Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Kapitel. Eine Traube, welche zu hoch hängt.

Frau Dorothea, die verwittwete Krugwirthin zu Hedeper, rieb noch mit der Drellschürze den klebrigen Gerstensaft von ihren Fingern, als der Küster schon einen herzhaften Zug gethan hatte. Was zwischen Beiden seit Herrn Florians Eintreten gesprochen worden war, verschweigt der Verfasser der Denkwürdigkeiten, und wir vernehmen nur, daß die blanke Stirne der Frau Dorothee dem Küster noch nie so glänzend erschienen war, wie eben heute. Auch die Bergobzoom-Jacke der Wirthin schien ihm von eigenthümlich silberner Farbe. Ohne sich daran zu erinnern, daß ein Trunk handfester Mumme zu so ungewohnter Stunde sein leicht erregbares Wahrnehmungsvermögen für gesteigerte Eindrücke noch empfänglicher gemacht haben mochte, ließ er die behäbige Erscheinung der Frau Dorothee ihren ganzen Zauber auf sich üben, und mit Verwunderung ertappte er sich auf Vergleichen zwischen ihr und der alten Marga oder einer seiner ledig gebliebenen Schwestern. Wie spitznasig diese letzteren waren, fiel ihm erst jetzt beim Anschauen der stumpfnasigen Hebe ein. Er meinte um eine werthvolle Beobachtung reicher zu sein, als er zu dem Schluß gelangte, eine sehr spitze Nase würde ihm auf die Länge

Zweites Kapitel. Eine Traube, welche zu hoch hängt.

Frau Dorothea, die verwittwete Krugwirthin zu Hedeper, rieb noch mit der Drellschürze den klebrigen Gerstensaft von ihren Fingern, als der Küster schon einen herzhaften Zug gethan hatte. Was zwischen Beiden seit Herrn Florians Eintreten gesprochen worden war, verschweigt der Verfasser der Denkwürdigkeiten, und wir vernehmen nur, daß die blanke Stirne der Frau Dorothee dem Küster noch nie so glänzend erschienen war, wie eben heute. Auch die Bergobzoom-Jacke der Wirthin schien ihm von eigenthümlich silberner Farbe. Ohne sich daran zu erinnern, daß ein Trunk handfester Mumme zu so ungewohnter Stunde sein leicht erregbares Wahrnehmungsvermögen für gesteigerte Eindrücke noch empfänglicher gemacht haben mochte, ließ er die behäbige Erscheinung der Frau Dorothee ihren ganzen Zauber auf sich üben, und mit Verwunderung ertappte er sich auf Vergleichen zwischen ihr und der alten Marga oder einer seiner ledig gebliebenen Schwestern. Wie spitznasig diese letzteren waren, fiel ihm erst jetzt beim Anschauen der stumpfnasigen Hebe ein. Er meinte um eine werthvolle Beobachtung reicher zu sein, als er zu dem Schluß gelangte, eine sehr spitze Nase würde ihm auf die Länge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0019"/>
      <div type="chapter" n="2">
        <head>Zweites Kapitel. Eine Traube, welche zu hoch hängt.</head>
        <p>Frau Dorothea, die verwittwete Krugwirthin zu Hedeper, rieb noch mit der Drellschürze den      klebrigen Gerstensaft von ihren Fingern, als der Küster schon einen herzhaften Zug gethan      hatte. Was zwischen Beiden seit Herrn Florians Eintreten gesprochen worden war, verschweigt der      Verfasser der Denkwürdigkeiten, und wir vernehmen nur, daß die blanke Stirne der Frau Dorothee      dem Küster noch nie so glänzend erschienen war, wie eben heute. Auch die Bergobzoom-Jacke der      Wirthin schien ihm von eigenthümlich silberner Farbe. Ohne sich daran zu erinnern, daß ein      Trunk handfester Mumme zu so ungewohnter Stunde sein leicht erregbares Wahrnehmungsvermögen für      gesteigerte Eindrücke noch empfänglicher gemacht haben mochte, ließ er die behäbige Erscheinung      der Frau Dorothee ihren ganzen Zauber auf sich üben, und mit Verwunderung ertappte er sich auf      Vergleichen zwischen ihr und der alten Marga oder einer seiner ledig gebliebenen Schwestern.      Wie spitznasig diese letzteren waren, fiel ihm erst jetzt beim Anschauen der stumpfnasigen Hebe      ein. Er meinte um eine werthvolle Beobachtung reicher zu sein, als er zu dem Schluß gelangte,      eine sehr spitze Nase würde ihm auf die Länge<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Zweites Kapitel. Eine Traube, welche zu hoch hängt. Frau Dorothea, die verwittwete Krugwirthin zu Hedeper, rieb noch mit der Drellschürze den klebrigen Gerstensaft von ihren Fingern, als der Küster schon einen herzhaften Zug gethan hatte. Was zwischen Beiden seit Herrn Florians Eintreten gesprochen worden war, verschweigt der Verfasser der Denkwürdigkeiten, und wir vernehmen nur, daß die blanke Stirne der Frau Dorothee dem Küster noch nie so glänzend erschienen war, wie eben heute. Auch die Bergobzoom-Jacke der Wirthin schien ihm von eigenthümlich silberner Farbe. Ohne sich daran zu erinnern, daß ein Trunk handfester Mumme zu so ungewohnter Stunde sein leicht erregbares Wahrnehmungsvermögen für gesteigerte Eindrücke noch empfänglicher gemacht haben mochte, ließ er die behäbige Erscheinung der Frau Dorothee ihren ganzen Zauber auf sich üben, und mit Verwunderung ertappte er sich auf Vergleichen zwischen ihr und der alten Marga oder einer seiner ledig gebliebenen Schwestern. Wie spitznasig diese letzteren waren, fiel ihm erst jetzt beim Anschauen der stumpfnasigen Hebe ein. Er meinte um eine werthvolle Beobachtung reicher zu sein, als er zu dem Schluß gelangte, eine sehr spitze Nase würde ihm auf die Länge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/19
Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/19>, abgerufen am 02.05.2024.