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Weber, Mathilde: Ein Besuch in Zürich bei den weiblichen Studierenden der Medizin. Stuttgart, 1888.

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trachtet, damals andere, als besonders Mutige, gegen herkömmliche Gebräuche
und falschen Schein Gleichgiltige wagen, diese neue Berufsart für unser
Geschlecht zu erobern? Müßte man sich nicht eher wundern, wenn schüchterne,
ängstliche Mädchen es selbst bei höchster Begabung zuerst gewagt hätten,
den Kampf gegen langeingewurzelte Anschauungen aufzunehmen.

Die heutigen Studentinnen haben es darin schon viel besser. Sie
stehen durch die sich während zwanzig Jahren befestigte Berechtigung zu
diesem Studium nun auf einer sichereren Basis. Sie sind auch deshalb
von dem früheren Jrrwahn geheilt, als müßten sie durch das ebenbürtige
Lernen mit den Männern mehr von deren Sitten und Trachten annehmen.

Jch konnte mit Vergnügen bemerken, daß das nun ein überwundener
Standpunkt ist. Die meisten haben richtig erkannt, daß sie durch das
Eingreifen ihres speziell dem Frauenwohl dienenden Berufes praktisch zur
Lösung der Frauenfrage beitragen, und wie es ihnen deshalb Ehrensache
sein muß, durch echt weibliches Benehmen und feine Sitten zu zeigen, daß
höchstes geistiges Streben, Wissen und Lernen ganz wohl in den Rahmen
normaler Weiblichkeit hineinpaßt. Ja, daß dasselbe wie jede ernste Arbeit
veredelnd wirkt und den Fluch des vielen geistigen Müßiggangs und der
leidigen, häufigen Halbbildung von uns nimmt.

Unsere jungen, mutigen Mitarbeiterinnen für Frauen-Ehre und Erhebung
wollen durch ihren Fleiß, ihre Ausdauer und Selbstüberwindung zeigen,
daß sie das Frauenideal hoch halten; wollen zeigen, was Frauen leisten
können, wenn bei entsprechender Begabung alle Fähigkeiten und Kräfte
durch die Lernfreiheit zu einer strammen Anspannung veranlaßt werden.

Jst der Drang zu helfen, zu heilen nicht eine echt weibliche Grund-
tugend? Schmerzen zu lindern, zu trösten und zu pflegen ehrt man ja
längst an der Diakonissin und barmherzigen Schwester. Sollte es nicht
ebenso freudig von der Gesellschaft begrüßt werden, wenn einzelne der
an Geistes- und Körperkräften hervorragenden Frauen und Mädchen
wünschen, nicht unter fremder Bevormundung, und nur die niedrig-
sten Dienste darin thun zu müssen? Sollte denn die von den
Männern vorherrschend in Anspruch genommene Leitung der weiblichen
Schulung wirklich nicht auch 1-2 % der Schülerinnen soweit gefördert
haben, daß dieselben, begeistert von dem allgemeinen Drang nach Fort-
schritt, auch eine höhere Wissensstufe, als seither, erklimmen dürften? Gilt
es doch vornehmlich dem edlen Zwecke, Heilung und erhöhte Gesundheit
denjenigen des eigenen Geschlechts zu bringen, welchen es bei Frauenkrank-
heiten zu peinlich erscheint, einen männlichen Arzt beraten zu sollen, so
daß sie oft erst Hilfe suchen, wenn es zu spät ist.

Erst wenn die Gesellschaft diese Mission des Frauenstudiums richtig
erkannt hat, wird sich eine gerechtere Beurteilung der Studentinnen vollends
allgemein Bahn brechen. Vorerst müssen sie wohl noch oftmals als Märty-
rerinnen für ihre Ueberzeugung leiden. Wie oft kommt es z. B. noch
vor, daß sie flüstern hören: "Das ist eine Studentin" und dann sich
so neugierig prüfen und betrachtet fühlen, ob nichts Absonderliches
an ihnen zu finden sei, nicht auch wenigstens kurzgeschnittene Haare oder
ein Herrenhut oder eine Cigarrette.



trachtet, damals andere, als besonders Mutige, gegen herkömmliche Gebräuche
und falschen Schein Gleichgiltige wagen, diese neue Berufsart für unser
Geschlecht zu erobern? Müßte man sich nicht eher wundern, wenn schüchterne,
ängstliche Mädchen es selbst bei höchster Begabung zuerst gewagt hätten,
den Kampf gegen langeingewurzelte Anschauungen aufzunehmen.

Die heutigen Studentinnen haben es darin schon viel besser. Sie
stehen durch die sich während zwanzig Jahren befestigte Berechtigung zu
diesem Studium nun auf einer sichereren Basis. Sie sind auch deshalb
von dem früheren Jrrwahn geheilt, als müßten sie durch das ebenbürtige
Lernen mit den Männern mehr von deren Sitten und Trachten annehmen.

Jch konnte mit Vergnügen bemerken, daß das nun ein überwundener
Standpunkt ist. Die meisten haben richtig erkannt, daß sie durch das
Eingreifen ihres speziell dem Frauenwohl dienenden Berufes praktisch zur
Lösung der Frauenfrage beitragen, und wie es ihnen deshalb Ehrensache
sein muß, durch echt weibliches Benehmen und feine Sitten zu zeigen, daß
höchstes geistiges Streben, Wissen und Lernen ganz wohl in den Rahmen
normaler Weiblichkeit hineinpaßt. Ja, daß dasselbe wie jede ernste Arbeit
veredelnd wirkt und den Fluch des vielen geistigen Müßiggangs und der
leidigen, häufigen Halbbildung von uns nimmt.

Unsere jungen, mutigen Mitarbeiterinnen für Frauen-Ehre und Erhebung
wollen durch ihren Fleiß, ihre Ausdauer und Selbstüberwindung zeigen,
daß sie das Frauenideal hoch halten; wollen zeigen, was Frauen leisten
können, wenn bei entsprechender Begabung alle Fähigkeiten und Kräfte
durch die Lernfreiheit zu einer strammen Anspannung veranlaßt werden.

Jst der Drang zu helfen, zu heilen nicht eine echt weibliche Grund-
tugend? Schmerzen zu lindern, zu trösten und zu pflegen ehrt man ja
längst an der Diakonissin und barmherzigen Schwester. Sollte es nicht
ebenso freudig von der Gesellschaft begrüßt werden, wenn einzelne der
an Geistes- und Körperkräften hervorragenden Frauen und Mädchen
wünschen, nicht unter fremder Bevormundung, und nur die niedrig-
sten Dienste darin thun zu müssen? Sollte denn die von den
Männern vorherrschend in Anspruch genommene Leitung der weiblichen
Schulung wirklich nicht auch 1-2 % der Schülerinnen soweit gefördert
haben, daß dieselben, begeistert von dem allgemeinen Drang nach Fort-
schritt, auch eine höhere Wissensstufe, als seither, erklimmen dürften? Gilt
es doch vornehmlich dem edlen Zwecke, Heilung und erhöhte Gesundheit
denjenigen des eigenen Geschlechts zu bringen, welchen es bei Frauenkrank-
heiten zu peinlich erscheint, einen männlichen Arzt beraten zu sollen, so
daß sie oft erst Hilfe suchen, wenn es zu spät ist.

Erst wenn die Gesellschaft diese Mission des Frauenstudiums richtig
erkannt hat, wird sich eine gerechtere Beurteilung der Studentinnen vollends
allgemein Bahn brechen. Vorerst müssen sie wohl noch oftmals als Märty-
rerinnen für ihre Ueberzeugung leiden. Wie oft kommt es z. B. noch
vor, daß sie flüstern hören: „Das ist eine Studentin“ und dann sich
so neugierig prüfen und betrachtet fühlen, ob nichts Absonderliches
an ihnen zu finden sei, nicht auch wenigstens kurzgeschnittene Haare oder
ein Herrenhut oder eine Cigarrette.



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Zitationshilfe: Weber, Mathilde: Ein Besuch in Zürich bei den weiblichen Studierenden der Medizin. Stuttgart, 1888, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_besuch_1888/5>, abgerufen am 23.11.2024.