Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

bracht, brach auch die Bögen in einer längst abgekommenen Weise, nach welcher der Rand genau neun Zehntheil der ganzen Bogenbreite einnehmen mußte, legte zu des Auctionars Verdruß Tabacksdose und Schnupftuch immer neben sich auf den Tisch und brauchte mehr Streusand, als hundert Schreiber heutigen Tags, so daß, wo er vom Schreiben aufstand, allemal genug Vorrath nachblieb, um bei Glatteis eine ganze Straße von der Länge Hedeper's damit zu bestreuen. Auch der Auctionar hatte seine Angewohnheiten, wohin unter Anderem das Sauersehen nach jedem Trunk gehörte, nicht minder das übermäßige Aufziehen der Brauen, so oft er durch seine goldene Brille sich die Umstehenden ansah, und in letzter Reihe das Räuspern vor jeder amtlichen Aeußerung, zu der er den Mund aufthat. Aber diese nämlichen Angewohnheiten hatte sein Vorgänger gehabt. Sie wurden lange mühsam nachgeahmt, endlich glücklich erlernt und als wesentliches Auctionatszubehör im Amte vererbt. Der Vorgesetzte bemerkte deßhalb nur die verdrießlichen Angewohnheiten des alten Schreibers, von denen dieser seinerseits nie und nimmer zu lassen für die Hauptaufgabe seines Lebens und für das einzige ihm verbliebene Selbstständigkeitsmerkmal zu halten schien.

Punkt zehn Uhr erhob sich der Auctionar, sah ein paar Mal mit hoch gehobenen Brauen durch die goldene Brille umher räusperte sich, stieß drei, vier Mal an, schob des Schreibers Schnupftuch mit dem Mahagonihammer vom Tisch herab, lächelte mit, als die Nächst-

bracht, brach auch die Bögen in einer längst abgekommenen Weise, nach welcher der Rand genau neun Zehntheil der ganzen Bogenbreite einnehmen mußte, legte zu des Auctionars Verdruß Tabacksdose und Schnupftuch immer neben sich auf den Tisch und brauchte mehr Streusand, als hundert Schreiber heutigen Tags, so daß, wo er vom Schreiben aufstand, allemal genug Vorrath nachblieb, um bei Glatteis eine ganze Straße von der Länge Hedeper's damit zu bestreuen. Auch der Auctionar hatte seine Angewohnheiten, wohin unter Anderem das Sauersehen nach jedem Trunk gehörte, nicht minder das übermäßige Aufziehen der Brauen, so oft er durch seine goldene Brille sich die Umstehenden ansah, und in letzter Reihe das Räuspern vor jeder amtlichen Aeußerung, zu der er den Mund aufthat. Aber diese nämlichen Angewohnheiten hatte sein Vorgänger gehabt. Sie wurden lange mühsam nachgeahmt, endlich glücklich erlernt und als wesentliches Auctionatszubehör im Amte vererbt. Der Vorgesetzte bemerkte deßhalb nur die verdrießlichen Angewohnheiten des alten Schreibers, von denen dieser seinerseits nie und nimmer zu lassen für die Hauptaufgabe seines Lebens und für das einzige ihm verbliebene Selbstständigkeitsmerkmal zu halten schien.

Punkt zehn Uhr erhob sich der Auctionar, sah ein paar Mal mit hoch gehobenen Brauen durch die goldene Brille umher räusperte sich, stieß drei, vier Mal an, schob des Schreibers Schnupftuch mit dem Mahagonihammer vom Tisch herab, lächelte mit, als die Nächst-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="7">
        <p><pb facs="#f0073"/>
bracht, brach auch die Bögen in      einer längst abgekommenen Weise, nach welcher der Rand genau neun Zehntheil der ganzen      Bogenbreite einnehmen mußte, legte zu des Auctionars Verdruß Tabacksdose und Schnupftuch immer      neben sich auf den Tisch und brauchte mehr Streusand, als hundert Schreiber heutigen Tags, so      daß, wo er vom Schreiben aufstand, allemal genug Vorrath nachblieb, um bei Glatteis eine ganze      Straße von der Länge Hedeper's damit zu bestreuen. Auch der Auctionar hatte seine      Angewohnheiten, wohin unter Anderem das Sauersehen nach jedem Trunk gehörte, nicht minder das      übermäßige Aufziehen der Brauen, so oft er durch seine goldene Brille sich die Umstehenden      ansah, und in letzter Reihe das Räuspern vor jeder amtlichen Aeußerung, zu der er den Mund      aufthat. Aber diese nämlichen Angewohnheiten hatte sein Vorgänger gehabt. Sie wurden lange      mühsam nachgeahmt, endlich glücklich erlernt und als wesentliches Auctionatszubehör im Amte      vererbt. Der Vorgesetzte bemerkte deßhalb nur die verdrießlichen Angewohnheiten des alten      Schreibers, von denen dieser seinerseits nie und nimmer zu lassen für die Hauptaufgabe seines      Lebens und für das einzige ihm verbliebene Selbstständigkeitsmerkmal zu halten schien.</p><lb/>
        <p>Punkt zehn Uhr erhob sich der Auctionar, sah ein paar Mal mit hoch gehobenen Brauen durch die      goldene Brille umher räusperte sich, stieß drei, vier Mal an, schob des Schreibers Schnupftuch      mit dem Mahagonihammer vom Tisch herab, lächelte mit, als die Nächst-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0073] bracht, brach auch die Bögen in einer längst abgekommenen Weise, nach welcher der Rand genau neun Zehntheil der ganzen Bogenbreite einnehmen mußte, legte zu des Auctionars Verdruß Tabacksdose und Schnupftuch immer neben sich auf den Tisch und brauchte mehr Streusand, als hundert Schreiber heutigen Tags, so daß, wo er vom Schreiben aufstand, allemal genug Vorrath nachblieb, um bei Glatteis eine ganze Straße von der Länge Hedeper's damit zu bestreuen. Auch der Auctionar hatte seine Angewohnheiten, wohin unter Anderem das Sauersehen nach jedem Trunk gehörte, nicht minder das übermäßige Aufziehen der Brauen, so oft er durch seine goldene Brille sich die Umstehenden ansah, und in letzter Reihe das Räuspern vor jeder amtlichen Aeußerung, zu der er den Mund aufthat. Aber diese nämlichen Angewohnheiten hatte sein Vorgänger gehabt. Sie wurden lange mühsam nachgeahmt, endlich glücklich erlernt und als wesentliches Auctionatszubehör im Amte vererbt. Der Vorgesetzte bemerkte deßhalb nur die verdrießlichen Angewohnheiten des alten Schreibers, von denen dieser seinerseits nie und nimmer zu lassen für die Hauptaufgabe seines Lebens und für das einzige ihm verbliebene Selbstständigkeitsmerkmal zu halten schien. Punkt zehn Uhr erhob sich der Auctionar, sah ein paar Mal mit hoch gehobenen Brauen durch die goldene Brille umher räusperte sich, stieß drei, vier Mal an, schob des Schreibers Schnupftuch mit dem Mahagonihammer vom Tisch herab, lächelte mit, als die Nächst-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/73
Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/73>, abgerufen am 23.11.2024.