liegt zunächst in diesen Thatsachen noch nicht; es könnte ja auch die Reihe in umgekehrter Richtung sich entwickelt haben, der primäre Zustand könnte der der späten Differenzirung der Keimzellen gewesen sein, und aus diesem erst in einzelnen Fällen sich eine frühere bis ganz frühe Differenzirung derselben heraus- gebildet haben. Man kann sogar kaum daran zweifeln, dass die frühe Differenzirung bei den Dipteren und Daphniden sekundärer Natur ist; auch wird sogleich zu zeigen sein, dass bei den Hydroiden Verschiebungen der Bildungsstätte der Keim- zellen im Sinne ihrer früheren Differenzirung geradezu nach- weisbar sind. Aber die angeführten Thatsachen befürworten doch insofern die ihnen gegebene Deutung, als sie zeigen, dass die Keimzellen sich keineswegs stets erst zu der Zeit und an der Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen; dass ihre Bildungszeit thatsächlich eine sehr verschiedene ist, und dass somit eine Verschiebung derselben im Laufe der Phylogenese stattgefunden haben muss. In welcher Richtung dieselbe ursprünglich stattgefunden hat, ob vom Ei aus gegen das Ende der Ontogenese hin, oder umgekehrt, darüber müssen weitere Thatsachen die Entscheidung geben.
Hier liesse sich zunächst die Thatsache geltend machen, dass bei keinem noch so niederen Thier die Zerstörung der Geschlechtsdrüsen die Bildung von Geschlechtszellen an irgend einer andern Stelle des Körpers zur Folge hat. Wenn sich Keimzellen aus beliebigen jungen Zellen bilden könnten, so sollte man erwarten, dass Castration diese Folge hätte. Nichts von dem geschieht, vielmehr verhält es sich ganz so wie mit irgend einem jener hoch specialisirten Organe, wie die Leber, die Nieren, die Centraltheile des Nervensystems bei den Wirbelthieren, die einmal entfernt sich nie wieder ersetzen. Wir werden dies nach unserer heutigen Auffassung so erklären, dass ihre Wiederbildung unmöglich ist, weil die für ihre Ent-
liegt zunächst in diesen Thatsachen noch nicht; es könnte ja auch die Reihe in umgekehrter Richtung sich entwickelt haben, der primäre Zustand könnte der der späten Differenzirung der Keimzellen gewesen sein, und aus diesem erst in einzelnen Fällen sich eine frühere bis ganz frühe Differenzirung derselben heraus- gebildet haben. Man kann sogar kaum daran zweifeln, dass die frühe Differenzirung bei den Dipteren und Daphniden sekundärer Natur ist; auch wird sogleich zu zeigen sein, dass bei den Hydroiden Verschiebungen der Bildungsstätte der Keim- zellen im Sinne ihrer früheren Differenzirung geradezu nach- weisbar sind. Aber die angeführten Thatsachen befürworten doch insofern die ihnen gegebene Deutung, als sie zeigen, dass die Keimzellen sich keineswegs stets erst zu der Zeit und an der Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen; dass ihre Bildungszeit thatsächlich eine sehr verschiedene ist, und dass somit eine Verschiebung derselben im Laufe der Phylogenese stattgefunden haben muss. In welcher Richtung dieselbe ursprünglich stattgefunden hat, ob vom Ei aus gegen das Ende der Ontogenese hin, oder umgekehrt, darüber müssen weitere Thatsachen die Entscheidung geben.
Hier liesse sich zunächst die Thatsache geltend machen, dass bei keinem noch so niederen Thier die Zerstörung der Geschlechtsdrüsen die Bildung von Geschlechtszellen an irgend einer andern Stelle des Körpers zur Folge hat. Wenn sich Keimzellen aus beliebigen jungen Zellen bilden könnten, so sollte man erwarten, dass Castration diese Folge hätte. Nichts von dem geschieht, vielmehr verhält es sich ganz so wie mit irgend einem jener hoch specialisirten Organe, wie die Leber, die Nieren, die Centraltheile des Nervensystems bei den Wirbelthieren, die einmal entfernt sich nie wieder ersetzen. Wir werden dies nach unserer heutigen Auffassung so erklären, dass ihre Wiederbildung unmöglich ist, weil die für ihre Ent-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0269"n="245"/>
liegt zunächst in diesen Thatsachen noch nicht; es könnte ja<lb/>
auch die Reihe in umgekehrter Richtung sich entwickelt haben,<lb/>
der primäre Zustand könnte der der späten Differenzirung der<lb/>
Keimzellen gewesen sein, und aus diesem erst in einzelnen Fällen<lb/>
sich eine frühere bis ganz frühe Differenzirung derselben heraus-<lb/>
gebildet haben. Man kann sogar kaum daran zweifeln, dass<lb/>
die frühe Differenzirung bei den Dipteren und Daphniden<lb/>
sekundärer Natur ist; auch wird sogleich zu zeigen sein, dass<lb/>
bei den Hydroiden Verschiebungen der Bildungsstätte der Keim-<lb/>
zellen im Sinne ihrer früheren Differenzirung geradezu nach-<lb/>
weisbar sind. Aber die angeführten Thatsachen befürworten<lb/>
doch insofern die ihnen gegebene Deutung, als sie zeigen, dass die<lb/>
Keimzellen sich keineswegs stets erst zu der Zeit und an der<lb/>
Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen;<lb/>
dass ihre Bildungszeit thatsächlich eine sehr verschiedene ist,<lb/>
und dass somit eine Verschiebung derselben im Laufe der<lb/>
Phylogenese stattgefunden haben muss. In welcher Richtung<lb/>
dieselbe ursprünglich stattgefunden hat, ob vom Ei aus gegen<lb/>
das Ende der Ontogenese hin, oder umgekehrt, darüber müssen<lb/>
weitere Thatsachen die Entscheidung geben.</p><lb/><p>Hier liesse sich zunächst die Thatsache geltend machen,<lb/>
dass bei keinem noch so niederen Thier <hirendition="#g">die Zerstörung der<lb/>
Geschlechtsdrüsen</hi> die Bildung von Geschlechtszellen an<lb/>
irgend einer andern Stelle des Körpers zur Folge hat. Wenn<lb/>
sich Keimzellen aus beliebigen jungen Zellen bilden könnten,<lb/>
so sollte man erwarten, dass Castration diese Folge hätte.<lb/>
Nichts von dem geschieht, vielmehr verhält es sich ganz so<lb/>
wie mit irgend einem jener hoch specialisirten Organe, wie die<lb/>
Leber, die Nieren, die Centraltheile des Nervensystems bei den<lb/>
Wirbelthieren, die einmal entfernt sich nie wieder ersetzen.<lb/>
Wir werden dies nach unserer heutigen Auffassung so erklären,<lb/>
dass ihre Wiederbildung unmöglich ist, weil die für ihre Ent-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[245/0269]
liegt zunächst in diesen Thatsachen noch nicht; es könnte ja
auch die Reihe in umgekehrter Richtung sich entwickelt haben,
der primäre Zustand könnte der der späten Differenzirung der
Keimzellen gewesen sein, und aus diesem erst in einzelnen Fällen
sich eine frühere bis ganz frühe Differenzirung derselben heraus-
gebildet haben. Man kann sogar kaum daran zweifeln, dass
die frühe Differenzirung bei den Dipteren und Daphniden
sekundärer Natur ist; auch wird sogleich zu zeigen sein, dass
bei den Hydroiden Verschiebungen der Bildungsstätte der Keim-
zellen im Sinne ihrer früheren Differenzirung geradezu nach-
weisbar sind. Aber die angeführten Thatsachen befürworten
doch insofern die ihnen gegebene Deutung, als sie zeigen, dass die
Keimzellen sich keineswegs stets erst zu der Zeit und an der
Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen;
dass ihre Bildungszeit thatsächlich eine sehr verschiedene ist,
und dass somit eine Verschiebung derselben im Laufe der
Phylogenese stattgefunden haben muss. In welcher Richtung
dieselbe ursprünglich stattgefunden hat, ob vom Ei aus gegen
das Ende der Ontogenese hin, oder umgekehrt, darüber müssen
weitere Thatsachen die Entscheidung geben.
Hier liesse sich zunächst die Thatsache geltend machen,
dass bei keinem noch so niederen Thier die Zerstörung der
Geschlechtsdrüsen die Bildung von Geschlechtszellen an
irgend einer andern Stelle des Körpers zur Folge hat. Wenn
sich Keimzellen aus beliebigen jungen Zellen bilden könnten,
so sollte man erwarten, dass Castration diese Folge hätte.
Nichts von dem geschieht, vielmehr verhält es sich ganz so
wie mit irgend einem jener hoch specialisirten Organe, wie die
Leber, die Nieren, die Centraltheile des Nervensystems bei den
Wirbelthieren, die einmal entfernt sich nie wieder ersetzen.
Wir werden dies nach unserer heutigen Auffassung so erklären,
dass ihre Wiederbildung unmöglich ist, weil die für ihre Ent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/269>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.