Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].
engagiert wäre, nähme ich sie auf ein halbes Jahr mit nach London und ließe sie Plumkakes futtern. In London geht man schon allein durch die Seeluft auf. Außerdem fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier immer gleich die Schicksalshand an der Gurgel. Alwa. Ich frage mich seit acht Tagen, ob sich jemand, der zu Zuchthausstrafe verurteilt war, wohl noch zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde. Die Geschwitz. Käme der Mensch nur endlich mal! Rodrigo. Ich muß hier auch meine Requisiten noch aus dem Pfandleihhaus auslösen; sechshundert Kilo vom besten Eisen. Der Transport kostet mich immer dreimal mehr als mein eigenes Billet. Dabei ist die ganze Ausrüstung keinen Hosenknopf wert. Als ich schweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten sie mich, ob die Sachen auch echt seien. -- Die Kostüme hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen lassen sollen. Der Pariser merkt auf den ersten Blick, wo man seine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer darauflos. Aber das lernt sich nicht mit untergeschlagenen Beinen; das will an klassisch gebildeten Menschen studiert sein. Hier haben sie eine Angst vor der bloßen Haut wie in Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe verknallt, weil man sah, daß ich ein paar Haare auf der Brust habe, nicht so viel wie zu einer anständigen Zahnbürste nötig sind. Aber der Kultusminister meinte, die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude am Strümpfestricken verlieren. Seitdem lasse ich mich jeden Monat einmal rasieren. Alwa. Wenn ich jetzt nicht meine ganze geistige Spannkraft zu dem "Weltbeherrscher" nötig hätte, möchte ich das Problem wohl auf seine Tragfähigkeit erproben.
engagiert wäre, nähme ich ſie auf ein halbes Jahr mit nach London und ließe ſie Plumkakes futtern. In London geht man ſchon allein durch die Seeluft auf. Außerdem fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier immer gleich die Schickſalshand an der Gurgel. Alwa. Ich frage mich ſeit acht Tagen, ob ſich jemand, der zu Zuchthausſtrafe verurteilt war, wohl noch zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde. Die Geſchwitz. Käme der Menſch nur endlich mal! Rodrigo. Ich muß hier auch meine Requiſiten noch aus dem Pfandleihhaus auslöſen; ſechshundert Kilo vom beſten Eiſen. Der Transport koſtet mich immer dreimal mehr als mein eigenes Billet. Dabei iſt die ganze Ausrüſtung keinen Hoſenknopf wert. Als ich ſchweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten ſie mich, ob die Sachen auch echt ſeien. — Die Koſtüme hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen laſſen ſollen. Der Pariſer merkt auf den erſten Blick, wo man ſeine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer darauflos. Aber das lernt ſich nicht mit untergeſchlagenen Beinen; das will an klaſſiſch gebildeten Menſchen ſtudiert ſein. Hier haben ſie eine Angſt vor der bloßen Haut wie in Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe verknallt, weil man ſah, daß ich ein paar Haare auf der Bruſt habe, nicht ſo viel wie zu einer anſtändigen Zahnbürſte nötig ſind. Aber der Kultusminiſter meinte, die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude am Strümpfeſtricken verlieren. Seitdem laſſe ich mich jeden Monat einmal raſieren. Alwa. Wenn ich jetzt nicht meine ganze geiſtige Spannkraft zu dem „Weltbeherrſcher“ nötig hätte, möchte ich das Problem wohl auf ſeine Tragfähigkeit erproben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#ROD"> <p><pb facs="#f0015" n="7"/> engagiert wäre, nähme ich ſie auf ein halbes Jahr mit<lb/> nach London und ließe ſie Plumkakes futtern. In London<lb/> geht man ſchon allein durch die Seeluft auf. Außerdem<lb/> fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier<lb/> immer gleich die Schickſalshand an der Gurgel.</p> </sp><lb/> <sp who="#ALW"> <speaker><hi rendition="#g">Alwa</hi>.</speaker> <p>Ich frage mich ſeit acht Tagen, ob ſich<lb/> jemand, der zu Zuchthausſtrafe verurteilt war, wohl noch<lb/> zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde.</p> </sp><lb/> <sp who="#GES"> <speaker><hi rendition="#g">Die Geſchwitz</hi>.</speaker> <p>Käme der Menſch nur endlich mal!</p> </sp><lb/> <sp who="#ROD"> <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker> <p>Ich muß hier auch meine Requiſiten<lb/> noch aus dem Pfandleihhaus auslöſen; ſechshundert Kilo<lb/> vom beſten Eiſen. Der Transport koſtet mich immer<lb/> dreimal mehr als mein eigenes Billet. Dabei iſt die<lb/> ganze Ausrüſtung keinen Hoſenknopf wert. Als ich<lb/> ſchweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten ſie<lb/> mich, ob die Sachen auch echt ſeien. — Die Koſtüme<lb/> hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen laſſen<lb/> ſollen. Der Pariſer merkt auf den erſten Blick, wo man<lb/> ſeine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer darauflos.<lb/> Aber das lernt ſich nicht mit untergeſchlagenen Beinen;<lb/> das will an klaſſiſch gebildeten Menſchen ſtudiert ſein.<lb/> Hier haben ſie eine Angſt vor der bloßen Haut wie in<lb/> Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde<lb/> ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe<lb/> verknallt, weil man ſah, daß ich ein paar Haare auf<lb/> der Bruſt habe, nicht ſo viel wie zu einer anſtändigen<lb/> Zahnbürſte nötig ſind. Aber der Kultusminiſter meinte,<lb/><hi rendition="#g">die</hi> kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude<lb/> am Strümpfeſtricken verlieren. Seitdem laſſe ich mich<lb/> jeden Monat einmal raſieren.</p> </sp><lb/> <sp who="#ALW"> <speaker><hi rendition="#g">Alwa</hi>.</speaker> <p>Wenn ich jetzt nicht meine ganze geiſtige<lb/> Spannkraft zu dem „Weltbeherrſcher“ nötig hätte, möchte<lb/> ich das Problem wohl auf ſeine Tragfähigkeit erproben.<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [7/0015]
engagiert wäre, nähme ich ſie auf ein halbes Jahr mit
nach London und ließe ſie Plumkakes futtern. In London
geht man ſchon allein durch die Seeluft auf. Außerdem
fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier
immer gleich die Schickſalshand an der Gurgel.
Alwa. Ich frage mich ſeit acht Tagen, ob ſich
jemand, der zu Zuchthausſtrafe verurteilt war, wohl noch
zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde.
Die Geſchwitz. Käme der Menſch nur endlich mal!
Rodrigo. Ich muß hier auch meine Requiſiten
noch aus dem Pfandleihhaus auslöſen; ſechshundert Kilo
vom beſten Eiſen. Der Transport koſtet mich immer
dreimal mehr als mein eigenes Billet. Dabei iſt die
ganze Ausrüſtung keinen Hoſenknopf wert. Als ich
ſchweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten ſie
mich, ob die Sachen auch echt ſeien. — Die Koſtüme
hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen laſſen
ſollen. Der Pariſer merkt auf den erſten Blick, wo man
ſeine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer darauflos.
Aber das lernt ſich nicht mit untergeſchlagenen Beinen;
das will an klaſſiſch gebildeten Menſchen ſtudiert ſein.
Hier haben ſie eine Angſt vor der bloßen Haut wie in
Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde
ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe
verknallt, weil man ſah, daß ich ein paar Haare auf
der Bruſt habe, nicht ſo viel wie zu einer anſtändigen
Zahnbürſte nötig ſind. Aber der Kultusminiſter meinte,
die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude
am Strümpfeſtricken verlieren. Seitdem laſſe ich mich
jeden Monat einmal raſieren.
Alwa. Wenn ich jetzt nicht meine ganze geiſtige
Spannkraft zu dem „Weltbeherrſcher“ nötig hätte, möchte
ich das Problem wohl auf ſeine Tragfähigkeit erproben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeBei dieser Ausgabe handelt es sich um die erste s… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |