Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].
So viel ich weiß, beziehen Sie außerdem noch ein monat- liches Salair von fünfhundert Mark von ihr. Es fällt einem manchmal ziemlich schwer, an Ihre Liebe zu der unglücklichen Gefangenen zu glauben. Wenn ich eben Fräulein von Geschwitz darum bat, meine Hilfe anzu- nehmen, so geschah es gewiß nicht, um Ihre unersätt- liche Goldgier aufzustacheln. Die Bewunderung, die ich vor Fräulein von Geschwitz in dieser Sache hegen ge- lernt, empfinde ich Ihnen gegenüber noch lange nicht. Es ist mir überhaupt unklar, was Sie an mich für An- sprüche geltend machen. Daß Sie zufällig bei der Er- mordung meines Vaters zugegen waren, hat zwischen Ihnen und mir noch nicht die geringsten verwandtschaft- lichen Bande geschaffen. Dagegen bin ich fest davon überzeugt, daß Sie, wenn Ihnen das heroische Unter- nehmen der Geschwitz nicht zugute gekommen wäre, heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinn- stein lägen. Rodrigo. Und wissen Sie, was aus Ihnen ge- worden wäre, wenn Sie das Käseblatt, das Ihr Vater redigierte, nicht um zwei Millionen veräußert hätten? -- Sie hätten sich mit dem ausgemergeltsten Ballett- mädchen zusammengetan und wären heute Stallknecht im Zirkus Humpelmeier. Was arbeiten Sie denn? -- Sie haben ein Schauerdrama geschrieben, in dem die Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren sind und das kein anständiges Theater zur Aufführung bringt. Sie Nachtjacke Sie! Ich habe auf diesem Brustkasten noch vor zwei Jahren zwei gesattelte Kavalleriepferde balanciert. Wie das jetzt mit der Plautze werden soll, ist mir allerdings rätselhaft. Die Französinnen bekommen einen schönen Begriff von der deutschen Kunst, wenn sie mir bei jedem Kilo mehr den Schweiß aus den Trikots
So viel ich weiß, beziehen Sie außerdem noch ein monat- liches Salair von fünfhundert Mark von ihr. Es fällt einem manchmal ziemlich ſchwer, an Ihre Liebe zu der unglücklichen Gefangenen zu glauben. Wenn ich eben Fräulein von Geſchwitz darum bat, meine Hilfe anzu- nehmen, ſo geſchah es gewiß nicht, um Ihre unerſätt- liche Goldgier aufzuſtacheln. Die Bewunderung, die ich vor Fräulein von Geſchwitz in dieſer Sache hegen ge- lernt, empfinde ich Ihnen gegenüber noch lange nicht. Es iſt mir überhaupt unklar, was Sie an mich für An- ſprüche geltend machen. Daß Sie zufällig bei der Er- mordung meines Vaters zugegen waren, hat zwiſchen Ihnen und mir noch nicht die geringſten verwandtſchaft- lichen Bande geſchaffen. Dagegen bin ich feſt davon überzeugt, daß Sie, wenn Ihnen das heroiſche Unter- nehmen der Geſchwitz nicht zugute gekommen wäre, heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinn- ſtein lägen. Rodrigo. Und wiſſen Sie, was aus Ihnen ge- worden wäre, wenn Sie das Käſeblatt, das Ihr Vater redigierte, nicht um zwei Millionen veräußert hätten? — Sie hätten ſich mit dem ausgemergeltſten Ballett- mädchen zuſammengetan und wären heute Stallknecht im Zirkus Humpelmeier. Was arbeiten Sie denn? — Sie haben ein Schauerdrama geſchrieben, in dem die Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren ſind und das kein anſtändiges Theater zur Aufführung bringt. Sie Nachtjacke Sie! Ich habe auf dieſem Bruſtkaſten noch vor zwei Jahren zwei geſattelte Kavalleriepferde balanciert. Wie das jetzt mit der Plautze werden ſoll, iſt mir allerdings rätſelhaft. Die Franzöſinnen bekommen einen ſchönen Begriff von der deutſchen Kunſt, wenn ſie mir bei jedem Kilo mehr den Schweiß aus den Trikots <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#ALW"> <p><pb facs="#f0022" n="14"/> So viel ich weiß, beziehen Sie außerdem noch ein monat-<lb/> liches Salair von fünfhundert Mark von ihr. Es fällt<lb/> einem manchmal ziemlich ſchwer, an Ihre Liebe zu der<lb/> unglücklichen Gefangenen zu glauben. Wenn ich eben<lb/> Fräulein von Geſchwitz darum bat, meine Hilfe anzu-<lb/> nehmen, ſo geſchah es gewiß nicht, um Ihre unerſätt-<lb/> liche Goldgier aufzuſtacheln. Die Bewunderung, die ich<lb/> vor Fräulein von Geſchwitz in dieſer Sache hegen ge-<lb/> lernt, empfinde ich Ihnen gegenüber noch lange nicht.<lb/> Es iſt mir überhaupt unklar, was Sie an mich für An-<lb/> ſprüche geltend machen. Daß Sie zufällig bei der Er-<lb/> mordung meines Vaters zugegen waren, hat zwiſchen<lb/> Ihnen und mir noch nicht die geringſten verwandtſchaft-<lb/> lichen Bande geſchaffen. Dagegen bin ich feſt davon<lb/> überzeugt, daß Sie, wenn Ihnen das heroiſche Unter-<lb/> nehmen der Geſchwitz nicht zugute gekommen wäre,<lb/> heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinn-<lb/> ſtein lägen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ROD"> <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker> <p>Und wiſſen Sie, was aus Ihnen ge-<lb/> worden wäre, wenn Sie das Käſeblatt, das Ihr Vater<lb/> redigierte, nicht um zwei Millionen veräußert hätten?<lb/> — Sie hätten ſich mit dem ausgemergeltſten Ballett-<lb/> mädchen zuſammengetan und wären heute Stallknecht<lb/> im Zirkus Humpelmeier. Was arbeiten Sie denn? —<lb/> Sie haben ein Schauerdrama geſchrieben, in dem die<lb/> Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren ſind und<lb/> das kein anſtändiges Theater zur Aufführung bringt.<lb/> Sie Nachtjacke Sie! Ich habe auf dieſem Bruſtkaſten<lb/> noch vor zwei Jahren zwei geſattelte Kavalleriepferde<lb/> balanciert. Wie das jetzt mit der Plautze werden ſoll,<lb/> iſt mir allerdings rätſelhaft. Die Franzöſinnen bekommen<lb/> einen ſchönen Begriff von der deutſchen Kunſt, wenn ſie<lb/> mir bei jedem Kilo mehr den Schweiß aus den Trikots<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [14/0022]
So viel ich weiß, beziehen Sie außerdem noch ein monat-
liches Salair von fünfhundert Mark von ihr. Es fällt
einem manchmal ziemlich ſchwer, an Ihre Liebe zu der
unglücklichen Gefangenen zu glauben. Wenn ich eben
Fräulein von Geſchwitz darum bat, meine Hilfe anzu-
nehmen, ſo geſchah es gewiß nicht, um Ihre unerſätt-
liche Goldgier aufzuſtacheln. Die Bewunderung, die ich
vor Fräulein von Geſchwitz in dieſer Sache hegen ge-
lernt, empfinde ich Ihnen gegenüber noch lange nicht.
Es iſt mir überhaupt unklar, was Sie an mich für An-
ſprüche geltend machen. Daß Sie zufällig bei der Er-
mordung meines Vaters zugegen waren, hat zwiſchen
Ihnen und mir noch nicht die geringſten verwandtſchaft-
lichen Bande geſchaffen. Dagegen bin ich feſt davon
überzeugt, daß Sie, wenn Ihnen das heroiſche Unter-
nehmen der Geſchwitz nicht zugute gekommen wäre,
heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinn-
ſtein lägen.
Rodrigo. Und wiſſen Sie, was aus Ihnen ge-
worden wäre, wenn Sie das Käſeblatt, das Ihr Vater
redigierte, nicht um zwei Millionen veräußert hätten?
— Sie hätten ſich mit dem ausgemergeltſten Ballett-
mädchen zuſammengetan und wären heute Stallknecht
im Zirkus Humpelmeier. Was arbeiten Sie denn? —
Sie haben ein Schauerdrama geſchrieben, in dem die
Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren ſind und
das kein anſtändiges Theater zur Aufführung bringt.
Sie Nachtjacke Sie! Ich habe auf dieſem Bruſtkaſten
noch vor zwei Jahren zwei geſattelte Kavalleriepferde
balanciert. Wie das jetzt mit der Plautze werden ſoll,
iſt mir allerdings rätſelhaft. Die Franzöſinnen bekommen
einen ſchönen Begriff von der deutſchen Kunſt, wenn ſie
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