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Weigel, Valentin: Der güldene Griff/ Alle Ding ohne Jrrthumb zuerkennen. Halle (Saale), 1613.

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Der güldene Griff.
Sol das Aug sehen/ so muß es sein Wirckung vollstrecken/ in den
Gegenwurff/ denn das erkennen vnd vrtheilen vber ein ding ste-
het im Erkenner vnd judicare, vnd nicht in dem objecto, welches
sich erkennen vnd vrtheilen lassen muß/ Sprichstu aber/ Eja/ es
muß gleich wohl die Erkendtnis nicht allein kommen vom Aug
von innen heraus aus dem Menschen/ sondern beydes vom Auge
vnd objecto zugleich/ dann were kein objectum da so würde auch
kein Erkentnis geschehen/ als/ were das Buch als ein objectum.
nicht geschrieben/ so köndt ichs nicht lesen vnd erkennen/ darauff
antworte nochmals also: Ja es ist war/ were die Farb nicht da/ so
könt ich sie nicht sehen/ aber doch gibt mir die Farb das Gesicht
nicht/ es ist zuvor in mir/ were das Buch nicht/ so köndt ichs nicht
lesen noch erkennen/ das ist die kunst zu lesen vnd zu erkennen/ Jst
zuvor in mir/ dann das Buch gibt mir die Erkentnis nicht/ kein
objectum kan sich selber lesen/ sehen oder erkennen/ sondern es
muß von dem Lesenden gelesen/ von dem Sehenden gesehen/ vnd
von dem Verstendigen verstanden werden/ Also fleust es alles von
jnnen heraus/ vnd nicht aus dem Buch hinein/ hettestu den Ver-
stand nicht in dir/ du köndtest nichts verstehen/ daraus wird ge-
schlossen/ daß die natürliche Erkentnis herkomme/ aus dem erken-
nen/ vnd nicht aus dem Gegenwurff/ also bleibet judicium in
judicante, intellectus in intelligente, visio in vidente.
Dar-
aus folget vnwiedersprechlich/ Zum ersten/ daß aus dem Auge die
Erkentnis kompt vnd nicht aus dem Gegenwurff. Zum andern/
daß das objectum oder Gegenwurff nichts wircke noch eintrage
in das Aug. Zum dritten/ daß sich das Vrtheil oder Erkentnis
endere vnd spalte nach art vnd Geschickligkeit der vielfeltigen Au-
gen/ vnd nicht nach art vnd Eigenschafft des objecti, Sonsten
müste von einem objecto in alle Augen ein gleichförmiges Vrtel

gefallen/
E

Der guͤldene Griff.
Sol das Aug ſehen/ ſo muß es ſein Wirckung vollſtrecken/ in den
Gegenwurff/ denn das erkennen vnd vrtheilen vber ein ding ſte-
het im Erkenner vnd judicare, vnd nicht in dem objecto, welches
ſich erkennen vnd vrtheilen laſſen muß/ Sprichſtu aber/ Eja/ es
muß gleich wohl die Erkendtnis nicht allein kommen vom Aug
von innen heraus aus dem Menſchen/ ſondern beydes vom Auge
vnd objecto zugleich/ dañ were kein objectum da ſo wuͤrde auch
kein Erkentnis geſchehen/ als/ were das Buch als ein objectum.
nicht geſchrieben/ ſo koͤndt ichs nicht leſen vnd erkennen/ darauff
antworte nochmals alſo: Ja es iſt war/ were die Farb nicht da/ ſo
koͤnt ich ſie nicht ſehen/ aber doch gibt mir die Farb das Geſicht
nicht/ es iſt zuvor in mir/ were das Buch nicht/ ſo koͤndt ichs nicht
leſen noch erkennen/ das iſt die kunſt zu leſen vnd zu erkennen/ Jſt
zuvor in mir/ dann das Buch gibt mir die Erkentnis nicht/ kein
objectum kan ſich ſelber leſen/ ſehen oder erkennen/ ſondern es
muß von dem Leſenden geleſen/ von dem Sehenden geſehen/ vnd
von dem Verſtendigen verſtanden werden/ Alſo fleuſt es alles von
jnnen heraus/ vnd nicht aus dem Buch hinein/ hetteſtu den Ver-
ſtand nicht in dir/ du koͤndteſt nichts verſtehen/ daraus wird ge-
ſchloſſen/ daß die natuͤrliche Erkentnis herkomme/ aus dem erken-
nen/ vnd nicht aus dem Gegenwurff/ alſo bleibet judicium in
judicante, intellectus in intelligente, viſio in vidente.
Dar-
aus folget vnwiederſprechlich/ Zum erſten/ daß aus dem Auge die
Erkentnis kompt vnd nicht aus dem Gegenwurff. Zum andern/
daß das objectum oder Gegenwurff nichts wircke noch eintrage
in das Aug. Zum dritten/ daß ſich das Vrtheil oder Erkentnis
endere vnd ſpalte nach art vnd Geſchickligkeit der vielfeltigen Au-
gen/ vnd nicht nach art vnd Eigenſchafft des objecti, Sonſten
muͤſte von einem objecto in alle Augen ein gleichfoͤrmiges Vrtel

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[0035] Der guͤldene Griff. Sol das Aug ſehen/ ſo muß es ſein Wirckung vollſtrecken/ in den Gegenwurff/ denn das erkennen vnd vrtheilen vber ein ding ſte- het im Erkenner vnd judicare, vnd nicht in dem objecto, welches ſich erkennen vnd vrtheilen laſſen muß/ Sprichſtu aber/ Eja/ es muß gleich wohl die Erkendtnis nicht allein kommen vom Aug von innen heraus aus dem Menſchen/ ſondern beydes vom Auge vnd objecto zugleich/ dañ were kein objectum da ſo wuͤrde auch kein Erkentnis geſchehen/ als/ were das Buch als ein objectum. nicht geſchrieben/ ſo koͤndt ichs nicht leſen vnd erkennen/ darauff antworte nochmals alſo: Ja es iſt war/ were die Farb nicht da/ ſo koͤnt ich ſie nicht ſehen/ aber doch gibt mir die Farb das Geſicht nicht/ es iſt zuvor in mir/ were das Buch nicht/ ſo koͤndt ichs nicht leſen noch erkennen/ das iſt die kunſt zu leſen vnd zu erkennen/ Jſt zuvor in mir/ dann das Buch gibt mir die Erkentnis nicht/ kein objectum kan ſich ſelber leſen/ ſehen oder erkennen/ ſondern es muß von dem Leſenden geleſen/ von dem Sehenden geſehen/ vnd von dem Verſtendigen verſtanden werden/ Alſo fleuſt es alles von jnnen heraus/ vnd nicht aus dem Buch hinein/ hetteſtu den Ver- ſtand nicht in dir/ du koͤndteſt nichts verſtehen/ daraus wird ge- ſchloſſen/ daß die natuͤrliche Erkentnis herkomme/ aus dem erken- nen/ vnd nicht aus dem Gegenwurff/ alſo bleibet judicium in judicante, intellectus in intelligente, viſio in vidente. Dar- aus folget vnwiederſprechlich/ Zum erſten/ daß aus dem Auge die Erkentnis kompt vnd nicht aus dem Gegenwurff. Zum andern/ daß das objectum oder Gegenwurff nichts wircke noch eintrage in das Aug. Zum dritten/ daß ſich das Vrtheil oder Erkentnis endere vnd ſpalte nach art vnd Geſchickligkeit der vielfeltigen Au- gen/ vnd nicht nach art vnd Eigenſchafft des objecti, Sonſten muͤſte von einem objecto in alle Augen ein gleichfoͤrmiges Vrtel gefallen/ E

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Zitationshilfe: Weigel, Valentin: Der güldene Griff/ Alle Ding ohne Jrrthumb zuerkennen. Halle (Saale), 1613, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_gueldenergriff_1613/35>, abgerufen am 24.04.2024.