Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.ihrer Ansprüche darauf: "Wissenschaft" zu sein? Drücken wir uns ihrer Anſprüche darauf: „Wiſſenſchaft“ zu ſein? Drücken wir uns <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0033" n="34"/> ihrer Anſprüche darauf: „Wiſſenſchaft“ zu ſein? Drücken wir uns<lb/> um die Antwort nicht herum. „Theologie“ und „Dogmen“ gibt<lb/> es zwar nicht univerſell, aber doch nicht gerade nur im Chriſten-<lb/> tum. Sondern (rückwärtsſchreitend in der Zeit) in ſtark entwickelter<lb/> Form auch im Jſlam, im Manachäismus, in der Gnoſis, in der<lb/> Orphik, im Parſismus, im Buddhismus, in den hinduiſtiſchen<lb/> Sekten, im Taoismus und in den Upaniſchaden und natürlich<lb/> auch im Judentum. Nur freilich in höchſt verſchiedenem Maße<lb/> ſyſtematiſch entwickelt. Und es iſt kein Zufall, daß das okzi-<lb/> dentale Chriſtentum nicht nur – im Gegenſatz zu dem, was<lb/> z. B. das Judentum an Theologie beſitzt – ſie ſyſtematiſcher<lb/> ausgebaut hat oder danach ſtrebt, ſondern daß hier ihre Ent-<lb/> wicklung die weitaus ſtärkſte hiſtoriſche Bedeutung gehabt<lb/> hat. Der helleniſche Geiſt hat das hervorgebracht, und alle Theo-<lb/> logie des Weſtens geht auf ihn zurück, wie (offenbar) alle<lb/> Theologie des Oſtens auf das indiſche Denken. Alle Theo-<lb/> logie iſt intellektuelle <hi rendition="#g">Rationaliſierung</hi> religiöſen Heils-<lb/> beſitzes. Keine Wiſſenſchaft iſt abſolut vorausſetzungslos, und<lb/> keine kann für den, der dieſe Vorausſetzungen ablehnt,<lb/> ihren eigenen Wert begründen. Aber allerdings: jede<lb/> Theologie fügt für ihre Arbeit und damit für die Recht-<lb/> fertigung ihrer eigenen Exiſtenz einige ſpezifiſche Voraus-<lb/> ſetzungen hinzu. Jn verſchiedenem Sinn und Umfang. Für<lb/><hi rendition="#g">jede</hi> Theologie, z. B. auch für die hinduiſtiſche, gilt die Vor-<lb/> ausſetzung: die Welt müſſe einen <hi rendition="#g">Sinn</hi> haben – und ihre<lb/> Frage iſt: wie muß man ihn deuten, damit dies denk-<lb/> möglich ſei? Ganz ebenſo wie Kants Erkenntnistheorie von<lb/> der Vorausſetzung ausging: „Wiſſenſchaftliche Wahrheit gibt<lb/> es, und ſie <hi rendition="#g">gilt</hi>“ – und dann fragte: Unter welchen Denk-<lb/> vorausſetzungen iſt das (sinnvoll) möglich? Oder wie die<lb/> modernen Äſthetiker (ausdrücklich – wie z. B. G. v. Lukacs –<lb/> oder tatſächlich) von der Vorausſetzung ausgehen: „es <hi rendition="#g">gibt</hi><lb/> Kunſtwerke“ – und nun fragen: Wie iſt das (sinnvoll) mög-<lb/> lich? Allerdings begnügen ſich die Theologien mit jener<lb/> (weſentlich religions-philoſophiſchen) Vorausſetzung in aller<lb/> Regel nicht. Sondern ſie gehen regelmäßig von der ferne-<lb/> ren Vorausſetzung aus: daß beſtimmte „Offenbarungen“ als<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0033]
ihrer Anſprüche darauf: „Wiſſenſchaft“ zu ſein? Drücken wir uns
um die Antwort nicht herum. „Theologie“ und „Dogmen“ gibt
es zwar nicht univerſell, aber doch nicht gerade nur im Chriſten-
tum. Sondern (rückwärtsſchreitend in der Zeit) in ſtark entwickelter
Form auch im Jſlam, im Manachäismus, in der Gnoſis, in der
Orphik, im Parſismus, im Buddhismus, in den hinduiſtiſchen
Sekten, im Taoismus und in den Upaniſchaden und natürlich
auch im Judentum. Nur freilich in höchſt verſchiedenem Maße
ſyſtematiſch entwickelt. Und es iſt kein Zufall, daß das okzi-
dentale Chriſtentum nicht nur – im Gegenſatz zu dem, was
z. B. das Judentum an Theologie beſitzt – ſie ſyſtematiſcher
ausgebaut hat oder danach ſtrebt, ſondern daß hier ihre Ent-
wicklung die weitaus ſtärkſte hiſtoriſche Bedeutung gehabt
hat. Der helleniſche Geiſt hat das hervorgebracht, und alle Theo-
logie des Weſtens geht auf ihn zurück, wie (offenbar) alle
Theologie des Oſtens auf das indiſche Denken. Alle Theo-
logie iſt intellektuelle Rationaliſierung religiöſen Heils-
beſitzes. Keine Wiſſenſchaft iſt abſolut vorausſetzungslos, und
keine kann für den, der dieſe Vorausſetzungen ablehnt,
ihren eigenen Wert begründen. Aber allerdings: jede
Theologie fügt für ihre Arbeit und damit für die Recht-
fertigung ihrer eigenen Exiſtenz einige ſpezifiſche Voraus-
ſetzungen hinzu. Jn verſchiedenem Sinn und Umfang. Für
jede Theologie, z. B. auch für die hinduiſtiſche, gilt die Vor-
ausſetzung: die Welt müſſe einen Sinn haben – und ihre
Frage iſt: wie muß man ihn deuten, damit dies denk-
möglich ſei? Ganz ebenſo wie Kants Erkenntnistheorie von
der Vorausſetzung ausging: „Wiſſenſchaftliche Wahrheit gibt
es, und ſie gilt“ – und dann fragte: Unter welchen Denk-
vorausſetzungen iſt das (sinnvoll) möglich? Oder wie die
modernen Äſthetiker (ausdrücklich – wie z. B. G. v. Lukacs –
oder tatſächlich) von der Vorausſetzung ausgehen: „es gibt
Kunſtwerke“ – und nun fragen: Wie iſt das (sinnvoll) mög-
lich? Allerdings begnügen ſich die Theologien mit jener
(weſentlich religions-philoſophiſchen) Vorausſetzung in aller
Regel nicht. Sondern ſie gehen regelmäßig von der ferne-
ren Vorausſetzung aus: daß beſtimmte „Offenbarungen“ als
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