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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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produciren ein Bein in wenigen Tagen und der geniale Ex-
perimentator beobachtete sechsmaliges Wiederwachsen sämmt-
licher vier Beine und des Schwanzes bei einem jungen Triton
in der Zeit von drei Sommermonaten!

In einer Beziehung steht aber doch diese hohe Regenerations-
kraft der Hirsche und der Vögel gegen die Leistungen der
Tritonen weit zurück, nämlich in Bezug auf die Complicirt-
heit des zu ersetzenden Theils
. Obgleich eine Vogelfeder
sicherlich ein bewunderungswürdig fein gebautes Gebilde ist,
so besteht es doch nur aus Epidermiszellen, und das Geweih
der Hirsche ist ein mit Epidermis überzogener Hautknochen.
Das Bein eines Triton aber enthält alle Arten von Geweben
mit Ausnahme der Entoderm-Epithelien, nämlich: Haut, Muskeln,
Knochen in grosser Zahl, Bindegewebe, Blutgefässe, Nerven u. s. w.,
und das Alles in ganz fest vorgeschriebener Anordnung, Zahl
und Form. Ohne Zweifel ist die Regeneration eines Beines
deshalb eine höhere Leistung als die der Federn oder des Ge-
weihes, und es ist in der That auch ein Erfahrungssatz, den
schon die älteren Experimentatoren aufstellten, dass compli-
cirtere Organe weniger leicht regeneriren als einfacher
gebaute
. Es wäre von grossem theoretischen Werth, diesen
etwas ungenauen Satz durch planmässige Versuche genauer zu
präcisiren. Man darf im Voraus erwarten, ihn in irgend einem
Sinne bestätigt zu finden, d. h. zu finden, dass unter sonst
gleichen Umständen bei ein und derselben Art einfache Organe
durchschnittlich leichter regeneriren als complicirte. Selbst
beim Menschen ersetzen sich viele einfache Gewebe, die Binde-
substanzen, Epithelien, Nerven, und nur die histologisch höchst
differenzirten Zellen der Drüsen und Ganglien thun es nicht
oder nur schwach. Auch die Theorie lässt einsehen, dass hierzu
ein weit weniger verwickelter Apparat gehört, als bei der Re-
generation ganzer Körpertheile, wie Schwanz oder Beine, denn

Weismann, Das Keimplasma. 11

produciren ein Bein in wenigen Tagen und der geniale Ex-
perimentator beobachtete sechsmaliges Wiederwachsen sämmt-
licher vier Beine und des Schwanzes bei einem jungen Triton
in der Zeit von drei Sommermonaten!

In einer Beziehung steht aber doch diese hohe Regenerations-
kraft der Hirsche und der Vögel gegen die Leistungen der
Tritonen weit zurück, nämlich in Bezug auf die Complicirt-
heit des zu ersetzenden Theils
. Obgleich eine Vogelfeder
sicherlich ein bewunderungswürdig fein gebautes Gebilde ist,
so besteht es doch nur aus Epidermiszellen, und das Geweih
der Hirsche ist ein mit Epidermis überzogener Hautknochen.
Das Bein eines Triton aber enthält alle Arten von Geweben
mit Ausnahme der Entoderm-Epithelien, nämlich: Haut, Muskeln,
Knochen in grosser Zahl, Bindegewebe, Blutgefässe, Nerven u. s. w.,
und das Alles in ganz fest vorgeschriebener Anordnung, Zahl
und Form. Ohne Zweifel ist die Regeneration eines Beines
deshalb eine höhere Leistung als die der Federn oder des Ge-
weihes, und es ist in der That auch ein Erfahrungssatz, den
schon die älteren Experimentatoren aufstellten, dass compli-
cirtere Organe weniger leicht regeneriren als einfacher
gebaute
. Es wäre von grossem theoretischen Werth, diesen
etwas ungenauen Satz durch planmässige Versuche genauer zu
präcisiren. Man darf im Voraus erwarten, ihn in irgend einem
Sinne bestätigt zu finden, d. h. zu finden, dass unter sonst
gleichen Umständen bei ein und derselben Art einfache Organe
durchschnittlich leichter regeneriren als complicirte. Selbst
beim Menschen ersetzen sich viele einfache Gewebe, die Binde-
substanzen, Epithelien, Nerven, und nur die histologisch höchst
differenzirten Zellen der Drüsen und Ganglien thun es nicht
oder nur schwach. Auch die Theorie lässt einsehen, dass hierzu
ein weit weniger verwickelter Apparat gehört, als bei der Re-
generation ganzer Körpertheile, wie Schwanz oder Beine, denn

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[161/0185] produciren ein Bein in wenigen Tagen und der geniale Ex- perimentator beobachtete sechsmaliges Wiederwachsen sämmt- licher vier Beine und des Schwanzes bei einem jungen Triton in der Zeit von drei Sommermonaten! In einer Beziehung steht aber doch diese hohe Regenerations- kraft der Hirsche und der Vögel gegen die Leistungen der Tritonen weit zurück, nämlich in Bezug auf die Complicirt- heit des zu ersetzenden Theils. Obgleich eine Vogelfeder sicherlich ein bewunderungswürdig fein gebautes Gebilde ist, so besteht es doch nur aus Epidermiszellen, und das Geweih der Hirsche ist ein mit Epidermis überzogener Hautknochen. Das Bein eines Triton aber enthält alle Arten von Geweben mit Ausnahme der Entoderm-Epithelien, nämlich: Haut, Muskeln, Knochen in grosser Zahl, Bindegewebe, Blutgefässe, Nerven u. s. w., und das Alles in ganz fest vorgeschriebener Anordnung, Zahl und Form. Ohne Zweifel ist die Regeneration eines Beines deshalb eine höhere Leistung als die der Federn oder des Ge- weihes, und es ist in der That auch ein Erfahrungssatz, den schon die älteren Experimentatoren aufstellten, dass compli- cirtere Organe weniger leicht regeneriren als einfacher gebaute. Es wäre von grossem theoretischen Werth, diesen etwas ungenauen Satz durch planmässige Versuche genauer zu präcisiren. Man darf im Voraus erwarten, ihn in irgend einem Sinne bestätigt zu finden, d. h. zu finden, dass unter sonst gleichen Umständen bei ein und derselben Art einfache Organe durchschnittlich leichter regeneriren als complicirte. Selbst beim Menschen ersetzen sich viele einfache Gewebe, die Binde- substanzen, Epithelien, Nerven, und nur die histologisch höchst differenzirten Zellen der Drüsen und Ganglien thun es nicht oder nur schwach. Auch die Theorie lässt einsehen, dass hierzu ein weit weniger verwickelter Apparat gehört, als bei der Re- generation ganzer Körpertheile, wie Schwanz oder Beine, denn Weismann, Das Keimplasma. 11

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/185>, abgerufen am 27.04.2024.