Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_077.001 pwe_077.025 d) Einzelprobleme von Gattungen und Arten pwe_077.026Das zeigt sich bei dem - von Staiger abgelehnten - Versuch, die Typologie pwe_077.027 Die Lyrik - wie immer ihr Typus bestimmt, wie immer ihre Zeitlichkeit pwe_077.039 pwe_077.001 pwe_077.025 d) Einzelprobleme von Gattungen und Arten pwe_077.026Das zeigt sich bei dem – von Staiger abgelehnten – Versuch, die Typologie pwe_077.027 Die Lyrik – wie immer ihr Typus bestimmt, wie immer ihre Zeitlichkeit pwe_077.039 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0083" n="77"/><lb n="pwe_077.001"/> dem Lyrischen und der Lyrik in Abrede zu stellen. Ja er gesteht sogar unter <lb n="pwe_077.002"/> gewissen Bedingungen die Möglichkeit einer Art Musterpoetik zu, die – <lb n="pwe_077.003"/> mit dem Begriff des Spielraums – fragen würde: Was ist im Raum der <lb n="pwe_077.004"/> Ode, der Elegie, des Romans, der Komödie möglich? „Nur möchte ich mich <lb n="pwe_077.005"/> weigern, dieses Geschäft zu übernehmen. Denn die Verhältnisse scheinen <lb n="pwe_077.006"/> hier so kompliziert und schwierig zu sein, so groß ist mein Glaube an neue, <lb n="pwe_077.007"/> ganz unerwartete Möglichkeiten der Dichter, daß ich von den Grundbegriffen <lb n="pwe_077.008"/> lieber gleich zur Interpretation des einzelnen Kunstwerks übergehe.“ <lb n="pwe_077.009"/> Das Recht zu solchem Verzicht wird niemand bestreiten, aber das Problem <lb n="pwe_077.010"/> wird wegen seiner Schwierigkeit noch nicht hinfällig. Das Problem nämlich <lb n="pwe_077.011"/> und die Aufgabe, den zwischen dem Typus und dem Einzelwerk stehenden <lb n="pwe_077.012"/> Gruppeneinheiten, Stilganzheiten nachzugehen, ohne deren Berücksichtigung <lb n="pwe_077.013"/> das Einzelwerk im geschichtslosen Raum bzw. einem geschichtlichen <lb n="pwe_077.014"/> Chaos schweben würde. Es meldet sich für die Poetik die Tatsache, <lb n="pwe_077.015"/> daß sich Dichtung nur in geschichtlichem Zusammenhang zeigt, wie sie <hi rendition="#k">Stai- <lb n="pwe_077.016"/> ger</hi> selbst bei seinen Interpretationen (z. B. Kellers) auch berücksichtigt. <lb n="pwe_077.017"/> Es zeigen sich über dem Einzelwerk Ordnungen, Stilschemata, stilistische <lb n="pwe_077.018"/> Ganzheiten, mit denen und aus denen die Einzelwerke leben. Zu ihnen gehören <lb n="pwe_077.019"/> auch die Gattungen und Arten bis hinein in ganz bestimmte Bautypen. <lb n="pwe_077.020"/> Sie werden allerdings nicht a priori abzuleiten und nicht als „Naturformen“ <lb n="pwe_077.021"/> zu verstehen sein, sondern in ihrem spezifisch geschichtlichen <lb n="pwe_077.022"/> Charakter, d. h. aus der Dialektik von fester Tradition und unberechenbarem <lb n="pwe_077.023"/> Ursprung, wobei sich das Verhältnis von Typus und Individualität <lb n="pwe_077.024"/> immer wieder umkehrt.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwe_077.025"/> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#i">d) Einzelprobleme von Gattungen und Arten</hi> </hi> </head> <lb n="pwe_077.026"/> <p>Das zeigt sich bei dem – von <hi rendition="#k">Staiger</hi> abgelehnten – Versuch, die Typologie <lb n="pwe_077.027"/> nun im einzelnen weiter zu verästeln: der Poetiker muß sich hier <lb n="pwe_077.028"/> immer mehr auf das Feld der konkreten geschichtlichen „Form“ und Form- <lb n="pwe_077.029"/> Tradition begeben; die Poetik kommt hier nicht mehr ohne die Historie <lb n="pwe_077.030"/> aus. – Es wird sich darum auch im Folgenden nur um einzelne Hinweise <lb n="pwe_077.031"/> handeln können, da hier die Prinzipienlehre in die historische Einzelbeschreibung <lb n="pwe_077.032"/> übergeht und dadurch erst recht auch in das Gestrüpp einer <lb n="pwe_077.033"/> Nomenklatur der Formen gerät, die von Sprache zu Sprache und von <lb n="pwe_077.034"/> Epoche zu Epoche wechselt. Wir müssen aber auch hier schon Versuche berücksichtigen, <lb n="pwe_077.035"/> das Wesen einer Gattung oder Art in einer Gattungs- oder <lb n="pwe_077.036"/> Artgeschichte zu fassen, da hier das Ziel eher in der Erkenntnis der Gattung <lb n="pwe_077.037"/> selbst als der Literaturgeschichte besteht.</p> <lb n="pwe_077.038"/> <p> Die <hi rendition="#g">Lyrik</hi> – wie immer ihr Typus bestimmt, wie immer ihre Zeitlichkeit <lb n="pwe_077.039"/> gedeutet wird, – erscheint als „Ur-Dichtung“, in der sich das dichterische </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0083]
pwe_077.001
dem Lyrischen und der Lyrik in Abrede zu stellen. Ja er gesteht sogar unter pwe_077.002
gewissen Bedingungen die Möglichkeit einer Art Musterpoetik zu, die – pwe_077.003
mit dem Begriff des Spielraums – fragen würde: Was ist im Raum der pwe_077.004
Ode, der Elegie, des Romans, der Komödie möglich? „Nur möchte ich mich pwe_077.005
weigern, dieses Geschäft zu übernehmen. Denn die Verhältnisse scheinen pwe_077.006
hier so kompliziert und schwierig zu sein, so groß ist mein Glaube an neue, pwe_077.007
ganz unerwartete Möglichkeiten der Dichter, daß ich von den Grundbegriffen pwe_077.008
lieber gleich zur Interpretation des einzelnen Kunstwerks übergehe.“ pwe_077.009
Das Recht zu solchem Verzicht wird niemand bestreiten, aber das Problem pwe_077.010
wird wegen seiner Schwierigkeit noch nicht hinfällig. Das Problem nämlich pwe_077.011
und die Aufgabe, den zwischen dem Typus und dem Einzelwerk stehenden pwe_077.012
Gruppeneinheiten, Stilganzheiten nachzugehen, ohne deren Berücksichtigung pwe_077.013
das Einzelwerk im geschichtslosen Raum bzw. einem geschichtlichen pwe_077.014
Chaos schweben würde. Es meldet sich für die Poetik die Tatsache, pwe_077.015
daß sich Dichtung nur in geschichtlichem Zusammenhang zeigt, wie sie Stai- pwe_077.016
ger selbst bei seinen Interpretationen (z. B. Kellers) auch berücksichtigt. pwe_077.017
Es zeigen sich über dem Einzelwerk Ordnungen, Stilschemata, stilistische pwe_077.018
Ganzheiten, mit denen und aus denen die Einzelwerke leben. Zu ihnen gehören pwe_077.019
auch die Gattungen und Arten bis hinein in ganz bestimmte Bautypen. pwe_077.020
Sie werden allerdings nicht a priori abzuleiten und nicht als „Naturformen“ pwe_077.021
zu verstehen sein, sondern in ihrem spezifisch geschichtlichen pwe_077.022
Charakter, d. h. aus der Dialektik von fester Tradition und unberechenbarem pwe_077.023
Ursprung, wobei sich das Verhältnis von Typus und Individualität pwe_077.024
immer wieder umkehrt.
pwe_077.025
d) Einzelprobleme von Gattungen und Arten pwe_077.026
Das zeigt sich bei dem – von Staiger abgelehnten – Versuch, die Typologie pwe_077.027
nun im einzelnen weiter zu verästeln: der Poetiker muß sich hier pwe_077.028
immer mehr auf das Feld der konkreten geschichtlichen „Form“ und Form- pwe_077.029
Tradition begeben; die Poetik kommt hier nicht mehr ohne die Historie pwe_077.030
aus. – Es wird sich darum auch im Folgenden nur um einzelne Hinweise pwe_077.031
handeln können, da hier die Prinzipienlehre in die historische Einzelbeschreibung pwe_077.032
übergeht und dadurch erst recht auch in das Gestrüpp einer pwe_077.033
Nomenklatur der Formen gerät, die von Sprache zu Sprache und von pwe_077.034
Epoche zu Epoche wechselt. Wir müssen aber auch hier schon Versuche berücksichtigen, pwe_077.035
das Wesen einer Gattung oder Art in einer Gattungs- oder pwe_077.036
Artgeschichte zu fassen, da hier das Ziel eher in der Erkenntnis der Gattung pwe_077.037
selbst als der Literaturgeschichte besteht.
pwe_077.038
Die Lyrik – wie immer ihr Typus bestimmt, wie immer ihre Zeitlichkeit pwe_077.039
gedeutet wird, – erscheint als „Ur-Dichtung“, in der sich das dichterische
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |