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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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dort gegenübersteht, - einen Führer und nicht: einen Lehrer.
Aber nur als Lehrer sind wir auf das Katheder gestellt.
Das ist zweierlei, und daß es das ist, davon kann man sich
leicht überzeugen. Erlauben Sie, daß ich Sie noch einmal nach
Amerika führe, weil man dort solche Dinge oft in ihrer
massivsten Ursprünglichkeit sehen kann. Der amerikanische
Knabe lernt unsagbar viel weniger als der unsrige. Er ist
trotz unglaublich vielen Examinierens doch dem Sinn seines
Schullebens nach noch nicht jener absolute Examensmensch
geworden, wie es der deutsche ist. Denn die Bureaukratie,
die das Examensdiplom als Eintrittsbillet ins Reich der
Amtspfründen voraussetzt, ist dort erst in den Anfängen. Der
junge Amerikaner hat vor nichts und niemand, vor keiner
Tradition und keinem Amt Respekt, es sei denn vor der
persönlich eigenen Leistung des Betreffenden: das nennt der
Amerikaner "Demokratie". Wie verzerrt auch immer die
Realität diesem Sinngehalt gegenüber sich verhalten möge, der
Sinngehalt ist dieser, und darauf kommt es hier an. Der
Lehrer, der ihm gegenübersteht, von dem hat er die Vorstellung:
er verkauft mir seine Kenntnisse und Methoden für meines
Vaters Geld, ganz ebenso wie die Gemüsefrau meiner Mutter
den Kohl. Damit fertig. Allerdings: wenn der Lehrer etwa ein
football-Meister ist, dann ist er auf diesem Gebiet sein Führer.
Jst er das (oder etwas Ähnliches auf anderem Sportgebiet)
aber nicht, so ist er eben nur Lehrer und weiter nichts, und keinem
amerikanischen jungen Manne wird es einfallen, sich von ihm
"Weltanschauungen" oder maßgebliche Regeln für seine Lebens-
führung verkaufen zu lassen. Nun, in dieser Formulierung
werden wir das ablehnen. Aber es fragt sich, ob hier in dieser
von mir absichtlich noch etwas ins Extreme gesteigerten
Empfindungsweise nicht doch ein Korn Wahrheit steckt.

Kommilitonen und Kommilitoninnen! Sie kommen mit
diesen Ansprüchen an unsere Führerqualitäten in die Vor-
lesungen zu uns und sagen sich vorher nicht: daß von hundert
Professoren mindestens neunundneunzig nicht nur keine football-
Meister des Lebens, sondern überhaupt nicht "Führer" in
Angelegenheiten der Lebensführung zu sein in Anspruch nehmen

dort gegenüberſteht, – einen Führer und nicht: einen Lehrer.
Aber nur als Lehrer ſind wir auf das Katheder geſtellt.
Das iſt zweierlei, und daß es das iſt, davon kann man ſich
leicht überzeugen. Erlauben Sie, daß ich Sie noch einmal nach
Amerika führe, weil man dort ſolche Dinge oft in ihrer
maſſivſten Urſprünglichkeit ſehen kann. Der amerikaniſche
Knabe lernt unſagbar viel weniger als der unſrige. Er iſt
trotz unglaublich vielen Examinierens doch dem Sinn ſeines
Schullebens nach noch nicht jener abſolute Examensmenſch
geworden, wie es der deutſche iſt. Denn die Bureaukratie,
die das Examensdiplom als Eintrittsbillet ins Reich der
Amtspfründen vorausſetzt, iſt dort erſt in den Anfängen. Der
junge Amerikaner hat vor nichts und niemand, vor keiner
Tradition und keinem Amt Reſpekt, es ſei denn vor der
perſönlich eigenen Leiſtung des Betreffenden: das nennt der
Amerikaner „Demokratie“. Wie verzerrt auch immer die
Realität dieſem Sinngehalt gegenüber ſich verhalten möge, der
Sinngehalt iſt dieſer, und darauf kommt es hier an. Der
Lehrer, der ihm gegenüberſteht, von dem hat er die Vorſtellung:
er verkauft mir ſeine Kenntniſſe und Methoden für meines
Vaters Geld, ganz ebenſo wie die Gemüſefrau meiner Mutter
den Kohl. Damit fertig. Allerdings: wenn der Lehrer etwa ein
football-Meiſter iſt, dann iſt er auf dieſem Gebiet ſein Führer.
Jſt er das (oder etwas Ähnliches auf anderem Sportgebiet)
aber nicht, ſo iſt er eben nur Lehrer und weiter nichts, und keinem
amerikaniſchen jungen Manne wird es einfallen, ſich von ihm
„Weltanſchauungen“ oder maßgebliche Regeln für ſeine Lebens-
führung verkaufen zu laſſen. Nun, in dieſer Formulierung
werden wir das ablehnen. Aber es fragt ſich, ob hier in dieſer
von mir abſichtlich noch etwas ins Extreme geſteigerten
Empfindungsweiſe nicht doch ein Korn Wahrheit ſteckt.

Kommilitonen und Kommilitoninnen! Sie kommen mit
dieſen Anſprüchen an unſere Führerqualitäten in die Vor-
leſungen zu uns und ſagen ſich vorher nicht: daß von hundert
Profeſſoren mindeſtens neunundneunzig nicht nur keine football-
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[29/0028] dort gegenüberſteht, – einen Führer und nicht: einen Lehrer. Aber nur als Lehrer ſind wir auf das Katheder geſtellt. Das iſt zweierlei, und daß es das iſt, davon kann man ſich leicht überzeugen. Erlauben Sie, daß ich Sie noch einmal nach Amerika führe, weil man dort ſolche Dinge oft in ihrer maſſivſten Urſprünglichkeit ſehen kann. Der amerikaniſche Knabe lernt unſagbar viel weniger als der unſrige. Er iſt trotz unglaublich vielen Examinierens doch dem Sinn ſeines Schullebens nach noch nicht jener abſolute Examensmenſch geworden, wie es der deutſche iſt. Denn die Bureaukratie, die das Examensdiplom als Eintrittsbillet ins Reich der Amtspfründen vorausſetzt, iſt dort erſt in den Anfängen. Der junge Amerikaner hat vor nichts und niemand, vor keiner Tradition und keinem Amt Reſpekt, es ſei denn vor der perſönlich eigenen Leiſtung des Betreffenden: das nennt der Amerikaner „Demokratie“. Wie verzerrt auch immer die Realität dieſem Sinngehalt gegenüber ſich verhalten möge, der Sinngehalt iſt dieſer, und darauf kommt es hier an. Der Lehrer, der ihm gegenüberſteht, von dem hat er die Vorſtellung: er verkauft mir ſeine Kenntniſſe und Methoden für meines Vaters Geld, ganz ebenſo wie die Gemüſefrau meiner Mutter den Kohl. Damit fertig. Allerdings: wenn der Lehrer etwa ein football-Meiſter iſt, dann iſt er auf dieſem Gebiet ſein Führer. Jſt er das (oder etwas Ähnliches auf anderem Sportgebiet) aber nicht, ſo iſt er eben nur Lehrer und weiter nichts, und keinem amerikaniſchen jungen Manne wird es einfallen, ſich von ihm „Weltanſchauungen“ oder maßgebliche Regeln für ſeine Lebens- führung verkaufen zu laſſen. Nun, in dieſer Formulierung werden wir das ablehnen. Aber es fragt ſich, ob hier in dieſer von mir abſichtlich noch etwas ins Extreme geſteigerten Empfindungsweiſe nicht doch ein Korn Wahrheit ſteckt. Kommilitonen und Kommilitoninnen! Sie kommen mit dieſen Anſprüchen an unſere Führerqualitäten in die Vor- leſungen zu uns und ſagen ſich vorher nicht: daß von hundert Profeſſoren mindeſtens neunundneunzig nicht nur keine football- Meiſter des Lebens, ſondern überhaupt nicht „Führer“ in Angelegenheiten der Lebensführung zu ſein in Anſpruch nehmen

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/28>, abgerufen am 29.11.2024.