Jn dieser Verfassung ward die Neigung, sich an Sophien und Albrechten zu rächen so groß, daß sie Tag und Nacht auf ein Mittel dazu studierte, und der Zufall war so sehr auf ihrer Seite, ihr dazu zu verhelfen.
Albrecht hatte eine Geschäftsreise zu thun und mußte seine junge Frau sechs Wochen allein lassen; während dieser Zeit kam ein Verwandter Sophiens, mit dem sie erzogen war, und den sie schwesterlich liebte, nach einer Abwesenheit von zehn Jahren zu- rück. Es ist nichts natürlicher, als daß Personen, welche sich noch meist als Kinder verließen, und in den Jünglingsjahren verschönert wiederfinden, eine Regung in sich verspüren, die der Liebe ganz ähnlich ist. Sophie soll, wie ihre Freunde mein- ten, viel zu tugendhaft gewesen sein, um eine solche Neigung nicht zu unterdrücken, wenn sie gefühlt hätte, daß sie zur strafbaren Leidenschaft werden könnte.
Was mich betrift, so würde ich sie wegen dieses angethanen Zwanges eine Thörinn gescholten haben, denn meines Dafürhaltens, welches auch die Meinung mehrerer Leute meines Schlags ist, kann man wohl allenfalls, wenns sein muß, von Kampf mit den Leidenschaften und von dem gewis- sen Sieg der Tugend sprechen helfen, aber in der
That
Jn dieſer Verfaſſung ward die Neigung, ſich an Sophien und Albrechten zu raͤchen ſo groß, daß ſie Tag und Nacht auf ein Mittel dazu ſtudierte, und der Zufall war ſo ſehr auf ihrer Seite, ihr dazu zu verhelfen.
Albrecht hatte eine Geſchaͤftsreiſe zu thun und mußte ſeine junge Frau ſechs Wochen allein laſſen; waͤhrend dieſer Zeit kam ein Verwandter Sophiens, mit dem ſie erzogen war, und den ſie ſchweſterlich liebte, nach einer Abweſenheit von zehn Jahren zu- ruͤck. Es iſt nichts natuͤrlicher, als daß Perſonen, welche ſich noch meiſt als Kinder verließen, und in den Juͤnglingsjahren verſchoͤnert wiederfinden, eine Regung in ſich verſpuͤren, die der Liebe ganz aͤhnlich iſt. Sophie ſoll, wie ihre Freunde mein- ten, viel zu tugendhaft geweſen ſein, um eine ſolche Neigung nicht zu unterdruͤcken, wenn ſie gefuͤhlt haͤtte, daß ſie zur ſtrafbaren Leidenſchaft werden koͤnnte.
Was mich betrift, ſo wuͤrde ich ſie wegen dieſes angethanen Zwanges eine Thoͤrinn geſcholten haben, denn meines Dafuͤrhaltens, welches auch die Meinung mehrerer Leute meines Schlags iſt, kann man wohl allenfalls, wenns ſein muß, von Kampf mit den Leidenſchaften und von dem gewiſ- ſen Sieg der Tugend ſprechen helfen, aber in der
That
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Jn dieſer Verfaſſung ward die Neigung, ſich
an Sophien und Albrechten zu raͤchen ſo groß, daß
ſie Tag und Nacht auf ein Mittel dazu ſtudierte,
und der Zufall war ſo ſehr auf ihrer Seite, ihr
dazu zu verhelfen.
Albrecht hatte eine Geſchaͤftsreiſe zu thun und
mußte ſeine junge Frau ſechs Wochen allein laſſen;
waͤhrend dieſer Zeit kam ein Verwandter Sophiens,
mit dem ſie erzogen war, und den ſie ſchweſterlich
liebte, nach einer Abweſenheit von zehn Jahren zu-
ruͤck. Es iſt nichts natuͤrlicher, als daß Perſonen,
welche ſich noch meiſt als Kinder verließen, und
in den Juͤnglingsjahren verſchoͤnert wiederfinden,
eine Regung in ſich verſpuͤren, die der Liebe ganz
aͤhnlich iſt. Sophie ſoll, wie ihre Freunde mein-
ten, viel zu tugendhaft geweſen ſein, um eine ſolche
Neigung nicht zu unterdruͤcken, wenn ſie gefuͤhlt
haͤtte, daß ſie zur ſtrafbaren Leidenſchaft werden
koͤnnte.
Was mich betrift, ſo wuͤrde ich ſie wegen
dieſes angethanen Zwanges eine Thoͤrinn geſcholten
haben, denn meines Dafuͤrhaltens, welches auch
die Meinung mehrerer Leute meines Schlags iſt,
kann man wohl allenfalls, wenns ſein muß, von
Kampf mit den Leidenſchaften und von dem gewiſ-
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 1. Gera, 1800, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800/346>, abgerufen am 23.11.2024.
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