Der Bastard hält so genau, als man nur erwarten kann, die Mitte zwischen den Stammarten und zeigt zugleich "eine auf- fallende Gleichartigkeit aller Ähren" in voller Überin- stimmung mit der Theorie. Der Bastard ist in allen Exem- plaren zweizeilig, die Spelzen der Hauptährchen sind schwarz, die der Seitenährchen weiss, die "Löffel", eine Eigenthümlichkeit von Hordeum trifurcatum, sind schwarz und weiss. Diese Bastarde lieferten nun unter sich eine Nachkommenschaft, welche sowohl in erster, als zweiter Generation äusserst variabel war.
Liebscher suchte diese Variabilität dadurch zu erklären, dass er annahm, es werde durch die Fortpflanzung ausser einer "neuen Combination individueller Eigenschaften" auch noch eine "Lockerung der Structur des Keimplasma's" bewirkt. Diese Letztere verursache eine "Abschwächung der Vererbungstreue des Zeugungsproduktes", d. h. eine "Neigung zur individuellen Variation in dessen Nachkommenschaft". Dies war gewiss schon eine Ahnung des wirklichen, idioplasmatischen Vorganges, aber man sieht doch nicht ein, worin diese "Lockerung" eigentlich bestehen könnte.
Sobald aber das Keimplasma aus einer grösseren Zahl von Iden zusammengesetzt ist, kann man dieser "Lockerung" einen bestimmten Sinn unterlegen. Sie beruht auf der bei jeder Keim- zellen-Bildung sich wiederholenden Entfernung der Hälfte der Ide. Das Keimplasma des Bastards besteht zur Hälfte aus mütterlichen Iden der Art A, zur Hälfte aus väterlichen Iden der Art B; bei der Keimzellenbildung wird diese vollkommen gleichmässige Zusammensetzung eine ganz ungleichartige da- durch, dass die Reductionstheilung in verschiedener Weise das Keimplasma halbirt. Denkt man sich die Ide oder auch die Idanten in einem Kreis angeordnet, so schneidet die halbirende Theilungsebene bald hier, bald dort durch, und die Combination
Der Bastard hält so genau, als man nur erwarten kann, die Mitte zwischen den Stammarten und zeigt zugleich „eine auf- fallende Gleichartigkeit aller Ähren“ in voller Überin- stimmung mit der Theorie. Der Bastard ist in allen Exem- plaren zweizeilig, die Spelzen der Hauptährchen sind schwarz, die der Seitenährchen weiss, die „Löffel“, eine Eigenthümlichkeit von Hordeum trifurcatum, sind schwarz und weiss. Diese Bastarde lieferten nun unter sich eine Nachkommenschaft, welche sowohl in erster, als zweiter Generation äusserst variabel war.
Liebscher suchte diese Variabilität dadurch zu erklären, dass er annahm, es werde durch die Fortpflanzung ausser einer „neuen Combination individueller Eigenschaften“ auch noch eine „Lockerung der Structur des Keimplasma’s“ bewirkt. Diese Letztere verursache eine „Abschwächung der Vererbungstreue des Zeugungsproduktes“, d. h. eine „Neigung zur individuellen Variation in dessen Nachkommenschaft“. Dies war gewiss schon eine Ahnung des wirklichen, idioplasmatischen Vorganges, aber man sieht doch nicht ein, worin diese „Lockerung“ eigentlich bestehen könnte.
Sobald aber das Keimplasma aus einer grösseren Zahl von Iden zusammengesetzt ist, kann man dieser „Lockerung“ einen bestimmten Sinn unterlegen. Sie beruht auf der bei jeder Keim- zellen-Bildung sich wiederholenden Entfernung der Hälfte der Ide. Das Keimplasma des Bastards besteht zur Hälfte aus mütterlichen Iden der Art A, zur Hälfte aus väterlichen Iden der Art B; bei der Keimzellenbildung wird diese vollkommen gleichmässige Zusammensetzung eine ganz ungleichartige da- durch, dass die Reductionstheilung in verschiedener Weise das Keimplasma halbirt. Denkt man sich die Ide oder auch die Idanten in einem Kreis angeordnet, so schneidet die halbirende Theilungsebene bald hier, bald dort durch, und die Combination
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Der Bastard hält so genau, als man nur erwarten kann, die
Mitte zwischen den Stammarten und zeigt zugleich „eine auf-
fallende Gleichartigkeit aller Ähren“ in voller Überin-
stimmung mit der Theorie. Der Bastard ist in allen Exem-
plaren zweizeilig, die Spelzen der Hauptährchen sind schwarz,
die der Seitenährchen weiss, die „Löffel“, eine Eigenthümlichkeit
von Hordeum trifurcatum, sind schwarz und weiss. Diese
Bastarde lieferten nun unter sich eine Nachkommenschaft, welche
sowohl in erster, als zweiter Generation äusserst
variabel war.
Liebscher suchte diese Variabilität dadurch zu erklären,
dass er annahm, es werde durch die Fortpflanzung ausser einer
„neuen Combination individueller Eigenschaften“ auch noch
eine „Lockerung der Structur des Keimplasma’s“ bewirkt. Diese
Letztere verursache eine „Abschwächung der Vererbungstreue
des Zeugungsproduktes“, d. h. eine „Neigung zur individuellen
Variation in dessen Nachkommenschaft“. Dies war gewiss schon
eine Ahnung des wirklichen, idioplasmatischen Vorganges, aber
man sieht doch nicht ein, worin diese „Lockerung“ eigentlich
bestehen könnte.
Sobald aber das Keimplasma aus einer grösseren Zahl von
Iden zusammengesetzt ist, kann man dieser „Lockerung“ einen
bestimmten Sinn unterlegen. Sie beruht auf der bei jeder Keim-
zellen-Bildung sich wiederholenden Entfernung der Hälfte der
Ide. Das Keimplasma des Bastards besteht zur Hälfte aus
mütterlichen Iden der Art A, zur Hälfte aus väterlichen Iden
der Art B; bei der Keimzellenbildung wird diese vollkommen
gleichmässige Zusammensetzung eine ganz ungleichartige da-
durch, dass die Reductionstheilung in verschiedener Weise das
Keimplasma halbirt. Denkt man sich die Ide oder auch die
Idanten in einem Kreis angeordnet, so schneidet die halbirende
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/419>, abgerufen am 25.11.2024.
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