Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_037.001 Wieder eine andere und diesmal ganz nach vorwärts gerichtete Perspektive pwe_037.019 1 pwe_037.040
Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, herausgegeben vom deutschen pwe_037.041 Volksliederarchiv, Berlin und Leipzig 1935 ff. pwe_037.001 Wieder eine andere und diesmal ganz nach vorwärts gerichtete Perspektive pwe_037.019 1 pwe_037.040
Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, herausgegeben vom deutschen pwe_037.041 Volksliederarchiv, Berlin und Leipzig 1935 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043" n="37"/><lb n="pwe_037.001"/> schon in der älteren Literatur Fälle, bei denen nicht nur ein Original, sondern <lb n="pwe_037.002"/> die <hi rendition="#g">Geschichte des Werks</hi> interessiert, weil diese selber wesentlich <lb n="pwe_037.003"/> für das Dichtwerk und seine Wirkung ist. Vor allem dürfte dies <lb n="pwe_037.004"/> beim <hi rendition="#g">Volkslied</hi> der Fall sein. Zwar hätte man auch hier immer gern <lb n="pwe_037.005"/> eine älteste, eine „Ur“-Fassung (wobei allerdings jede Stemmatologie prinzipiell <lb n="pwe_037.006"/> fragwürdig ist); zugleich aber muß der Bearbeiter den auch in der <lb n="pwe_037.007"/> Tradition charakteristischen, oft sogar schöpferischen Gang des Liedes <lb n="pwe_037.008"/> wenigstens in gewissen Grenzen verfolgen. Das bringt auch <hi rendition="#g">editionstechnisch</hi> <lb n="pwe_037.009"/> neue Aufgaben mit sich. Die 1935 begonnene große Publikation <lb n="pwe_037.010"/> der deutschen Volkslieder, der Ertrag der Lebensarbeit <hi rendition="#k">John <lb n="pwe_037.011"/> Meiers</hi> und seiner Mitarbeiter, darf darum hier genannt werden<note xml:id="PWE_037_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_037.040"/><hi rendition="#i">Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, herausgegeben vom deutschen <lb n="pwe_037.041"/> Volksliederarchiv,</hi> Berlin und Leipzig 1935 ff.</note>. Sie <lb n="pwe_037.012"/> bringt nun eben keine Rekonstruktionen, sondern jeweils eine Reihe von <lb n="pwe_037.013"/> Fassungen je im genauen Abdruck, worauf dann an Hand einer stofflichen <lb n="pwe_037.014"/> Inhaltsangabe die sachlichen Varianten aller Quellen verzeichnet und <lb n="pwe_037.015"/> eine Entwicklungsgeschichte das Ergebnis der wissenschaftlichen Erschließung <lb n="pwe_037.016"/> formuliert. Daß sich das Problem durch Publikation auch der Melodien <lb n="pwe_037.017"/> sozusagen potenziert, sei nebenbei vermerkt.</p> <lb n="pwe_037.018"/> <p> Wieder eine andere und diesmal ganz nach vorwärts gerichtete Perspektive <lb n="pwe_037.019"/> zeigt die Textkritik bei neuzeitlichen Texten, speziell etwa im Gebiet <lb n="pwe_037.020"/> der wissenschaftlichen Gesamtausgaben neuerer Klassiker. Hier tritt <lb n="pwe_037.021"/> die Suche nach der „ursprünglichen“ Lesart, nach Originalen und Archetypen <lb n="pwe_037.022"/> zurück, da der Dichter ja gewöhnlich einen selbst autorisierten <lb n="pwe_037.023"/> Drucktext vorgelegt hat. Dafür tritt dieses dichterische Werk nun sehr oft <lb n="pwe_037.024"/> auseinander in eine Stufenfolge: Manuskripte, Erstdruck, Ausgabe letzter <lb n="pwe_037.025"/> Hand sind ihre wichtigsten Etappen, die nun nicht nur zur Korrektur <lb n="pwe_037.026"/> später hereingekommener Fehler und Irrtümer zu vergleichen sind, sondern <lb n="pwe_037.027"/> – nun im Bereich des Dichters selbst – als Entstehungsgeschichte und <lb n="pwe_037.028"/> Fingerzeige für die Deutung in hohem Maß wichtig werden. Die Ausgabe <lb n="pwe_037.029"/> wird zur „<hi rendition="#g">historisch-</hi>kritischen“ Edition. Welche Stufe ihr zugrundegelegt <lb n="pwe_037.030"/> werden soll, ist von Fall zu Fall zu entscheiden; es geschieht <lb n="pwe_037.031"/> heute nicht mehr so unbedingt wie früher zugunsten der Ausgabe letzter <lb n="pwe_037.032"/> Hand: der „letzte Wille“ des Dichters ist schließlich nicht mehr als ein <lb n="pwe_037.033"/> juristisches Argument, das mit dem ästhetischen in Konflikt kommen kann <lb n="pwe_037.034"/> (es ist der Extremfall, wenn <hi rendition="#k">Max Brod</hi> die Werke seines Freundes Kafka <lb n="pwe_037.035"/> nicht, dessen Willen gemäß, vernichtete, sondern herausgab). Vor allem <lb n="pwe_037.036"/> aber verlangt der textkritische <hi rendition="#g">Apparat</hi> hier eine völlig andere Gestaltung <lb n="pwe_037.037"/> als etwa bei einem mittelalterlichen Text. Das übliche Lesartenverzeichnis <lb n="pwe_037.038"/> nach klassischem Muster, wie es z. T. noch die Weimarer <lb n="pwe_037.039"/> Goethe-Ausgabe bietet, wird sonst u. U. (z. B. im Apparat zu Stifters </p> </div> </body> </text> </TEI> [37/0043]
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schon in der älteren Literatur Fälle, bei denen nicht nur ein Original, sondern pwe_037.002
die Geschichte des Werks interessiert, weil diese selber wesentlich pwe_037.003
für das Dichtwerk und seine Wirkung ist. Vor allem dürfte dies pwe_037.004
beim Volkslied der Fall sein. Zwar hätte man auch hier immer gern pwe_037.005
eine älteste, eine „Ur“-Fassung (wobei allerdings jede Stemmatologie prinzipiell pwe_037.006
fragwürdig ist); zugleich aber muß der Bearbeiter den auch in der pwe_037.007
Tradition charakteristischen, oft sogar schöpferischen Gang des Liedes pwe_037.008
wenigstens in gewissen Grenzen verfolgen. Das bringt auch editionstechnisch pwe_037.009
neue Aufgaben mit sich. Die 1935 begonnene große Publikation pwe_037.010
der deutschen Volkslieder, der Ertrag der Lebensarbeit John pwe_037.011
Meiers und seiner Mitarbeiter, darf darum hier genannt werden 1. Sie pwe_037.012
bringt nun eben keine Rekonstruktionen, sondern jeweils eine Reihe von pwe_037.013
Fassungen je im genauen Abdruck, worauf dann an Hand einer stofflichen pwe_037.014
Inhaltsangabe die sachlichen Varianten aller Quellen verzeichnet und pwe_037.015
eine Entwicklungsgeschichte das Ergebnis der wissenschaftlichen Erschließung pwe_037.016
formuliert. Daß sich das Problem durch Publikation auch der Melodien pwe_037.017
sozusagen potenziert, sei nebenbei vermerkt.
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Wieder eine andere und diesmal ganz nach vorwärts gerichtete Perspektive pwe_037.019
zeigt die Textkritik bei neuzeitlichen Texten, speziell etwa im Gebiet pwe_037.020
der wissenschaftlichen Gesamtausgaben neuerer Klassiker. Hier tritt pwe_037.021
die Suche nach der „ursprünglichen“ Lesart, nach Originalen und Archetypen pwe_037.022
zurück, da der Dichter ja gewöhnlich einen selbst autorisierten pwe_037.023
Drucktext vorgelegt hat. Dafür tritt dieses dichterische Werk nun sehr oft pwe_037.024
auseinander in eine Stufenfolge: Manuskripte, Erstdruck, Ausgabe letzter pwe_037.025
Hand sind ihre wichtigsten Etappen, die nun nicht nur zur Korrektur pwe_037.026
später hereingekommener Fehler und Irrtümer zu vergleichen sind, sondern pwe_037.027
– nun im Bereich des Dichters selbst – als Entstehungsgeschichte und pwe_037.028
Fingerzeige für die Deutung in hohem Maß wichtig werden. Die Ausgabe pwe_037.029
wird zur „historisch-kritischen“ Edition. Welche Stufe ihr zugrundegelegt pwe_037.030
werden soll, ist von Fall zu Fall zu entscheiden; es geschieht pwe_037.031
heute nicht mehr so unbedingt wie früher zugunsten der Ausgabe letzter pwe_037.032
Hand: der „letzte Wille“ des Dichters ist schließlich nicht mehr als ein pwe_037.033
juristisches Argument, das mit dem ästhetischen in Konflikt kommen kann pwe_037.034
(es ist der Extremfall, wenn Max Brod die Werke seines Freundes Kafka pwe_037.035
nicht, dessen Willen gemäß, vernichtete, sondern herausgab). Vor allem pwe_037.036
aber verlangt der textkritische Apparat hier eine völlig andere Gestaltung pwe_037.037
als etwa bei einem mittelalterlichen Text. Das übliche Lesartenverzeichnis pwe_037.038
nach klassischem Muster, wie es z. T. noch die Weimarer pwe_037.039
Goethe-Ausgabe bietet, wird sonst u. U. (z. B. im Apparat zu Stifters
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Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, herausgegeben vom deutschen pwe_037.041
Volksliederarchiv, Berlin und Leipzig 1935 ff.
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