Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].
In den Follies Bergere warf man mir gleich am ersten Abend einen Sammetfauteuil an den Kopf. Die fran- zösische Nation ist zu heruntergekommen, um noch ge- diegene Kraftleistungen zu würdigen. Wäre ich ein boxendes Känguruh, dann hätten sie mich interviewt und in allen Journalen abgebildet. Gott sei Dank hatte ich auf der Toilette schon die Bekanntschaft meiner Celestine gemacht. Als ich ihr meine zwei Sous in die Hand drückte, erklärte sie mir, sie beabsichtigte, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie hat die Ersparnisse zwanzigjähriger Arbeit auf dem Credit Lionnais deponiert. Dabei liebt sie mich um meiner selbst willen. Sie geht nicht wie Du nur auf Gemeinheiten aus. Sie hat drei Kinder von einem englischen Bischof, die alle zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Übermorgen früh werden wir uns auf der Mairie des ersten Arrondissements standesamtlich trauen lassen. Lulu. Meinen Segen hast Du dazu. Rodrigo. Dein Segen kann mir gestohlen werden! Ich habe meiner Braut gesagt, ich hätte zwanzigtausend Francs auf der Bank liegen. Lulu. Dabei prahlt der Kerl noch, daß ihn das Mädchen um seiner selbst willen liebt! Rodrigo. Meine Celestine verehrt den Gemüts- menschen in mir, und nicht den Kraftmenschen, wie Du das getan hast und all die anderen. Das ist jetzt über- standen! Erst rissen sie einem die Kleider vom Leib und dann wälzten sie sich mit der Femme de Chambre herum. Ich will ein Totengerippe sein, wenn ich mich noch jemals auf solche Belustigungen einlasse! Lulu. Warum zum Henker verfolgst Du denn die unglückliche Geschwitz mit Deinen schmutzigen Anträgen? Rodrigo. Weil das Frauenzimmer von Adel ist.
In den Follies Bergère warf man mir gleich am erſten Abend einen Sammetfauteuil an den Kopf. Die fran- zöſiſche Nation iſt zu heruntergekommen, um noch ge- diegene Kraftleiſtungen zu würdigen. Wäre ich ein boxendes Känguruh, dann hätten ſie mich interviewt und in allen Journalen abgebildet. Gott ſei Dank hatte ich auf der Toilette ſchon die Bekanntſchaft meiner Céleſtine gemacht. Als ich ihr meine zwei Sous in die Hand drückte, erklärte ſie mir, ſie beabſichtigte, ſich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie hat die Erſparniſſe zwanzigjähriger Arbeit auf dem Crédit Lionnais deponiert. Dabei liebt ſie mich um meiner ſelbſt willen. Sie geht nicht wie Du nur auf Gemeinheiten aus. Sie hat drei Kinder von einem engliſchen Biſchof, die alle zu den ſchönſten Hoffnungen berechtigen. Übermorgen früh werden wir uns auf der Mairie des erſten Arrondiſſements ſtandesamtlich trauen laſſen. Lulu. Meinen Segen haſt Du dazu. Rodrigo. Dein Segen kann mir geſtohlen werden! Ich habe meiner Braut geſagt, ich hätte zwanzigtauſend Francs auf der Bank liegen. Lulu. Dabei prahlt der Kerl noch, daß ihn das Mädchen um ſeiner ſelbſt willen liebt! Rodrigo. Meine Céleſtine verehrt den Gemüts- menſchen in mir, und nicht den Kraftmenſchen, wie Du das getan haſt und all die anderen. Das iſt jetzt über- ſtanden! Erſt riſſen ſie einem die Kleider vom Leib und dann wälzten ſie ſich mit der Femme de Chambre herum. Ich will ein Totengerippe ſein, wenn ich mich noch jemals auf ſolche Beluſtigungen einlaſſe! Lulu. Warum zum Henker verfolgſt Du denn die unglückliche Geſchwitz mit Deinen ſchmutzigen Anträgen? Rodrigo. Weil das Frauenzimmer von Adel iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#ROD"> <p><pb facs="#f0053" n="45"/> In den Follies Berg<hi rendition="#aq">è</hi>re warf man mir gleich am erſten<lb/> Abend einen Sammetfauteuil an den Kopf. Die fran-<lb/> zöſiſche Nation iſt zu heruntergekommen, um noch ge-<lb/> diegene Kraftleiſtungen zu würdigen. Wäre ich ein<lb/> boxendes Känguruh, dann hätten ſie mich interviewt und<lb/> in allen Journalen abgebildet. Gott ſei Dank hatte ich<lb/> auf der Toilette ſchon die Bekanntſchaft meiner C<hi rendition="#aq">é</hi>leſtine<lb/> gemacht. Als ich ihr meine zwei Sous in die Hand<lb/> drückte, erklärte ſie mir, ſie beabſichtigte, ſich aus der<lb/> Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie hat die Erſparniſſe<lb/> zwanzigjähriger Arbeit auf dem Cr<hi rendition="#aq">é</hi>dit Lionnais deponiert.<lb/> Dabei liebt ſie mich um meiner ſelbſt willen. Sie geht<lb/> nicht wie Du nur auf Gemeinheiten aus. Sie hat drei<lb/> Kinder von einem engliſchen Biſchof, die alle zu den<lb/> ſchönſten Hoffnungen berechtigen. Übermorgen früh werden<lb/> wir uns auf der Mairie des erſten Arrondiſſements<lb/> ſtandesamtlich trauen laſſen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Meinen Segen haſt Du dazu.</p> </sp><lb/> <sp who="#ROD"> <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker> <p>Dein Segen kann mir geſtohlen werden!<lb/> Ich habe meiner Braut geſagt, ich hätte zwanzigtauſend<lb/> Francs auf der Bank liegen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Dabei prahlt der Kerl noch, daß ihn das<lb/> Mädchen um ſeiner ſelbſt willen liebt!</p> </sp><lb/> <sp who="#ROD"> <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker> <p>Meine C<hi rendition="#aq">é</hi>leſtine verehrt den Gemüts-<lb/> menſchen in mir, und nicht den Kraftmenſchen, wie Du<lb/> das getan haſt und all die anderen. Das iſt jetzt über-<lb/> ſtanden! Erſt riſſen ſie einem die Kleider vom Leib<lb/> und dann wälzten ſie ſich mit der <hi rendition="#aq">Femme de Chambre</hi><lb/> herum. Ich will ein Totengerippe ſein, wenn ich mich<lb/> noch jemals auf ſolche Beluſtigungen einlaſſe!</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Warum zum Henker verfolgſt Du denn die<lb/> unglückliche Geſchwitz mit Deinen ſchmutzigen Anträgen?</p> </sp><lb/> <sp who="#ROD"> <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker> <p>Weil das Frauenzimmer von Adel iſt.<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [45/0053]
In den Follies Bergère warf man mir gleich am erſten
Abend einen Sammetfauteuil an den Kopf. Die fran-
zöſiſche Nation iſt zu heruntergekommen, um noch ge-
diegene Kraftleiſtungen zu würdigen. Wäre ich ein
boxendes Känguruh, dann hätten ſie mich interviewt und
in allen Journalen abgebildet. Gott ſei Dank hatte ich
auf der Toilette ſchon die Bekanntſchaft meiner Céleſtine
gemacht. Als ich ihr meine zwei Sous in die Hand
drückte, erklärte ſie mir, ſie beabſichtigte, ſich aus der
Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie hat die Erſparniſſe
zwanzigjähriger Arbeit auf dem Crédit Lionnais deponiert.
Dabei liebt ſie mich um meiner ſelbſt willen. Sie geht
nicht wie Du nur auf Gemeinheiten aus. Sie hat drei
Kinder von einem engliſchen Biſchof, die alle zu den
ſchönſten Hoffnungen berechtigen. Übermorgen früh werden
wir uns auf der Mairie des erſten Arrondiſſements
ſtandesamtlich trauen laſſen.
Lulu. Meinen Segen haſt Du dazu.
Rodrigo. Dein Segen kann mir geſtohlen werden!
Ich habe meiner Braut geſagt, ich hätte zwanzigtauſend
Francs auf der Bank liegen.
Lulu. Dabei prahlt der Kerl noch, daß ihn das
Mädchen um ſeiner ſelbſt willen liebt!
Rodrigo. Meine Céleſtine verehrt den Gemüts-
menſchen in mir, und nicht den Kraftmenſchen, wie Du
das getan haſt und all die anderen. Das iſt jetzt über-
ſtanden! Erſt riſſen ſie einem die Kleider vom Leib
und dann wälzten ſie ſich mit der Femme de Chambre
herum. Ich will ein Totengerippe ſein, wenn ich mich
noch jemals auf ſolche Beluſtigungen einlaſſe!
Lulu. Warum zum Henker verfolgſt Du denn die
unglückliche Geſchwitz mit Deinen ſchmutzigen Anträgen?
Rodrigo. Weil das Frauenzimmer von Adel iſt.
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