Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

lich vernachläßigte, oder gar ihr Verdruß machte;
so ward ihr von allen übel begegnet.

Diese meine Schwester verdiente es würklich,
von Leuten unsers Gelichters verfolgt zu werden,
da sie so einfältig gut und sanft war, nie etwas bö-
ses that, sich durch Fleiß, Ordnung und Gehor-
sam bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge-
sälligkeit bei mir, und durch Duldsamkeit alles
dessen, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die
Liebe fremder Personen zuzog, und so uns still-
schweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei-
den, wozu wir sie immer mehr verurtheilten, be-
wog endlich, wie es meine Leser weiterhin erfahren
werden, einen Freund meines seligen Vaters, sich
ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch
außer dem mütterlichen Hause ein besseres Schick-
sal zu verschaffen. Da ich mich bei meinen Lesern
beliebt zu machen suche, wollte ich, durch die vor-
läufige Ankündigung von Madelons Befreiung,
ihr präsumirtes Mitleiden mit dem Zustand dieses
Mädchens etwas erleichtern.

Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich-
lers, und mit dem festen Vorsatz, sie mit gehöri-
ger Aufmerksamkeit in Uebung zu setzen, in unser
Haus kam, befaßte sich so wenig als andre mit dem
Schutz für meine Schwester, er gab vielmehr mei-

ner

lich vernachlaͤßigte, oder gar ihr Verdruß machte;
ſo ward ihr von allen uͤbel begegnet.

Dieſe meine Schweſter verdiente es wuͤrklich,
von Leuten unſers Gelichters verfolgt zu werden,
da ſie ſo einfaͤltig gut und ſanft war, nie etwas boͤ-
ſes that, ſich durch Fleiß, Ordnung und Gehor-
ſam bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge-
ſaͤlligkeit bei mir, und durch Duldſamkeit alles
deſſen, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die
Liebe fremder Perſonen zuzog, und ſo uns ſtill-
ſchweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei-
den, wozu wir ſie immer mehr verurtheilten, be-
wog endlich, wie es meine Leſer weiterhin erfahren
werden, einen Freund meines ſeligen Vaters, ſich
ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch
außer dem muͤtterlichen Hauſe ein beſſeres Schick-
ſal zu verſchaffen. Da ich mich bei meinen Leſern
beliebt zu machen ſuche, wollte ich, durch die vor-
laͤufige Ankuͤndigung von Madelons Befreiung,
ihr praͤſumirtes Mitleiden mit dem Zuſtand dieſes
Maͤdchens etwas erleichtern.

Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich-
lers, und mit dem feſten Vorſatz, ſie mit gehoͤri-
ger Aufmerkſamkeit in Uebung zu ſetzen, in unſer
Haus kam, befaßte ſich ſo wenig als andre mit dem
Schutz fuͤr meine Schweſter, er gab vielmehr mei-

ner
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0102" n="98"/>
lich vernachla&#x0364;ßigte, oder gar ihr Verdruß machte;<lb/>
&#x017F;o ward ihr von allen u&#x0364;bel begegnet.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e meine Schwe&#x017F;ter verdiente es wu&#x0364;rklich,<lb/>
von Leuten un&#x017F;ers Gelichters verfolgt zu werden,<lb/>
da &#x017F;ie &#x017F;o einfa&#x0364;ltig gut und &#x017F;anft war, nie etwas bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;es that, &#x017F;ich durch Fleiß, Ordnung und Gehor-<lb/>
&#x017F;am bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;lligkeit bei mir, und durch Duld&#x017F;amkeit alles<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die<lb/>
Liebe fremder Per&#x017F;onen zuzog, und &#x017F;o uns &#x017F;till-<lb/>
&#x017F;chweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei-<lb/>
den, wozu wir &#x017F;ie immer mehr verurtheilten, be-<lb/>
wog endlich, wie es meine Le&#x017F;er weiterhin erfahren<lb/>
werden, einen Freund meines &#x017F;eligen Vaters, &#x017F;ich<lb/>
ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch<lb/>
außer dem mu&#x0364;tterlichen Hau&#x017F;e ein be&#x017F;&#x017F;eres Schick-<lb/>
&#x017F;al zu ver&#x017F;chaffen. Da ich mich bei meinen Le&#x017F;ern<lb/>
beliebt zu machen &#x017F;uche, wollte ich, durch die vor-<lb/>
la&#x0364;ufige Anku&#x0364;ndigung von Madelons Befreiung,<lb/>
ihr pra&#x0364;&#x017F;umirtes Mitleiden mit dem Zu&#x017F;tand die&#x017F;es<lb/>
Ma&#x0364;dchens etwas erleichtern.</p><lb/>
        <p>Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich-<lb/>
lers, und mit dem fe&#x017F;ten Vor&#x017F;atz, &#x017F;ie mit geho&#x0364;ri-<lb/>
ger Aufmerk&#x017F;amkeit in Uebung zu &#x017F;etzen, in un&#x017F;er<lb/>
Haus kam, befaßte &#x017F;ich &#x017F;o wenig als andre mit dem<lb/>
Schutz fu&#x0364;r meine Schwe&#x017F;ter, er gab vielmehr mei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ner</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0102] lich vernachlaͤßigte, oder gar ihr Verdruß machte; ſo ward ihr von allen uͤbel begegnet. Dieſe meine Schweſter verdiente es wuͤrklich, von Leuten unſers Gelichters verfolgt zu werden, da ſie ſo einfaͤltig gut und ſanft war, nie etwas boͤ- ſes that, ſich durch Fleiß, Ordnung und Gehor- ſam bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge- ſaͤlligkeit bei mir, und durch Duldſamkeit alles deſſen, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die Liebe fremder Perſonen zuzog, und ſo uns ſtill- ſchweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei- den, wozu wir ſie immer mehr verurtheilten, be- wog endlich, wie es meine Leſer weiterhin erfahren werden, einen Freund meines ſeligen Vaters, ſich ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch außer dem muͤtterlichen Hauſe ein beſſeres Schick- ſal zu verſchaffen. Da ich mich bei meinen Leſern beliebt zu machen ſuche, wollte ich, durch die vor- laͤufige Ankuͤndigung von Madelons Befreiung, ihr praͤſumirtes Mitleiden mit dem Zuſtand dieſes Maͤdchens etwas erleichtern. Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich- lers, und mit dem feſten Vorſatz, ſie mit gehoͤri- ger Aufmerkſamkeit in Uebung zu ſetzen, in unſer Haus kam, befaßte ſich ſo wenig als andre mit dem Schutz fuͤr meine Schweſter, er gab vielmehr mei- ner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/102
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/102>, abgerufen am 22.11.2024.