Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

ständen von einander liegenden Zellen aus ein Stück des neuen
Darmes gebildet wird und sich soweit ausbreitet, bis es mit
dem nächstliegenden Stück zusammenstösst. Es ist also nur
in diesen Bildungszellen das Idioplasma der neuen Darmzellen
enthalten und es liegt nahe zu vermuthen, dass jede derselben
nur eine Art von Determinanten enthält.

Ähnlich scheint es sich bei der Behaarung der Säugethiere
zu verhalten; nicht jedes Haar besitzt seine besondere Deter-
minante im Keim, kleinere oder grössere Haarbezirke sind durch
je eine Determinante vertreten. Diese Bezirke sind nicht gross,
wie die Streifung und Fleckung des Haarkleides beim Leoparden,
Tiger u. s. w. beweist. Beim Menschen hat man beobachtet,
dass ein abnormes weisses Haarbüschel auf einer bestimmten
Stelle des Kopfes mitten unter den normalen dunkeln Haaren
sich auf die entsprechende Stelle beim Sohne vererbt hat.

Nach Zellen abschätzbare Vererbungsstücke oder Deter-
minaten lassen sich wohl auch bei Schmetterlingen beob-
achten, bei welchen die Farben der Flügel oft sehr verwickelte
Linien und Flecken von geringer Ausdehnung, aber von grosser
Constanz bilden. Solche Flecken setzen sich zuweilen nur aus
ganz wenigen Schuppen, d. h. Zellen zusammen; bei Lycaena
Argus z. B. steht an einer bestimmten Stelle des Vorderflügels
ein schwarzer Fleck, der nur aus zehn Schuppen besteht, wäh-
rend die unmittelbare Umgebung desselben blau ist. Hier
werden wir also schliessen dürfen, dass diese schwarzen Zellen
im Keimplasma durch mindestens eine Determinante vertreten
sind. Es ist aber sehr möglich, dass die Determinirung hier
noch mehr ins Einzelne geht, dass jede Zelle des ganzen Flecks
vom Keim aus determinirt ist, und dass uns dies nur durch
die stete Vermischung zweier Vererbungstendenzen bei der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung und die daher entstehende Varia-
bilität der Schuppenzahl verhüllt wird -- jedenfalls aber können

ständen von einander liegenden Zellen aus ein Stück des neuen
Darmes gebildet wird und sich soweit ausbreitet, bis es mit
dem nächstliegenden Stück zusammenstösst. Es ist also nur
in diesen Bildungszellen das Idioplasma der neuen Darmzellen
enthalten und es liegt nahe zu vermuthen, dass jede derselben
nur eine Art von Determinanten enthält.

Ähnlich scheint es sich bei der Behaarung der Säugethiere
zu verhalten; nicht jedes Haar besitzt seine besondere Deter-
minante im Keim, kleinere oder grössere Haarbezirke sind durch
je eine Determinante vertreten. Diese Bezirke sind nicht gross,
wie die Streifung und Fleckung des Haarkleides beim Leoparden,
Tiger u. s. w. beweist. Beim Menschen hat man beobachtet,
dass ein abnormes weisses Haarbüschel auf einer bestimmten
Stelle des Kopfes mitten unter den normalen dunkeln Haaren
sich auf die entsprechende Stelle beim Sohne vererbt hat.

Nach Zellen abschätzbare Vererbungsstücke oder Deter-
minaten lassen sich wohl auch bei Schmetterlingen beob-
achten, bei welchen die Farben der Flügel oft sehr verwickelte
Linien und Flecken von geringer Ausdehnung, aber von grosser
Constanz bilden. Solche Flecken setzen sich zuweilen nur aus
ganz wenigen Schuppen, d. h. Zellen zusammen; bei Lycaena
Argus z. B. steht an einer bestimmten Stelle des Vorderflügels
ein schwarzer Fleck, der nur aus zehn Schuppen besteht, wäh-
rend die unmittelbare Umgebung desselben blau ist. Hier
werden wir also schliessen dürfen, dass diese schwarzen Zellen
im Keimplasma durch mindestens eine Determinante vertreten
sind. Es ist aber sehr möglich, dass die Determinirung hier
noch mehr ins Einzelne geht, dass jede Zelle des ganzen Flecks
vom Keim aus determinirt ist, und dass uns dies nur durch
die stete Vermischung zweier Vererbungstendenzen bei der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung und die daher entstehende Varia-
bilität der Schuppenzahl verhüllt wird — jedenfalls aber können

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0102" n="78"/>
ständen von einander liegenden Zellen aus ein Stück des neuen<lb/>
Darmes gebildet wird und sich soweit ausbreitet, bis es mit<lb/>
dem nächstliegenden Stück zusammenstösst. Es ist also nur<lb/>
in diesen Bildungszellen das Idioplasma der neuen Darmzellen<lb/>
enthalten und es liegt nahe zu vermuthen, dass jede derselben<lb/>
nur <hi rendition="#g">eine</hi> Art von Determinanten enthält.</p><lb/>
            <p>Ähnlich scheint es sich bei der Behaarung der Säugethiere<lb/>
zu verhalten; nicht jedes Haar besitzt seine besondere Deter-<lb/>
minante im Keim, kleinere oder grössere Haarbezirke sind durch<lb/>
je eine Determinante vertreten. Diese Bezirke sind nicht gross,<lb/>
wie die Streifung und Fleckung des Haarkleides beim Leoparden,<lb/>
Tiger u. s. w. beweist. Beim Menschen hat man beobachtet,<lb/>
dass ein abnormes weisses Haarbüschel auf einer bestimmten<lb/>
Stelle des Kopfes mitten unter den normalen dunkeln Haaren<lb/>
sich auf die entsprechende Stelle beim Sohne vererbt hat.</p><lb/>
            <p>Nach Zellen abschätzbare Vererbungsstücke oder Deter-<lb/>
minaten lassen sich wohl auch bei <hi rendition="#g">Schmetterlingen</hi> beob-<lb/>
achten, bei welchen die Farben der Flügel oft sehr verwickelte<lb/>
Linien und Flecken von geringer Ausdehnung, aber von grosser<lb/>
Constanz bilden. Solche Flecken setzen sich zuweilen nur aus<lb/>
ganz wenigen Schuppen, d. h. Zellen zusammen; bei Lycaena<lb/>
Argus z. B. steht an einer bestimmten Stelle des Vorderflügels<lb/>
ein schwarzer Fleck, der nur aus zehn Schuppen besteht, wäh-<lb/>
rend die unmittelbare Umgebung desselben blau ist. Hier<lb/>
werden wir also schliessen dürfen, dass diese schwarzen Zellen<lb/>
im Keimplasma durch mindestens eine Determinante vertreten<lb/>
sind. Es ist aber sehr möglich, dass die Determinirung hier<lb/>
noch mehr ins Einzelne geht, dass jede Zelle des ganzen Flecks<lb/>
vom Keim aus determinirt ist, und dass uns dies nur durch<lb/>
die stete Vermischung zweier Vererbungstendenzen bei der ge-<lb/>
schlechtlichen Fortpflanzung und die daher entstehende Varia-<lb/>
bilität der Schuppenzahl verhüllt wird &#x2014; jedenfalls aber können<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0102] ständen von einander liegenden Zellen aus ein Stück des neuen Darmes gebildet wird und sich soweit ausbreitet, bis es mit dem nächstliegenden Stück zusammenstösst. Es ist also nur in diesen Bildungszellen das Idioplasma der neuen Darmzellen enthalten und es liegt nahe zu vermuthen, dass jede derselben nur eine Art von Determinanten enthält. Ähnlich scheint es sich bei der Behaarung der Säugethiere zu verhalten; nicht jedes Haar besitzt seine besondere Deter- minante im Keim, kleinere oder grössere Haarbezirke sind durch je eine Determinante vertreten. Diese Bezirke sind nicht gross, wie die Streifung und Fleckung des Haarkleides beim Leoparden, Tiger u. s. w. beweist. Beim Menschen hat man beobachtet, dass ein abnormes weisses Haarbüschel auf einer bestimmten Stelle des Kopfes mitten unter den normalen dunkeln Haaren sich auf die entsprechende Stelle beim Sohne vererbt hat. Nach Zellen abschätzbare Vererbungsstücke oder Deter- minaten lassen sich wohl auch bei Schmetterlingen beob- achten, bei welchen die Farben der Flügel oft sehr verwickelte Linien und Flecken von geringer Ausdehnung, aber von grosser Constanz bilden. Solche Flecken setzen sich zuweilen nur aus ganz wenigen Schuppen, d. h. Zellen zusammen; bei Lycaena Argus z. B. steht an einer bestimmten Stelle des Vorderflügels ein schwarzer Fleck, der nur aus zehn Schuppen besteht, wäh- rend die unmittelbare Umgebung desselben blau ist. Hier werden wir also schliessen dürfen, dass diese schwarzen Zellen im Keimplasma durch mindestens eine Determinante vertreten sind. Es ist aber sehr möglich, dass die Determinirung hier noch mehr ins Einzelne geht, dass jede Zelle des ganzen Flecks vom Keim aus determinirt ist, und dass uns dies nur durch die stete Vermischung zweier Vererbungstendenzen bei der ge- schlechtlichen Fortpflanzung und die daher entstehende Varia- bilität der Schuppenzahl verhüllt wird — jedenfalls aber können

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/102
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/102>, abgerufen am 21.11.2024.