Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.gänzlich an ihn gekettet sind und keinerlei konkurrierende eigene Überall kommt die Entwicklung des modernen Staates da- gänzlich an ihn gekettet ſind und keinerlei konkurrierende eigene Überall kommt die Entwicklung des modernen Staates da- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0009" n="9"/> gänzlich an ihn gekettet ſind und keinerlei konkurrierende eigene<lb/> Macht unter den Füßen haben. Alle Formen patriarchaler und patrimonialer<lb/> Herrſchaft, ſultaniſtiſcher Deſpotie und bureau-<lb/> kratiſcher Staatsordnung gehören zu dieſem Typus. Jns-<lb/> beſondere: die bureaukratiſche Staatsordnung, alſo die, in ihrer<lb/> rationalſten Ausbildung, auch und gerade dem modernen Staat<lb/> charakteriſtiſche.</p><lb/> <p>Überall kommt die Entwicklung des modernen Staates da-<lb/> durch in Fluß, daß von ſeiten des Fürſten die Enteignung<lb/> der neben ihm ſtehenden ſelbſtändigen „privaten“ Träger von<lb/> Verwaltungsmacht: jener Eigenbeſitzer von Verwaltungs-<lb/> und Kriegsbetriebsmitteln, Finanzbetriebsmitteln und politiſch<lb/> verwendbaren Gütern aller Art, in die Wege geleitet wird.<lb/> Der ganze Prozeß iſt eine vollſtändige Parallele zu der Ent-<lb/> wicklung des kapitaliſtiſchen Betriebs durch allmähliche Ent-<lb/> eignung der ſelbſtändigen Produzenten. Am Ende ſehen wir,<lb/> daß in dem modernen Staat tatsächlich in einer einzigen Spitze<lb/> die Verfügung über die geſamten politiſchen Betriebsmittel<lb/> zuſammenläuft, kein einziger Beamter mehr perſönlicher Eigen-<lb/> tümer des Geldes iſt, das er verausgabt, oder der Gebäude,<lb/> Vorräte, Werkzeuge, Kriegsmaſchinen, über die er verfügt.<lb/> Vollſtändig durchgeführt iſt alſo im heutigen „Staat“ – das<lb/> iſt ihm begriffsweſentlich – die „Trennung“ des Verwaltungs-<lb/> ſtabes: der Verwaltungsbeamten und Verwaltungsarbeiter,<lb/> von den ſachlichen Betriebsmitteln. Hier ſetzt nun die aller-<lb/> modernſte Entwicklung ein und verſucht vor unſeren Augen<lb/> die Expropriation dieſes Expropriateurs der politiſchen Mittel<lb/> und damit der politiſchen Macht in die Wege zu leiten. Das<lb/> hat die Revolution wenigſtens inſofern geleiſtet, als an die<lb/> Stelle der geſatzten Obrigkeiten Führer getreten ſind, welche<lb/> durch Uſurpation oder Wahl ſich in die Verfügungsgewalt<lb/> über den politiſchen Menſchenſtab und Sachgüterapparat geſetzt<lb/> haben und ihre Legitimität – einerlei mit wieviel Recht –<lb/> vom Willen der Beherrſchten ableiten. Eine andere Frage<lb/> iſt, ob ſie auf Grund dieſes – wenigſtens ſcheinbaren – Er-<lb/> folges mit Recht die Hoffnung hegen kann: auch die Expro-<lb/> priation innerhalb der kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsbetriebe durch-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0009]
gänzlich an ihn gekettet ſind und keinerlei konkurrierende eigene
Macht unter den Füßen haben. Alle Formen patriarchaler und patrimonialer
Herrſchaft, ſultaniſtiſcher Deſpotie und bureau-
kratiſcher Staatsordnung gehören zu dieſem Typus. Jns-
beſondere: die bureaukratiſche Staatsordnung, alſo die, in ihrer
rationalſten Ausbildung, auch und gerade dem modernen Staat
charakteriſtiſche.
Überall kommt die Entwicklung des modernen Staates da-
durch in Fluß, daß von ſeiten des Fürſten die Enteignung
der neben ihm ſtehenden ſelbſtändigen „privaten“ Träger von
Verwaltungsmacht: jener Eigenbeſitzer von Verwaltungs-
und Kriegsbetriebsmitteln, Finanzbetriebsmitteln und politiſch
verwendbaren Gütern aller Art, in die Wege geleitet wird.
Der ganze Prozeß iſt eine vollſtändige Parallele zu der Ent-
wicklung des kapitaliſtiſchen Betriebs durch allmähliche Ent-
eignung der ſelbſtändigen Produzenten. Am Ende ſehen wir,
daß in dem modernen Staat tatsächlich in einer einzigen Spitze
die Verfügung über die geſamten politiſchen Betriebsmittel
zuſammenläuft, kein einziger Beamter mehr perſönlicher Eigen-
tümer des Geldes iſt, das er verausgabt, oder der Gebäude,
Vorräte, Werkzeuge, Kriegsmaſchinen, über die er verfügt.
Vollſtändig durchgeführt iſt alſo im heutigen „Staat“ – das
iſt ihm begriffsweſentlich – die „Trennung“ des Verwaltungs-
ſtabes: der Verwaltungsbeamten und Verwaltungsarbeiter,
von den ſachlichen Betriebsmitteln. Hier ſetzt nun die aller-
modernſte Entwicklung ein und verſucht vor unſeren Augen
die Expropriation dieſes Expropriateurs der politiſchen Mittel
und damit der politiſchen Macht in die Wege zu leiten. Das
hat die Revolution wenigſtens inſofern geleiſtet, als an die
Stelle der geſatzten Obrigkeiten Führer getreten ſind, welche
durch Uſurpation oder Wahl ſich in die Verfügungsgewalt
über den politiſchen Menſchenſtab und Sachgüterapparat geſetzt
haben und ihre Legitimität – einerlei mit wieviel Recht –
vom Willen der Beherrſchten ableiten. Eine andere Frage
iſt, ob ſie auf Grund dieſes – wenigſtens ſcheinbaren – Er-
folges mit Recht die Hoffnung hegen kann: auch die Expro-
priation innerhalb der kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsbetriebe durch-
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Zitationshilfe: | Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/9>, abgerufen am 16.07.2024. |