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Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896.

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IV. Das mitunter vorkommende aktive Zensus-Wahlrecht
einer ländlichen, oder städtischen Grundbesitzerin für Gemeindewahlen
ist schon deshalb nicht wünschenswert, weil es bei anderen den Appetit
nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht beider Geschlechter reizt,
welches unter allen Parteiprogrammen nur im sozialdemokratischen
gefordert wird. Es ist auch nicht schön, wenn eine reich gewordene
Dirne durch Güterkäufe Patronin von Kirchen und Schulen wird.
V. Wenn A das allgemeine gleiche Wahlrecht der Männer nur
als etwas Opportunes, nicht als ein heiliges Recht betrachtet, so
kann er sich, trotz der sonstigen Unhaltbarkeit seines Standpunktes,
weitergehenden Forderungen enthalten. Wenn B dagegen das all-
gemeine gleiche Wahlrecht
der Männer, oder vollends beider
Geschlechter
, als ein heiliges Recht betrachtet, so ist er sozusagen
verloren; ähnlich wie ein am Rande eines Abgrundes, oder einer
Brücke entgleister Bahnzug unaufhaltsam ins Verderben fortrast. Ein
Sozialist, Kommunist, Anarchist könnte dem B höhnisch vorhalten:
"Sie Bourgeois, Sie Halber, Sie Schwachkopf! Was nützt mir das
gleiche Wahlrecht? Jch will Gleichheit des Einkommens, der Genüsse!"
Die letzte Konsequenz wäre die Frauen- und Männergemeinschaft.
Dieselbe kommt bereits, nicht als Jnstitut, wohl aber als Mißbrauch
vor. Herr C verführt z. B. Frau D, das schönste Weib seines
Bekanntenkreises; und Frau E oder Frl. F verführt Herrn G, den
schönsten, überdies verheirateten Mann ihres Bekanntenkreises. Wenn
man an Stelle des Herrn B Frau H oder Frl. J setzt, so bleibt
die Logik dieselbe. Solche und ähnliche Gedankengänge sind längst
von F. J. Stahl, Roscher13) u. a. vertreten worden.
VI. Jn Wirklichkeit kann das Frauenstimmrecht in alten
Kulturstaaten nicht durchdringen. Nehmen wir indes an, es bestehe,
so würden sich z. B. folgende Konsequenzen ergeben. Die heutigen,
harmlosen "Abpaarungen" zwischen Konservativen und Liberalen würden
in London, Paris und anderswo nicht ganz selten durch unsittliche,
nächtliche Abpaarungen zwischen Abgeordneten und Abgeordnetinnen
ersetzt werden. Die Premierminister-Stelle würde plötzlich vakant werden,
weil die Jnhaberin, Frl. A, Herrn B, den Führer der Opposition,
heiratet, mit ihm eine Hochzeitsreise nach Jtalien macht. Jn München
würde eine fanatische, bäuerliche Abgeordnetin vielleicht mit bajuva-
rischen Kraftausdrücken, oder mit einem Messer auf einen liberalen
Kultusminister losgehen. Jm Berliner Reichstage, oder Landtage,
IV. Das mitunter vorkommende aktive Zensus-Wahlrecht
einer ländlichen, oder städtischen Grundbesitzerin für Gemeindewahlen
ist schon deshalb nicht wünschenswert, weil es bei anderen den Appetit
nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht beider Geschlechter reizt,
welches unter allen Parteiprogrammen nur im sozialdemokratischen
gefordert wird. Es ist auch nicht schön, wenn eine reich gewordene
Dirne durch Güterkäufe Patronin von Kirchen und Schulen wird.
V. Wenn A das allgemeine gleiche Wahlrecht der Männer nur
als etwas Opportunes, nicht als ein heiliges Recht betrachtet, so
kann er sich, trotz der sonstigen Unhaltbarkeit seines Standpunktes,
weitergehenden Forderungen enthalten. Wenn B dagegen das all-
gemeine gleiche Wahlrecht
der Männer, oder vollends beider
Geschlechter
, als ein heiliges Recht betrachtet, so ist er sozusagen
verloren; ähnlich wie ein am Rande eines Abgrundes, oder einer
Brücke entgleister Bahnzug unaufhaltsam ins Verderben fortrast. Ein
Sozialist, Kommunist, Anarchist könnte dem B höhnisch vorhalten:
„Sie Bourgeois, Sie Halber, Sie Schwachkopf! Was nützt mir das
gleiche Wahlrecht? Jch will Gleichheit des Einkommens, der Genüsse!“
Die letzte Konsequenz wäre die Frauen- und Männergemeinschaft.
Dieselbe kommt bereits, nicht als Jnstitut, wohl aber als Mißbrauch
vor. Herr C verführt z. B. Frau D, das schönste Weib seines
Bekanntenkreises; und Frau E oder Frl. F verführt Herrn G, den
schönsten, überdies verheirateten Mann ihres Bekanntenkreises. Wenn
man an Stelle des Herrn B Frau H oder Frl. J setzt, so bleibt
die Logik dieselbe. Solche und ähnliche Gedankengänge sind längst
von F. J. Stahl, Roscher13) u. a. vertreten worden.
VI. Jn Wirklichkeit kann das Frauenstimmrecht in alten
Kulturstaaten nicht durchdringen. Nehmen wir indes an, es bestehe,
so würden sich z. B. folgende Konsequenzen ergeben. Die heutigen,
harmlosen „Abpaarungen“ zwischen Konservativen und Liberalen würden
in London, Paris und anderswo nicht ganz selten durch unsittliche,
nächtliche Abpaarungen zwischen Abgeordneten und Abgeordnetinnen
ersetzt werden. Die Premierminister-Stelle würde plötzlich vakant werden,
weil die Jnhaberin, Frl. A, Herrn B, den Führer der Opposition,
heiratet, mit ihm eine Hochzeitsreise nach Jtalien macht. Jn München
würde eine fanatische, bäuerliche Abgeordnetin vielleicht mit bajuva-
rischen Kraftausdrücken, oder mit einem Messer auf einen liberalen
Kultusminister losgehen. Jm Berliner Reichstage, oder Landtage,
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[20/0026] IV. Das mitunter vorkommende aktive Zensus-Wahlrecht einer ländlichen, oder städtischen Grundbesitzerin für Gemeindewahlen ist schon deshalb nicht wünschenswert, weil es bei anderen den Appetit nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht beider Geschlechter reizt, welches unter allen Parteiprogrammen nur im sozialdemokratischen gefordert wird. Es ist auch nicht schön, wenn eine reich gewordene Dirne durch Güterkäufe Patronin von Kirchen und Schulen wird. V. Wenn A das allgemeine gleiche Wahlrecht der Männer nur als etwas Opportunes, nicht als ein heiliges Recht betrachtet, so kann er sich, trotz der sonstigen Unhaltbarkeit seines Standpunktes, weitergehenden Forderungen enthalten. Wenn B dagegen das all- gemeine gleiche Wahlrecht der Männer, oder vollends beider Geschlechter, als ein heiliges Recht betrachtet, so ist er sozusagen verloren; ähnlich wie ein am Rande eines Abgrundes, oder einer Brücke entgleister Bahnzug unaufhaltsam ins Verderben fortrast. Ein Sozialist, Kommunist, Anarchist könnte dem B höhnisch vorhalten: „Sie Bourgeois, Sie Halber, Sie Schwachkopf! Was nützt mir das gleiche Wahlrecht? Jch will Gleichheit des Einkommens, der Genüsse!“ Die letzte Konsequenz wäre die Frauen- und Männergemeinschaft. Dieselbe kommt bereits, nicht als Jnstitut, wohl aber als Mißbrauch vor. Herr C verführt z. B. Frau D, das schönste Weib seines Bekanntenkreises; und Frau E oder Frl. F verführt Herrn G, den schönsten, überdies verheirateten Mann ihres Bekanntenkreises. Wenn man an Stelle des Herrn B Frau H oder Frl. J setzt, so bleibt die Logik dieselbe. Solche und ähnliche Gedankengänge sind längst von F. J. Stahl, Roscher ¹³⁾ u. a. vertreten worden. VI. Jn Wirklichkeit kann das Frauenstimmrecht in alten Kulturstaaten nicht durchdringen. Nehmen wir indes an, es bestehe, so würden sich z. B. folgende Konsequenzen ergeben. Die heutigen, harmlosen „Abpaarungen“ zwischen Konservativen und Liberalen würden in London, Paris und anderswo nicht ganz selten durch unsittliche, nächtliche Abpaarungen zwischen Abgeordneten und Abgeordnetinnen ersetzt werden. Die Premierminister-Stelle würde plötzlich vakant werden, weil die Jnhaberin, Frl. A, Herrn B, den Führer der Opposition, heiratet, mit ihm eine Hochzeitsreise nach Jtalien macht. Jn München würde eine fanatische, bäuerliche Abgeordnetin vielleicht mit bajuva- rischen Kraftausdrücken, oder mit einem Messer auf einen liberalen Kultusminister losgehen. Jm Berliner Reichstage, oder Landtage,  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-09T14:25:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-09T14:25:10Z)

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Zitationshilfe: Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walcker_frauenbewegung_1896/26>, abgerufen am 24.11.2024.