Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701.Uberflüssiger gedancken andere gattung er solle sich innerhalb vierzehn tagen auf die reise ma-cheu/ und au einen andern ort reisen: Sein vetter werde kommen und ihn abholen. Wem war übler zu muthe/ als diesem unglückseelig-glückseligen? er klag- te es der liebsten/ und gebrauchte sich aller hertzbrechen- den worte/ welche bey dergleichen fällen gänge und gä- be sind. Sie hörte es ungerne/ doch gab sie ihm den trost: Ob sie schon von der mutter so harte gehalten würde/ daß sie fast keinmahl mit ihm reden könte/ so hätte sie doch vernommen/ die mutter würde in acht ta- gen über land auf eine hochzeit reisen/ und alsdenn wür- de es noch gelegenheit geben/ vertraulichen abschied zunehmen/ wenn sich ja das glücke nicht fügen wolte in steter vertrauligkeit beysammen zuleben. Dieses war dem ehrlichen liebhaber ein gefunden fressen/ so daß er alle stunden zehlete/ biß die 8 tage zu ende gien- gen; Ja in der letzten nacht hatte er so schwere gedan- cken über den langsamen seiger/ daß er fast vor langer weile vergieng. Doch als die frau mutter auf die hoch- zeit zog/ wolte sie das töchtergen mit haben. Das gu- te mensch stellte sich kranck/ allein die mutter merckte den braten/ und packte ihren schmuck über halß über kopf ein/ und nam sie mit gewalt fort. Da wolte nun der in der hofnung betrogene Corid. vor angst ver- zweifeln. Sein gantzer trost bestund in dem/ daß er von mir zwey lieder fast eines innhalts erhielt/ eines das sich auf ihre wiederkunft; das andere welches sich auf den abschied reimete. Und diese lieder folgen nun auff die melodey; So hastu liebes kind. WJlkommen liebstes kind/ was hastu dort gemacht? Ach hastu auch einmahl an deinen knecht gedacht/ Der in der einsamkeit seit du verreiset bist/ Vor
Uberfluͤſſiger gedancken andere gattung er ſolle ſich innerhalb vierzehn tagen auf die reiſe ma-cheu/ und au einen andern ort reiſen: Sein vetter werde kommen und ihn abholen. Wem war uͤbler zu muthe/ als dieſem ungluͤckſeelig-gluͤckſeligen? er klag- te es der liebſten/ und gebrauchte ſich aller hertzbrechen- den worte/ welche bey dergleichen faͤllen gaͤnge und gaͤ- be ſind. Sie hoͤrte es ungerne/ doch gab ſie ihm den troſt: Ob ſie ſchon von der mutter ſo harte gehalten wuͤrde/ daß ſie faſt keinmahl mit ihm reden koͤnte/ ſo haͤtte ſie doch vernommen/ die mutter wuͤrde in acht ta- gen uͤber land auf eine hochzeit reiſen/ und alsdeñ wuͤr- de es noch gelegenheit geben/ vertraulichen abſchied zunehmen/ wenn ſich ja das gluͤcke nicht fuͤgen wolte in ſteter vertrauligkeit beyſammen zuleben. Dieſes war dem ehrlichen liebhaber ein gefunden freſſen/ ſo daß er alle ſtunden zehlete/ biß die 8 tage zu ende gien- gen; Ja in der letzten nacht hatte er ſo ſchwere gedan- cken uͤber den langſamen ſeiger/ daß er faſt vor langer weile vergieng. Doch als die frau mutter auf die hoch- zeit zog/ wolte ſie das toͤchtergen mit haben. Das gu- te menſch ſtellte ſich kranck/ allein die mutter merckte den braten/ und packte ihren ſchmuck uͤber halß uͤber kopf ein/ und nam ſie mit gewalt fort. Da wolte nun der in der hofnung betrogene Corid. vor angſt ver- zweifeln. Sein gantzer troſt beſtund in dem/ daß er von mir zwey lieder faſt eines innhalts erhielt/ eines das ſich auf ihre wiederkunft; das andere welches ſich auf den abſchied reimete. Und dieſe lieder folgen nun auff die melodey; So haſtu liebes kind. WJlkommen liebſtes kind/ was haſtu dort gemacht? Ach haſtu auch einmahl an deinen knecht gedacht/ Der in der einſamkeit ſeit du verreiſet biſt/ Vor
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Uberfluͤſſiger gedancken andere gattung
er ſolle ſich innerhalb vierzehn tagen auf die reiſe ma-
cheu/ und au einen andern ort reiſen: Sein vetter
werde kommen und ihn abholen. Wem war uͤbler zu
muthe/ als dieſem ungluͤckſeelig-gluͤckſeligen? er klag-
te es der liebſten/ und gebrauchte ſich aller hertzbrechen-
den worte/ welche bey dergleichen faͤllen gaͤnge und gaͤ-
be ſind. Sie hoͤrte es ungerne/ doch gab ſie ihm den
troſt: Ob ſie ſchon von der mutter ſo harte gehalten
wuͤrde/ daß ſie faſt keinmahl mit ihm reden koͤnte/ ſo
haͤtte ſie doch vernommen/ die mutter wuͤrde in acht ta-
gen uͤber land auf eine hochzeit reiſen/ und alsdeñ wuͤr-
de es noch gelegenheit geben/ vertraulichen abſchied
zunehmen/ wenn ſich ja das gluͤcke nicht fuͤgen wolte
in ſteter vertrauligkeit beyſammen zuleben. Dieſes
war dem ehrlichen liebhaber ein gefunden freſſen/ ſo
daß er alle ſtunden zehlete/ biß die 8 tage zu ende gien-
gen; Ja in der letzten nacht hatte er ſo ſchwere gedan-
cken uͤber den langſamen ſeiger/ daß er faſt vor langer
weile vergieng. Doch als die frau mutter auf die hoch-
zeit zog/ wolte ſie das toͤchtergen mit haben. Das gu-
te menſch ſtellte ſich kranck/ allein die mutter merckte
den braten/ und packte ihren ſchmuck uͤber halß uͤber
kopf ein/ und nam ſie mit gewalt fort. Da wolte nun
der in der hofnung betrogene Corid. vor angſt ver-
zweifeln. Sein gantzer troſt beſtund in dem/ daß er
von mir zwey lieder faſt eines innhalts erhielt/ eines
das ſich auf ihre wiederkunft; das andere welches ſich
auf den abſchied reimete. Und dieſe lieder folgen nun
auff die melodey; So haſtu liebes kind.
WJlkommen liebſtes kind/ was haſtu dort gemacht?
Ach haſtu auch einmahl an deinen knecht gedacht/
Der in der einſamkeit ſeit du verreiſet biſt/
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Zitationshilfe: | Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701/412>, abgerufen am 16.07.2024. |