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Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.

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des Todes, des Unterbewußten, des Kollektiven, des Zeitlosen, der religiösen pwe_012.002
Abgründe - von Th. Mann und Hesse bis zu Rilke und Kafka, von pwe_012.003
Proust zu Joyce - und doch überall zugleich in der verbissenen Hoffnung pwe_012.004
auf einen "Umschlag", eine "Transzendenz der Verzweiflung", im pwe_012.005
Glauben, daß die Tiefenfahrt zugleich eine Initiation bedeute und eine pwe_012.006
neue Integration des Menschen im Einzelnen und Ganzen einleiten könnte. pwe_012.007
Die Dichtung bringt sich vor unendliche neue Möglichkeiten und traut sich pwe_012.008
selbst hermetische, totenführerische Kräfte zu. Walther Rehm1 hat das pwe_012.009
Symbol vom Totenführer Orpheus in seinem Zusammenhang mit der pwe_012.010
Geschichte des dichterischen Selbstverständnisses beschrieben; die Beziehung pwe_012.011
des Dichters zum Tode ist nicht mehr ein "Problem" stofflich-gedanklicher pwe_012.012
Art, sondern für die moderne Dichtung - seit 1800 - unmittelbar konstitutiv, pwe_012.013
soweit diese sich selbst zum Gegenstand wird, sich selbst absolut pwe_012.014
setzt und damit ihre Größe wie ihre krisenhafte Grenze enthüllt. Wir sind pwe_012.015
damit schließlich hingewiesen auf einen innersten Kreis dichterischer Betätigung pwe_012.016
seit dem späteren 19. Jahrhundert, der sich vor allem in der Lyrik pwe_012.017
auftut: die Idee der poesie pure, der absoluten Poesie, die in exklusivster, pwe_012.018
strenger Arbeit die alchemistische Läuterung und Verwandlung der dichterischen pwe_012.019
Sprache und damit des Menschen unternimmt2. Sie lebt ja nicht pwe_012.020
nur im Symbolismus, auch in der Kunst der Neuromantik, im Kult der pwe_012.021
Georgeleute, bei Rilke, in der Wortakrobatik des Expressionismus, im Surealismus. pwe_012.022
Und sie weiß um die Entdeckungen der Psychoanalyse vom pwe_012.023
offenbarenden Wesen des Symbols wie um die Einsamkeit der Existentialisten. pwe_012.024
Es entstehen dichterische Werke, die weder von der Idee noch von pwe_012.025
der Natur aus gerechtfertigt werden können, sondern nur "phänomenologisch" pwe_012.026
zu umschreiben sind als Manifestationen einer neuen Wirklichkeit, pwe_012.027
als neue "Welt". Der Anspruch, daß das Werk ein absolut in sich selber pwe_012.028
ruhendes Phänomen sei, reine "Form", ohne den Willen zu einer Aussage pwe_012.029
oder einer Wirkung, "nur mit sich allein" (Rilke), in der Spiegelung seiner pwe_012.030
selbst, als Rückzug auf die "Poesie der Poesie", ist zweifellos ein Symptom pwe_012.031
für die Grenz- und Krisensituation eines weltlos gewordenen Geistes,

1 pwe_012.032
Walther Rehm, Orpheus. Der Dichter und die Toten. Selbstdeutung und pwe_012.033
Totenkult bei Novalis, Hölderlin, Rilke.
Düsseldorf 1950.
2 pwe_012.034
Paul Valery, Introduction a la poetique. Paris 1938, u. a. - Werner Günther, pwe_012.035
Über die absolute Poesie. Zur geistigen Struktur neuerer Dichtung. DV 23 pwe_012.036
(1949) 1 ff. - Dazu Carl Augstein und Replik Günthers a. a. O. 24 (1950) pwe_012.037
144 ff. - Ernst Howald, Das Wesen der lateinischen Dichtung. Erlenbach-Zürich pwe_012.038
1948. - Thierry Maulnier, Introduction a la poesie francaise. Paris 1939. - pwe_012.039
Pierre Beausire, Essai sur la poesie et la poetique de Mallarme. Lausanne 1942. - pwe_012.040
Claude Roulet, Elements de poetique Mallarmeenne. Neuchatel 1947. - Claude- pwe_012.041
Louis Esteve, Etudes philosophiques sur l'expression litteraire. Paris 1939.

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Zitationshilfe: Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/18>, abgerufen am 24.11.2024.