Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891. Ilse. Wozu? -- Wir bringen neue. Immer neue und neue! -- Es wachsen genug. Martha. Du hast recht, Ilse! -- (Sie wirft einen Epheukranz in die Gruft. Ilse öffnet ihre Schürze und läßt eine Fülle frischer Kornblumen auf den Sarg regnen.) Martha. Ich grabe unsere Rosen aus. Schläge bekomme ich ja doch! -- Hier werden sie gedeihen. Ilse. Ich will sie begießen, so oft ich vorbeikomme. Ich hole Vergißmeinnicht vom Goldbach herüber und Schwerdtlilien bringe ich von Hause mit. Martha. Es soll eine Pracht werden! Eine Pracht! Ilse. Ich war auf der Brücke, da hört' ich den Knall. Martha. Armes Herz! Ilse. Und ich weiß auch den Grund, Martha. Martha. Sagte er was? Ilse. Parallelepipedon! -- Aber sag' es Niemandem. Martha. Meine Hand darauf. Ilse. -- Hier ist die Pistole. Martha. Deshalb hat man sie nicht gefunden! Ilse. Ich nahm sie ihm gleich aus der Hand, als ich am Morgen vorbeikam. Martha. Schenk' sie mir, Ilse! -- Bitte, schenk' sie mir! Ilse. Nein, die behalt' ich zum Andenken. Martha. Ist's wahr, Ilse, daß er ohne Kopf d'rinliegt? Ilse. Er muß sie mit Wasser geladen haben! -- Die Königskerzen waren über und über von Blut besprengt. Sein Hirn hing in den Weiden umher. Ilſe. Wozu? — Wir bringen neue. Immer neue und neue! — Es wachſen genug. Martha. Du haſt recht, Ilſe! — (Sie wirft einen Epheukranz in die Gruft. Ilſe öffnet ihre Schürze und läßt eine Fülle friſcher Kornblumen auf den Sarg regnen.) Martha. Ich grabe unſere Roſen aus. Schläge bekomme ich ja doch! — Hier werden ſie gedeihen. Ilſe. Ich will ſie begießen, ſo oft ich vorbeikomme. Ich hole Vergißmeinnicht vom Goldbach herüber und Schwerdtlilien bringe ich von Hauſe mit. Martha. Es ſoll eine Pracht werden! Eine Pracht! Ilſe. Ich war auf der Brücke, da hört' ich den Knall. Martha. Armes Herz! Ilſe. Und ich weiß auch den Grund, Martha. Martha. Sagte er was? Ilſe. Parallelepipedon! — Aber ſag' es Niemandem. Martha. Meine Hand darauf. Ilſe. — Hier iſt die Piſtole. Martha. Deshalb hat man ſie nicht gefunden! Ilſe. Ich nahm ſie ihm gleich aus der Hand, als ich am Morgen vorbeikam. Martha. Schenk' ſie mir, Ilſe! — Bitte, ſchenk' ſie mir! Ilſe. Nein, die behalt' ich zum Andenken. Martha. Iſt's wahr, Ilſe, daß er ohne Kopf d'rinliegt? Ilſe. Er muß ſie mit Waſſer geladen haben! — Die Königskerzen waren über und über von Blut beſprengt. Sein Hirn hing in den Weiden umher. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0077" n="61"/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Wozu? — Wir bringen neue. Immer neue und<lb/> neue! — Es wachſen genug.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Du haſt recht, Ilſe! —</p> <stage>(Sie wirft einen Epheukranz in<lb/> die Gruft. Ilſe öffnet ihre Schürze und läßt eine Fülle friſcher Kornblumen auf den<lb/> Sarg regnen.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Ich grabe unſere Roſen aus. Schläge bekomme<lb/> ich ja doch! — Hier werden ſie gedeihen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Ich will ſie begießen, ſo oft ich vorbeikomme. Ich<lb/> hole Vergißmeinnicht vom Goldbach herüber und Schwerdtlilien<lb/> bringe ich von Hauſe mit.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Es ſoll eine Pracht werden! Eine Pracht!</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Ich war auf der Brücke, da hört' ich den Knall.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Armes Herz!</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Und ich weiß auch den Grund, Martha.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Sagte er was?</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Parallelepipedon! — Aber ſag' es Niemandem.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Meine Hand darauf.</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>— Hier iſt die Piſtole.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Deshalb hat man ſie nicht gefunden!</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Ich nahm ſie ihm gleich aus der Hand, als ich am<lb/> Morgen vorbeikam.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Schenk' ſie mir, Ilſe! — Bitte, ſchenk' ſie mir!</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Nein, die behalt' ich zum Andenken.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker><hi rendition="#g">Martha</hi>.</speaker> <p>Iſt's wahr, Ilſe, daß er ohne Kopf d'rinliegt?</p> </sp><lb/> <sp who="#ILS"> <speaker><hi rendition="#g">Ilſe</hi>.</speaker> <p>Er muß ſie mit Waſſer geladen haben! — Die<lb/> Königskerzen waren über und über von Blut beſprengt. Sein<lb/> Hirn hing in den Weiden umher.</p> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [61/0077]
Ilſe. Wozu? — Wir bringen neue. Immer neue und
neue! — Es wachſen genug.
Martha. Du haſt recht, Ilſe! — (Sie wirft einen Epheukranz in
die Gruft. Ilſe öffnet ihre Schürze und läßt eine Fülle friſcher Kornblumen auf den
Sarg regnen.)
Martha. Ich grabe unſere Roſen aus. Schläge bekomme
ich ja doch! — Hier werden ſie gedeihen.
Ilſe. Ich will ſie begießen, ſo oft ich vorbeikomme. Ich
hole Vergißmeinnicht vom Goldbach herüber und Schwerdtlilien
bringe ich von Hauſe mit.
Martha. Es ſoll eine Pracht werden! Eine Pracht!
Ilſe. Ich war auf der Brücke, da hört' ich den Knall.
Martha. Armes Herz!
Ilſe. Und ich weiß auch den Grund, Martha.
Martha. Sagte er was?
Ilſe. Parallelepipedon! — Aber ſag' es Niemandem.
Martha. Meine Hand darauf.
Ilſe. — Hier iſt die Piſtole.
Martha. Deshalb hat man ſie nicht gefunden!
Ilſe. Ich nahm ſie ihm gleich aus der Hand, als ich am
Morgen vorbeikam.
Martha. Schenk' ſie mir, Ilſe! — Bitte, ſchenk' ſie mir!
Ilſe. Nein, die behalt' ich zum Andenken.
Martha. Iſt's wahr, Ilſe, daß er ohne Kopf d'rinliegt?
Ilſe. Er muß ſie mit Waſſer geladen haben! — Die
Königskerzen waren über und über von Blut beſprengt. Sein
Hirn hing in den Weiden umher.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |