Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.der Unternehmer, Händler, Rentner, Geistlichen, Abkömmlinge Auch diese Parteien in unserem üblichen Sinn waren zu- der Unternehmer, Händler, Rentner, Geiſtlichen, Abkömmlinge Auch dieſe Parteien in unſerem üblichen Sinn waren zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0031" n="31"/> der Unternehmer, Händler, Rentner, Geiſtlichen, Abkömmlinge<lb/> der Dynaſtie, Polizeiagenten, und ihre Konfiskationen er-<lb/> innert. Und wenn man auf der einen Seite ſieht, daß die<lb/> Militärorganiſation der Partei ein nach Matrikeln zu ge-<lb/> ſtaltendes reines Ritterheer war und Adlige faſt alle führen-<lb/> den Stellen einnahmen, die Sowjets aber ihrerſeits den hoch-<lb/> entgoltenen Unternehmer, den Akkordlohn, das Taylorſyſtem,<lb/> die Militär- und Werkſtattdisziplin beibehalten oder vielmehr<lb/> wieder einführen und nach ausländiſchem Kapital Umſchau<lb/> halten, mit einem Wort alſo: ſchlechthin <hi rendition="#g">alle</hi> von ihr als<lb/> bürgerliche Klaſſeneinrichtungen bekämpften Dinge wieder an-<lb/> nehmen mußten, um überhaupt Staat und Wirtſchaft in Be-<lb/> trieb zu erhalten, und daß ſie überdies als Hauptinſtrument<lb/> ihrer Staatsgewalt die Agenten der alten Ochrana wieder in<lb/> Betrieb genommen haben, ſo wirkt dieſe Analogie noch<lb/> frappanter. Wir haben es aber hier nicht mit ſolchen Ge-<lb/> waltſamkeitsorganiſationen zu tun, ſondern mit Berufs-<lb/> politikern, welche durch nüchterne „friedliche“ Werbung der<lb/> Partei auf dem Wahlſtimmenmarkt zur Macht zu gelangen<lb/> ſtreben.</p><lb/> <p>Auch dieſe Parteien in unſerem üblichen Sinn waren zu-<lb/> nächſt, z. B. in England, reine Gefolgſchaften der Ariſto-<lb/> kratie. Mit jedem aus irgendeinem Grunde erfolgenden<lb/> Wechſel der Partei ſeitens eines Peer trat alles, was von<lb/> ihm abhängig war, gleichfalls zur Gegenpartei über. Die<lb/> großen Familien des Adels, nicht zuletzt der König, hatten<lb/> bis zur Reformbill die Patronage einer Unmaſſe von Wahl-<lb/> kreiſen. Dieſen Adelsparteien nahe ſtehen die Honoratioren-<lb/> parteien, wie ſie mit Aufkommen der Macht des Bürgertums<lb/> ſich überall entwickelten. Die Kreiſe von „Bildung und Be-<lb/> ſitz“ unter der geiſtigen Führung der typiſchen Jntellektuellen-<lb/> ſchichten des Okzidents ſchieden ſich, teils nach Klaſſeninter-<lb/> eſſen, teils nach Familientradition, teils rein ideologiſch<lb/> bedingt, in Parteien, die ſie leiteten. Geiſtliche, Lehrer,<lb/> Profeſſoren, Advokaten, Ärzte, Apotheker, vermögliche Land-<lb/> wirte, Fabrikanten – in England jene ganze Schicht, die ſich<lb/> zu den <hi rendition="#aq">gentlemen</hi> rechnet – bildeten zunächſt Gelegenheits-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [31/0031]
der Unternehmer, Händler, Rentner, Geiſtlichen, Abkömmlinge
der Dynaſtie, Polizeiagenten, und ihre Konfiskationen er-
innert. Und wenn man auf der einen Seite ſieht, daß die
Militärorganiſation der Partei ein nach Matrikeln zu ge-
ſtaltendes reines Ritterheer war und Adlige faſt alle führen-
den Stellen einnahmen, die Sowjets aber ihrerſeits den hoch-
entgoltenen Unternehmer, den Akkordlohn, das Taylorſyſtem,
die Militär- und Werkſtattdisziplin beibehalten oder vielmehr
wieder einführen und nach ausländiſchem Kapital Umſchau
halten, mit einem Wort alſo: ſchlechthin alle von ihr als
bürgerliche Klaſſeneinrichtungen bekämpften Dinge wieder an-
nehmen mußten, um überhaupt Staat und Wirtſchaft in Be-
trieb zu erhalten, und daß ſie überdies als Hauptinſtrument
ihrer Staatsgewalt die Agenten der alten Ochrana wieder in
Betrieb genommen haben, ſo wirkt dieſe Analogie noch
frappanter. Wir haben es aber hier nicht mit ſolchen Ge-
waltſamkeitsorganiſationen zu tun, ſondern mit Berufs-
politikern, welche durch nüchterne „friedliche“ Werbung der
Partei auf dem Wahlſtimmenmarkt zur Macht zu gelangen
ſtreben.
Auch dieſe Parteien in unſerem üblichen Sinn waren zu-
nächſt, z. B. in England, reine Gefolgſchaften der Ariſto-
kratie. Mit jedem aus irgendeinem Grunde erfolgenden
Wechſel der Partei ſeitens eines Peer trat alles, was von
ihm abhängig war, gleichfalls zur Gegenpartei über. Die
großen Familien des Adels, nicht zuletzt der König, hatten
bis zur Reformbill die Patronage einer Unmaſſe von Wahl-
kreiſen. Dieſen Adelsparteien nahe ſtehen die Honoratioren-
parteien, wie ſie mit Aufkommen der Macht des Bürgertums
ſich überall entwickelten. Die Kreiſe von „Bildung und Be-
ſitz“ unter der geiſtigen Führung der typiſchen Jntellektuellen-
ſchichten des Okzidents ſchieden ſich, teils nach Klaſſeninter-
eſſen, teils nach Familientradition, teils rein ideologiſch
bedingt, in Parteien, die ſie leiteten. Geiſtliche, Lehrer,
Profeſſoren, Advokaten, Ärzte, Apotheker, vermögliche Land-
wirte, Fabrikanten – in England jene ganze Schicht, die ſich
zu den gentlemen rechnet – bildeten zunächſt Gelegenheits-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/31 |
Zitationshilfe: | Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/31>, abgerufen am 16.07.2024. |