Stunde des Essens vor den Ofen knien lassen. Die- ses erzählte ich meiner Mutter, da ich mit ihr aus- fuhr, und weinte die bittersten Thränen dazu, daß ich unschuldiger Weise so gestraft werden sollte, da ich doch nicht wüßte, wie ich fleißiger und aufmerk- samer sein sollte. Aber Herr Lebrecht, setzte ich hinzu, wäre mir gar nicht mehr gut, er gäbe mir kein freundliches Wort mehr, und behandelte mich wie den gemeinsten Jungen. Nun erzählte ich von allerhand Mißhandlungen, die ich empfangen ha- ben wollte, bat aber die dadurch äußerst gerührte Mutter, es Lebrechten ja nicht vorzuhalten, weil er mich sonst desto ärger tractirte. Sie versprach es, und redete mir daneben zu, Geduld zu haben, bis sie die Sache ändern könnte, welches bald ge- schehen sollte. Dieses Gespräch kam Herrn Lebrecht noch am selbigen Abend durch den Kutscher zu Oh- ren, der es, weil wir in einer offenen Chaise fuh- ren, Wort für Wort gehört hatte; und wie sehr auch der erste gegen die Klätschereien und heimlichen Unterhaltungen mit dieser Art Leuten sein mochte, so konnte er doch nicht anders als Notiz davon nehmen.
Er ließ einige Tage hingehen, während deren ich immer nachläßiger und verstockter ward, und da dies ohngefähr den vierten Tag nach der Spatzier-
fahrt
K 4
Stunde des Eſſens vor den Ofen knien laſſen. Die- ſes erzaͤhlte ich meiner Mutter, da ich mit ihr aus- fuhr, und weinte die bitterſten Thraͤnen dazu, daß ich unſchuldiger Weiſe ſo geſtraft werden ſollte, da ich doch nicht wuͤßte, wie ich fleißiger und aufmerk- ſamer ſein ſollte. Aber Herr Lebrecht, ſetzte ich hinzu, waͤre mir gar nicht mehr gut, er gaͤbe mir kein freundliches Wort mehr, und behandelte mich wie den gemeinſten Jungen. Nun erzaͤhlte ich von allerhand Mißhandlungen, die ich empfangen ha- ben wollte, bat aber die dadurch aͤußerſt geruͤhrte Mutter, es Lebrechten ja nicht vorzuhalten, weil er mich ſonſt deſto aͤrger tractirte. Sie verſprach es, und redete mir daneben zu, Geduld zu haben, bis ſie die Sache aͤndern koͤnnte, welches bald ge- ſchehen ſollte. Dieſes Geſpraͤch kam Herrn Lebrecht noch am ſelbigen Abend durch den Kutſcher zu Oh- ren, der es, weil wir in einer offenen Chaiſe fuh- ren, Wort fuͤr Wort gehoͤrt hatte; und wie ſehr auch der erſte gegen die Klaͤtſchereien und heimlichen Unterhaltungen mit dieſer Art Leuten ſein mochte, ſo konnte er doch nicht anders als Notiz davon nehmen.
Er ließ einige Tage hingehen, waͤhrend deren ich immer nachlaͤßiger und verſtockter ward, und da dies ohngefaͤhr den vierten Tag nach der Spatzier-
fahrt
K 4
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0155"n="151"/>
Stunde des Eſſens vor den Ofen knien laſſen. Die-<lb/>ſes erzaͤhlte ich meiner Mutter, da ich mit ihr aus-<lb/>
fuhr, und weinte die bitterſten Thraͤnen dazu, daß<lb/>
ich unſchuldiger Weiſe ſo geſtraft werden ſollte, da<lb/>
ich doch nicht wuͤßte, wie ich fleißiger und aufmerk-<lb/>ſamer ſein ſollte. Aber Herr Lebrecht, ſetzte ich<lb/>
hinzu, waͤre mir gar nicht mehr gut, er gaͤbe mir<lb/>
kein freundliches Wort mehr, und behandelte mich<lb/>
wie den gemeinſten Jungen. Nun erzaͤhlte ich von<lb/>
allerhand Mißhandlungen, die ich empfangen ha-<lb/>
ben wollte, bat aber die dadurch aͤußerſt geruͤhrte<lb/>
Mutter, es Lebrechten ja nicht vorzuhalten, weil<lb/>
er mich ſonſt deſto aͤrger tractirte. Sie verſprach<lb/>
es, und redete mir daneben zu, Geduld zu haben,<lb/>
bis ſie die Sache aͤndern koͤnnte, welches bald ge-<lb/>ſchehen ſollte. Dieſes Geſpraͤch kam Herrn Lebrecht<lb/>
noch am ſelbigen Abend durch den Kutſcher zu Oh-<lb/>
ren, der es, weil wir in einer offenen Chaiſe fuh-<lb/>
ren, Wort fuͤr Wort gehoͤrt hatte; und wie ſehr<lb/>
auch der erſte gegen die Klaͤtſchereien und heimlichen<lb/>
Unterhaltungen mit dieſer Art Leuten ſein mochte,<lb/>ſo konnte er doch nicht anders als Notiz davon<lb/>
nehmen.</p><lb/><p>Er ließ einige Tage hingehen, waͤhrend deren<lb/>
ich immer nachlaͤßiger und verſtockter ward, und<lb/>
da dies ohngefaͤhr den vierten Tag nach der Spatzier-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">fahrt</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[151/0155]
Stunde des Eſſens vor den Ofen knien laſſen. Die-
ſes erzaͤhlte ich meiner Mutter, da ich mit ihr aus-
fuhr, und weinte die bitterſten Thraͤnen dazu, daß
ich unſchuldiger Weiſe ſo geſtraft werden ſollte, da
ich doch nicht wuͤßte, wie ich fleißiger und aufmerk-
ſamer ſein ſollte. Aber Herr Lebrecht, ſetzte ich
hinzu, waͤre mir gar nicht mehr gut, er gaͤbe mir
kein freundliches Wort mehr, und behandelte mich
wie den gemeinſten Jungen. Nun erzaͤhlte ich von
allerhand Mißhandlungen, die ich empfangen ha-
ben wollte, bat aber die dadurch aͤußerſt geruͤhrte
Mutter, es Lebrechten ja nicht vorzuhalten, weil
er mich ſonſt deſto aͤrger tractirte. Sie verſprach
es, und redete mir daneben zu, Geduld zu haben,
bis ſie die Sache aͤndern koͤnnte, welches bald ge-
ſchehen ſollte. Dieſes Geſpraͤch kam Herrn Lebrecht
noch am ſelbigen Abend durch den Kutſcher zu Oh-
ren, der es, weil wir in einer offenen Chaiſe fuh-
ren, Wort fuͤr Wort gehoͤrt hatte; und wie ſehr
auch der erſte gegen die Klaͤtſchereien und heimlichen
Unterhaltungen mit dieſer Art Leuten ſein mochte,
ſo konnte er doch nicht anders als Notiz davon
nehmen.
Er ließ einige Tage hingehen, waͤhrend deren
ich immer nachlaͤßiger und verſtockter ward, und
da dies ohngefaͤhr den vierten Tag nach der Spatzier-
fahrt
K 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/155>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.