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Weigel, Valentin: Gnothi seauton. Nosce teipsum. Erkenne dich selbst. Neustadt, 1615.

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Erkenne dich selbst/
Ställe/ das ist/ ein Engel bedarff keines Corporalischen Stuls/ vnnd
wenn gleich keine Welt were/ vnnd kein Orth/ dannoch bleibet GOtt
an keinem Orthe: Solche vnnd dergleichen viel höhere Dinge/ sihet
oculus mentis, wo es geleutert wird/ von zeitlichen Hindernussen/ so
imaginatio vnd Ratio gantz müssen stille stehen.

Zum Beschluß mercke/ daß das obere Auge wol wircken kan oh-
ne hülffe/ das vntere aber nicht/ das Gegentheil/ das ist/ das vntere Au-
ge mag nichts schaffen/ ohne sein oberstes Auge/ als oculus mentis:
Der Verstand kan ein Ding sehen/ one hülffe der Ration: Aber Ratio
mag nichtes erkennen ohne den Verstand/ als Ratio: die Vernunfft si-
het viel Ding/ ohne hülffe der imagination: Aber imaginatio mag
nichts schaffen ohne die Vernunfft: weiter die imaginatio mag wol
wircken ohne alle eussere Sinnen/ aber der Mensch mag durch die eus-
sern Sinnen nichts erkennen/ ohne die imagination, darumb setze ich
allhier diese Regul: Quicquid potest potentia inferior, hoc i-
dem potest potentia superior, & multo excellentius, sed non
econtra.

Auß diesem solten die Einsältigen lernen/ die andern nicht zu vrthei-
len/ sondern wissen/ ob sie schon ein Ding nicht bald bringen könnten
in jhrem Kopff/ Daß darumb nicht andere Leuth/ auch also grob we-
ren wie sie: Es folget nicht darauß: Dieser ist ein grosser Theologus,
vnnd hat das erste Capittel Geneseos nicht verstanden/ darumb müs-
sen andere Theologi solches auch nit verstehen: Als die imaginatio
kan nicht begreiffen/ wie die Welt in nichts stehe/ darumb ist oculus
rationis,
oder Mentis auch also tölpisch wie imaginatio, nein traun/
solches folget nicht: Oder ich habe einen groben Verstand/ vnnd mag
diß dein Schreiben nicht fassen/ darumb so seynd andere Leuthe
auch also: Nein traun/ gnothi seauton, das ist/ erkenne
dich selber/ so wirstu andere Leuthe vn-
getadelt lassen.

Das

Erkenne dich ſelbſt/
Staͤlle/ das iſt/ ein Engel bedarff keines Corporaliſchen Stuls/ vnnd
wenn gleich keine Welt were/ vnnd kein Orth/ dannoch bleibet GOtt
an keinem Orthe: Solche vnnd dergleichen viel hoͤhere Dinge/ ſihet
oculus mentis, wo es geleutert wird/ von zeitlichen Hindernuſſen/ ſo
imaginatio vnd Ratio gantz muͤſſen ſtille ſtehen.

Zum Beſchluß mercke/ daß das obere Auge wol wircken kan oh-
ne huͤlffe/ das vntere aber nicht/ das Gegentheil/ das iſt/ das vntere Au-
ge mag nichts ſchaffen/ ohne ſein oberſtes Auge/ als oculus mentis:
Der Verſtand kan ein Ding ſehen/ one huͤlffe der Ration: Aber Ratio
mag nichtes erkennen ohne den Verſtand/ als Ratio: die Vernunfft ſi-
het viel Ding/ ohne huͤlffe der imagination: Aber imaginatio mag
nichts ſchaffen ohne die Vernunfft: weiter die imaginatio mag wol
wircken ohne alle euſſere Sinnen/ aber der Menſch mag durch die euſ-
ſern Sinnen nichts erkennen/ ohne die imagination, darumb ſetze ich
allhier dieſe Regul: Quicquid poteſt potentia inferior, hoc i-
dem poteſt potentia ſuperior, & multò excellentius, ſed non
econtra.

Auß dieſem ſolten die Einſaͤltigen lernen/ die andern nicht zu vrthei-
len/ ſondern wiſſen/ ob ſie ſchon ein Ding nicht bald bringen koͤnnten
in jhrem Kopff/ Daß darumb nicht andere Leuth/ auch alſo grob we-
ren wie ſie: Es folget nicht darauß: Dieſer iſt ein groſſer Theologus,
vnnd hat das erſte Capittel Geneſeos nicht verſtanden/ darumb muͤſ-
ſen andere Theologi ſolches auch nit verſtehen: Als die imaginatio
kan nicht begreiffen/ wie die Welt in nichts ſtehe/ darumb iſt oculus
rationis,
oder Mentis auch alſo toͤlpiſch wie imaginatio, nein traun/
ſolches folget nicht: Oder ich habe einen groben Verſtand/ vnnd mag
diß dein Schreiben nicht faſſen/ darumb ſo ſeynd andere Leuthe
auch alſo: Nein traun/ gnothi ſeauton, das iſt/ erkenne
dich ſelber/ ſo wirſtu andere Leuthe vn-
getadelt laſſen.

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Zitationshilfe: Weigel, Valentin: Gnothi seauton. Nosce teipsum. Erkenne dich selbst. Neustadt, 1615, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_gnothi_1615/28>, abgerufen am 27.04.2024.