Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gedanken zu, um ihm dafür die Ambrosia und den Nektar des Traumlebens zu entführen. Eine Weile darauf schallte das Kuhhorn der kleinen Ochsenhüterin, die übrigens auch die Hut der Milchkühe für ein Neujahrsgeschenk mit besorgte. Der Küster hatte sie manchen Sommer lang aus dem Schallloch beobachtet. Sie wuchs nicht mehr, war, wie man in Hedeper sagte, stehen geblieben, mochte Jedem gern eins nachrufen und zählte zu den ausrangirten Töchtern des Orts, die wohl noch manches Enkelkind dereinst beim Ochsenhüten sehen werden. Ihr Hund hatte sich's in den Kopf gesetzt, auch nicht mehr wachsen zu wollen, und vor seinen kurzen Beinen, und seiner heiseren Stimme hatte kaum das jüngste Kalb Respect. Der Küster setzte wiederholt die Clarinette an den Mund, aber immer störte ihn noch das ferne Knallen, das verklingende Kuhhorn, das Brüllen der Kühe. Er nahm das Mundstück von Neuem aus den Lippen und blickte nach dem fern im Wiesendampf liegenden Meierhof hinüber, wo ihm über die erste Mutter der Menschen eine so eigenthümliche Bibelauslegung geworden war. Er ließ, was er von dem andern Geschlecht kannte, an seinem innern Blick vorüberziehen und verweilte gern bei dem Gedanken an die kugelrunde Schwägerin, die ihn nicht mehr verachten werde, wenn sich sein Schicksal heute erfüllen sollte; denn heute war der Versteigerungstag. Das hingeworfene Wort des Bruders hatte Früchte getragen. Der Küster ward, wenn Alles gedanken zu, um ihm dafür die Ambrosia und den Nektar des Traumlebens zu entführen. Eine Weile darauf schallte das Kuhhorn der kleinen Ochsenhüterin, die übrigens auch die Hut der Milchkühe für ein Neujahrsgeschenk mit besorgte. Der Küster hatte sie manchen Sommer lang aus dem Schallloch beobachtet. Sie wuchs nicht mehr, war, wie man in Hedeper sagte, stehen geblieben, mochte Jedem gern eins nachrufen und zählte zu den ausrangirten Töchtern des Orts, die wohl noch manches Enkelkind dereinst beim Ochsenhüten sehen werden. Ihr Hund hatte sich's in den Kopf gesetzt, auch nicht mehr wachsen zu wollen, und vor seinen kurzen Beinen, und seiner heiseren Stimme hatte kaum das jüngste Kalb Respect. Der Küster setzte wiederholt die Clarinette an den Mund, aber immer störte ihn noch das ferne Knallen, das verklingende Kuhhorn, das Brüllen der Kühe. Er nahm das Mundstück von Neuem aus den Lippen und blickte nach dem fern im Wiesendampf liegenden Meierhof hinüber, wo ihm über die erste Mutter der Menschen eine so eigenthümliche Bibelauslegung geworden war. Er ließ, was er von dem andern Geschlecht kannte, an seinem innern Blick vorüberziehen und verweilte gern bei dem Gedanken an die kugelrunde Schwägerin, die ihn nicht mehr verachten werde, wenn sich sein Schicksal heute erfüllen sollte; denn heute war der Versteigerungstag. Das hingeworfene Wort des Bruders hatte Früchte getragen. Der Küster ward, wenn Alles <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0067"/> gedanken zu, um ihm dafür die Ambrosia und den Nektar des Traumlebens zu entführen. Eine Weile darauf schallte das Kuhhorn der kleinen Ochsenhüterin, die übrigens auch die Hut der Milchkühe für ein Neujahrsgeschenk mit besorgte. Der Küster hatte sie manchen Sommer lang aus dem Schallloch beobachtet. Sie wuchs nicht mehr, war, wie man in Hedeper sagte, stehen geblieben, mochte Jedem gern eins nachrufen und zählte zu den ausrangirten Töchtern des Orts, die wohl noch manches Enkelkind dereinst beim Ochsenhüten sehen werden. Ihr Hund hatte sich's in den Kopf gesetzt, auch nicht mehr wachsen zu wollen, und vor seinen kurzen Beinen, und seiner heiseren Stimme hatte kaum das jüngste Kalb Respect.</p><lb/> <p>Der Küster setzte wiederholt die Clarinette an den Mund, aber immer störte ihn noch das ferne Knallen, das verklingende Kuhhorn, das Brüllen der Kühe. Er nahm das Mundstück von Neuem aus den Lippen und blickte nach dem fern im Wiesendampf liegenden Meierhof hinüber, wo ihm über die erste Mutter der Menschen eine so eigenthümliche Bibelauslegung geworden war. Er ließ, was er von dem andern Geschlecht kannte, an seinem innern Blick vorüberziehen und verweilte gern bei dem Gedanken an die kugelrunde Schwägerin, die ihn nicht mehr verachten werde, wenn sich sein Schicksal heute erfüllen sollte; denn heute war der Versteigerungstag. Das hingeworfene Wort des Bruders hatte Früchte getragen. Der Küster ward, wenn Alles<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
gedanken zu, um ihm dafür die Ambrosia und den Nektar des Traumlebens zu entführen. Eine Weile darauf schallte das Kuhhorn der kleinen Ochsenhüterin, die übrigens auch die Hut der Milchkühe für ein Neujahrsgeschenk mit besorgte. Der Küster hatte sie manchen Sommer lang aus dem Schallloch beobachtet. Sie wuchs nicht mehr, war, wie man in Hedeper sagte, stehen geblieben, mochte Jedem gern eins nachrufen und zählte zu den ausrangirten Töchtern des Orts, die wohl noch manches Enkelkind dereinst beim Ochsenhüten sehen werden. Ihr Hund hatte sich's in den Kopf gesetzt, auch nicht mehr wachsen zu wollen, und vor seinen kurzen Beinen, und seiner heiseren Stimme hatte kaum das jüngste Kalb Respect.
Der Küster setzte wiederholt die Clarinette an den Mund, aber immer störte ihn noch das ferne Knallen, das verklingende Kuhhorn, das Brüllen der Kühe. Er nahm das Mundstück von Neuem aus den Lippen und blickte nach dem fern im Wiesendampf liegenden Meierhof hinüber, wo ihm über die erste Mutter der Menschen eine so eigenthümliche Bibelauslegung geworden war. Er ließ, was er von dem andern Geschlecht kannte, an seinem innern Blick vorüberziehen und verweilte gern bei dem Gedanken an die kugelrunde Schwägerin, die ihn nicht mehr verachten werde, wenn sich sein Schicksal heute erfüllen sollte; denn heute war der Versteigerungstag. Das hingeworfene Wort des Bruders hatte Früchte getragen. Der Küster ward, wenn Alles
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