Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].

Bild:
<< vorherige Seite
bezahlt demjenigen, der die Mörderin des Doktor Schön
der Polizei in die Hand liefert, tausend Mark. Ich
brauche nur den Sergeant de Ville heraufzupfeifen, der
unten an der Ecke steht, dann habe ich tausend Mark
verdient. Dagegen bietet das Etablissement Oikonomo-
pulos in Kairo sechzig Pfund für Dich. Das sind fünf-
zehnhundert Franks, das sind zwölfhundert Mark, also
zweihundert Mark mehr als der Staatsanwalt bezahlt.
Übrigens bin ich immerhin noch soweit Philantrop, um
meinen Lieben lieber zum Glück zu verhelfen, als daß
ich sie ins Unglück stürze.
Lulu. Das Leben in einem solchen Haus kann ein
Weib von meinem Schlag nie und nimmer glücklich
machen. Als ich fünfzehn Jahr alt war, hätte mir das
gefallen können. Damals verzweifelte ich daran, daß
ich jemals glücklich werden würde. Ich kaufte mir einen
Revolver und lief nachts durch den tiefen Schnee über
die Brücke in die Anlagen hinaus, um mich zu erschießen.
Dann lag ich aber glücklicher Weise drei Monate im
Spital, ohne einen Mann zu Gesicht zu bekommen.
In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf und
ich erkannte mich. In meinen Träumen sah ich Nacht
für Nacht den Mann, für den ich geschaffen bin und
der für mich geschaffen ist. Und als ich dann wieder
auf die Männer losgelassen wurde, da war ich kein
dummes Gänschen mehr. Seither sehe ich es jedem bei
stockfinsterer Nacht auf hundert Schritt Entfernung an,
ob wir für einander bestimmt sind. Und wenn ich mich
gegen meine Erkenntnis versündige, dann fühle ich mich
am nächsten Tage an Seele und Leib beschmutzt und
brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir empfinde,
zu überwinden. Und nun bildest Du Dir ein, ich werde
mich jedem Lumpenkerl hingeben!
bezahlt demjenigen, der die Mörderin des Doktor Schön
der Polizei in die Hand liefert, tauſend Mark. Ich
brauche nur den Sergeant de Ville heraufzupfeifen, der
unten an der Ecke ſteht, dann habe ich tauſend Mark
verdient. Dagegen bietet das Etabliſſement Oikonomo-
pulos in Kairo ſechzig Pfund für Dich. Das ſind fünf-
zehnhundert Franks, das ſind zwölfhundert Mark, alſo
zweihundert Mark mehr als der Staatsanwalt bezahlt.
Übrigens bin ich immerhin noch ſoweit Philantrop, um
meinen Lieben lieber zum Glück zu verhelfen, als daß
ich ſie ins Unglück ſtürze.
Lulu. Das Leben in einem ſolchen Haus kann ein
Weib von meinem Schlag nie und nimmer glücklich
machen. Als ich fünfzehn Jahr alt war, hätte mir das
gefallen können. Damals verzweifelte ich daran, daß
ich jemals glücklich werden würde. Ich kaufte mir einen
Revolver und lief nachts durch den tiefen Schnee über
die Brücke in die Anlagen hinaus, um mich zu erſchießen.
Dann lag ich aber glücklicher Weiſe drei Monate im
Spital, ohne einen Mann zu Geſicht zu bekommen.
In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf und
ich erkannte mich. In meinen Träumen ſah ich Nacht
für Nacht den Mann, für den ich geſchaffen bin und
der für mich geſchaffen iſt. Und als ich dann wieder
auf die Männer losgelaſſen wurde, da war ich kein
dummes Gänschen mehr. Seither ſehe ich es jedem bei
ſtockfinſterer Nacht auf hundert Schritt Entfernung an,
ob wir für einander beſtimmt ſind. Und wenn ich mich
gegen meine Erkenntnis verſündige, dann fühle ich mich
am nächſten Tage an Seele und Leib beſchmutzt und
brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir empfinde,
zu überwinden. Und nun bildeſt Du Dir ein, ich werde
mich jedem Lumpenkerl hingeben!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#PIA">
          <p><pb facs="#f0044" n="36"/>
bezahlt demjenigen, der die Mörderin des Doktor Schön<lb/>
der Polizei in die Hand liefert, tau&#x017F;end Mark. Ich<lb/>
brauche nur den Sergeant de Ville heraufzupfeifen, der<lb/>
unten an der Ecke &#x017F;teht, dann habe ich tau&#x017F;end Mark<lb/>
verdient. Dagegen bietet das Etabli&#x017F;&#x017F;ement Oikonomo-<lb/>
pulos in Kairo &#x017F;echzig Pfund für Dich. Das &#x017F;ind fünf-<lb/>
zehnhundert Franks, das &#x017F;ind zwölfhundert Mark, al&#x017F;o<lb/>
zweihundert Mark mehr als der Staatsanwalt bezahlt.<lb/>
Übrigens bin ich immerhin noch &#x017F;oweit Philantrop, um<lb/>
meinen Lieben lieber zum Glück zu verhelfen, als daß<lb/>
ich &#x017F;ie ins Unglück &#x017F;türze.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LUL">
          <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker>
          <p>Das Leben in einem &#x017F;olchen Haus kann ein<lb/>
Weib von meinem Schlag nie und nimmer glücklich<lb/>
machen. Als ich fünfzehn Jahr alt war, hätte mir das<lb/>
gefallen können. Damals verzweifelte ich daran, daß<lb/>
ich jemals glücklich werden würde. Ich kaufte mir einen<lb/>
Revolver und lief nachts durch den tiefen Schnee über<lb/>
die Brücke in die Anlagen hinaus, um mich zu er&#x017F;chießen.<lb/>
Dann lag ich aber glücklicher Wei&#x017F;e drei Monate im<lb/>
Spital, ohne einen Mann zu Ge&#x017F;icht zu bekommen.<lb/>
In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf und<lb/>
ich erkannte mich. In meinen Träumen &#x017F;ah ich Nacht<lb/>
für Nacht den Mann, für den ich ge&#x017F;chaffen bin und<lb/>
der für mich ge&#x017F;chaffen i&#x017F;t. Und als ich dann wieder<lb/>
auf die Männer losgela&#x017F;&#x017F;en wurde, da war ich kein<lb/>
dummes Gänschen mehr. Seither &#x017F;ehe ich es jedem bei<lb/>
&#x017F;tockfin&#x017F;terer Nacht auf hundert Schritt Entfernung an,<lb/>
ob wir für einander be&#x017F;timmt &#x017F;ind. Und wenn ich mich<lb/>
gegen meine Erkenntnis ver&#x017F;ündige, dann fühle ich mich<lb/>
am näch&#x017F;ten Tage an Seele und Leib be&#x017F;chmutzt und<lb/>
brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir empfinde,<lb/>
zu überwinden. Und nun bilde&#x017F;t Du Dir ein, ich werde<lb/>
mich jedem Lumpenkerl hingeben!</p>
        </sp><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0044] bezahlt demjenigen, der die Mörderin des Doktor Schön der Polizei in die Hand liefert, tauſend Mark. Ich brauche nur den Sergeant de Ville heraufzupfeifen, der unten an der Ecke ſteht, dann habe ich tauſend Mark verdient. Dagegen bietet das Etabliſſement Oikonomo- pulos in Kairo ſechzig Pfund für Dich. Das ſind fünf- zehnhundert Franks, das ſind zwölfhundert Mark, alſo zweihundert Mark mehr als der Staatsanwalt bezahlt. Übrigens bin ich immerhin noch ſoweit Philantrop, um meinen Lieben lieber zum Glück zu verhelfen, als daß ich ſie ins Unglück ſtürze. Lulu. Das Leben in einem ſolchen Haus kann ein Weib von meinem Schlag nie und nimmer glücklich machen. Als ich fünfzehn Jahr alt war, hätte mir das gefallen können. Damals verzweifelte ich daran, daß ich jemals glücklich werden würde. Ich kaufte mir einen Revolver und lief nachts durch den tiefen Schnee über die Brücke in die Anlagen hinaus, um mich zu erſchießen. Dann lag ich aber glücklicher Weiſe drei Monate im Spital, ohne einen Mann zu Geſicht zu bekommen. In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf und ich erkannte mich. In meinen Träumen ſah ich Nacht für Nacht den Mann, für den ich geſchaffen bin und der für mich geſchaffen iſt. Und als ich dann wieder auf die Männer losgelaſſen wurde, da war ich kein dummes Gänschen mehr. Seither ſehe ich es jedem bei ſtockfinſterer Nacht auf hundert Schritt Entfernung an, ob wir für einander beſtimmt ſind. Und wenn ich mich gegen meine Erkenntnis verſündige, dann fühle ich mich am nächſten Tage an Seele und Leib beſchmutzt und brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir empfinde, zu überwinden. Und nun bildeſt Du Dir ein, ich werde mich jedem Lumpenkerl hingeben!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Bei dieser Ausgabe handelt es sich um die erste s… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/44
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/44>, abgerufen am 24.11.2024.