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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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als ungehörige Rücksichtslosigkeit gegenüber den älteren vor-
handenen Dozenten, und in der Regel hält die "großen" Vor-
lesungen der Fachvertreter, und der Dozent begnügt sich mit
Nebenvorlesungen. Der Vorteil ist: er hat, wennschon etwas
unfreiwillig, seine jungen Jahre für die wissenschaftliche Ar-
beit frei.

Jn Amerika ist das prinzipiell anders geordnet. Gerade
in seinen jungen Jahren ist der Dozent absolut überlastet,
weil er eben bezahlt ist. Jn einer germanistischen Abteilung
z. B. wird der ordentliche Professor etwa ein dreistündiges Kolleg
über Goethe lesen und damit: genug -, während der jüngere
assistant froh ist, wenn er, bei zwölf Stunden die Woche,
neben dem Einbläuen der deutschen Sprache etwa bis zu
Dichtern vom Range Uhlands hinauf etwas zugewiesen be-
kommt. Denn den Lehrplan schreiben die amtlichen Fach-
instanzen vor, und darin ist der assistant ebenso wie bei uns
der Jnstitutsassistent abhängig.

Nun können wir bei uns mit Deutlichkeit beobachten: daß
die neueste Entwicklung des Universitätswesens auf breiten
Gebieten der Wissenschaft in der Richtung des amerikanischen
verläuft. Die großen Jnstitute medizinischer oder natur-
wissenschaftlicher Art sind "staatskapitalistische" Unterneh-
mungen. Sie können nicht verwaltet werden ohne Be-
triebsmittel größten Umfangs. Und es tritt da der gleiche
Umstand ein wie überall, wo der kapitalistische Betrieb ein-
setzt: die "Trennung des Arbeiters von den Produktions-
mitteln". Der Arbeiter, der Assistent also, ist angewiesen auf
die Arbeitsmittel, die vom Staat zur Verfügung gestellt
werden; er ist infolgedessen vom Jnstitutsdirektor ebenso
abhängig wie ein Angestellter in einer Fabrik: - denn der
Jnstitutsdirektor stellt sich ganz gutgläubig vor, daß dies Jn-
stitut "sein" Jnstitut sei, und schaltet darin, - und er steht
häufig ähnlich prekär wie jede "proletaroide" Existenz und wie
der assistant der amerikanischen Universität.

Unser deutsches Universitätsleben amerikanisiert sich, wie
unser Leben überhaupt, in sehr wichtigen Punkten, und diese
Entwicklung, das bin ich überzeugt, wird weiter übergreifen

als ungehörige Rückſichtsloſigkeit gegenüber den älteren vor-
handenen Dozenten, und in der Regel hält die „großen“ Vor-
leſungen der Fachvertreter, und der Dozent begnügt ſich mit
Nebenvorleſungen. Der Vorteil iſt: er hat, wennſchon etwas
unfreiwillig, ſeine jungen Jahre für die wiſſenſchaftliche Ar-
beit frei.

Jn Amerika iſt das prinzipiell anders geordnet. Gerade
in ſeinen jungen Jahren iſt der Dozent abſolut überlaſtet,
weil er eben bezahlt iſt. Jn einer germaniſtiſchen Abteilung
z. B. wird der ordentliche Profeſſor etwa ein dreiſtündiges Kolleg
über Goethe leſen und damit: genug –, während der jüngere
assistant froh iſt, wenn er, bei zwölf Stunden die Woche,
neben dem Einbläuen der deutſchen Sprache etwa bis zu
Dichtern vom Range Uhlands hinauf etwas zugewieſen be-
kommt. Denn den Lehrplan ſchreiben die amtlichen Fach-
inſtanzen vor, und darin iſt der assistant ebenſo wie bei uns
der Jnſtitutsaſſiſtent abhängig.

Nun können wir bei uns mit Deutlichkeit beobachten: daß
die neueſte Entwicklung des Univerſitätsweſens auf breiten
Gebieten der Wiſſenſchaft in der Richtung des amerikaniſchen
verläuft. Die großen Jnſtitute mediziniſcher oder natur-
wiſſenſchaftlicher Art ſind „staatskapitaliſtiſche“ Unterneh-
mungen. Sie können nicht verwaltet werden ohne Be-
triebsmittel größten Umfangs. Und es tritt da der gleiche
Umſtand ein wie überall, wo der kapitaliſtiſche Betrieb ein-
ſetzt: die „Trennung des Arbeiters von den Produktions-
mitteln“. Der Arbeiter, der Aſſiſtent alſo, iſt angewieſen auf
die Arbeitsmittel, die vom Staat zur Verfügung geſtellt
werden; er iſt infolgedeſſen vom Jnſtitutsdirektor ebenſo
abhängig wie ein Angeſtellter in einer Fabrik: – denn der
Jnſtitutsdirektor ſtellt ſich ganz gutgläubig vor, daß dies Jn-
ſtitut „sein“ Jnſtitut ſei, und ſchaltet darin, – und er ſteht
häufig ähnlich prekär wie jede „proletaroide“ Exiſtenz und wie
der assistant der amerikaniſchen Univerſität.

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unſer Leben überhaupt, in ſehr wichtigen Punkten, und dieſe
Entwicklung, das bin ich überzeugt, wird weiter übergreifen

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[5/0004] als ungehörige Rückſichtsloſigkeit gegenüber den älteren vor- handenen Dozenten, und in der Regel hält die „großen“ Vor- leſungen der Fachvertreter, und der Dozent begnügt ſich mit Nebenvorleſungen. Der Vorteil iſt: er hat, wennſchon etwas unfreiwillig, ſeine jungen Jahre für die wiſſenſchaftliche Ar- beit frei. Jn Amerika iſt das prinzipiell anders geordnet. Gerade in ſeinen jungen Jahren iſt der Dozent abſolut überlaſtet, weil er eben bezahlt iſt. Jn einer germaniſtiſchen Abteilung z. B. wird der ordentliche Profeſſor etwa ein dreiſtündiges Kolleg über Goethe leſen und damit: genug –, während der jüngere assistant froh iſt, wenn er, bei zwölf Stunden die Woche, neben dem Einbläuen der deutſchen Sprache etwa bis zu Dichtern vom Range Uhlands hinauf etwas zugewieſen be- kommt. Denn den Lehrplan ſchreiben die amtlichen Fach- inſtanzen vor, und darin iſt der assistant ebenſo wie bei uns der Jnſtitutsaſſiſtent abhängig. Nun können wir bei uns mit Deutlichkeit beobachten: daß die neueſte Entwicklung des Univerſitätsweſens auf breiten Gebieten der Wiſſenſchaft in der Richtung des amerikaniſchen verläuft. Die großen Jnſtitute mediziniſcher oder natur- wiſſenſchaftlicher Art ſind „staatskapitaliſtiſche“ Unterneh- mungen. Sie können nicht verwaltet werden ohne Be- triebsmittel größten Umfangs. Und es tritt da der gleiche Umſtand ein wie überall, wo der kapitaliſtiſche Betrieb ein- ſetzt: die „Trennung des Arbeiters von den Produktions- mitteln“. Der Arbeiter, der Aſſiſtent alſo, iſt angewieſen auf die Arbeitsmittel, die vom Staat zur Verfügung geſtellt werden; er iſt infolgedeſſen vom Jnſtitutsdirektor ebenſo abhängig wie ein Angeſtellter in einer Fabrik: – denn der Jnſtitutsdirektor ſtellt ſich ganz gutgläubig vor, daß dies Jn- ſtitut „sein“ Jnſtitut ſei, und ſchaltet darin, – und er ſteht häufig ähnlich prekär wie jede „proletaroide“ Exiſtenz und wie der assistant der amerikaniſchen Univerſität. Unſer deutſches Univerſitätsleben amerikaniſiert ſich, wie unſer Leben überhaupt, in ſehr wichtigen Punkten, und dieſe Entwicklung, das bin ich überzeugt, wird weiter übergreifen

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/4>, abgerufen am 23.11.2024.