommen der Stammform, d. h. keiner derselben,<lb/>
wenn er für sich allein die Ontogenese leitete, würde zur Bil-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0449] blauen, d. h. der ursprünglichen Färbung der Columba livia vorkommen, wenn auch solche blaue Unter-Rassen bei einigen der Hauptrassen selten sind. Die übrigen Rassen-Merkmale schliessen also jedenfalls die blaue Färbung nicht aus, und so wird auch umgekehrt, die Rückkehr zur blauen Färbung nicht nothwendig eine Rückkehr zu allen übrigen Charakteren der Stammart nothwendig machen. Vollkommen sicher ist, dass in den meisten durch Kreuzung hervorgerufenen Fällen von Rückschlag dieser selbst in der Färbung kein vollständiger ist, sondern von den schwächsten, kaum erkennbaren Andeutungen der Flügel- und Schwanzbinden durch theilweise Blaufärbung mit vollkommenen Binden bis zur vollständigen Schieferfarbe und der ausgebildeten Zeichnung der Stammform emporsteigt. Die grösste Zahl der Tauben- Rückschläge sind also sicher unvollkommene Rückschläge, d. h. Rückschläge auf einzelne oder auf Gruppen von Charakteren, und mit der theoretischen Erklärung dieser Fälle haben wir es hier zu thun. Ich stelle die beiden Thatsachen voran, dass alle werth- vollen Taubenrassen unter sich rein züchten, dass alle Haupt- rassen durch Form unterschiede charakterisirt sind, und dass erst die Unterrassen auf Farben-Unterschieden beruhen. Dies heisst, wie mir scheint, erstens, dass das Keimplasma dieser Hauptrassen in der Hauptsache abgeändert ist dem der Felsen- taube gegenüber, und dass nur kleinere Theile desselben der Stammform entsprechen; weiter aber, dass nicht alle Deter- minanten gleich stark abgeändert sind; die der Färbung am wenigsten, die des gesammten Körperbaues am meisten. Ich denke mir deshalb das Keimplasma einer Hauptrasse aus lauter abgeänderten Idanten zusammengesetzt; keiner derselben ent- spricht mehr vollkommen der Stammform, d. h. keiner derselben, wenn er für sich allein die Ontogenese leitete, würde zur Bil-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/449
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/449>, abgerufen am 25.11.2024.