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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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lieblichen Früchte, -- die Vögel in den Lüften, auf
den Zweigen, die Fische im Wasser, selbst die Mük-
ken, die uns umsummen, und die Grillen, die ne-
ben uns singen, und die Winde, die uns schmei-
chelnd die brennenden Lippen kühlen -- und aus
all' dem jene ewige Liebe, jenes ewige Leben und
Glühen, jenes Werden und Seyn, jene Fülle von
Licht, wie ausgesprochen sein Name, der Name des
Höchsten, Unerschaffenen, der Geist des Lebens und
der Liebe -- Phaethon wir sollten allein seyn?

O Theodor! ich fühlt' es, wie sie recht habe,
wie mich hingerissen mein namenloser Schmerz, er-
griff ihre Hand, benezte sie mit meinen Thränen
und rief: vergieb mir, Atalanta. Mich hat mein
Sehnen übermannt, ich glaubte mich ungeliebt!

Das ist kein Mensch, sagte sie, und zog ihre
Hand sanft aus der meinen und stand auf. Jch
folgt' ihr stumm.

Seitdem ist sie mir noch heiliger. Meine Wor-
te meß' ich ab vor ihr, wie vor einem göttlichen
Wesen, zu dem man betet.

Was will noch werden aus all' dem?



lieblichen Fruͤchte, — die Voͤgel in den Luͤften, auf
den Zweigen, die Fiſche im Waſſer, ſelbſt die Muͤk-
ken, die uns umſummen, und die Grillen, die ne-
ben uns ſingen, und die Winde, die uns ſchmei-
chelnd die brennenden Lippen kuͤhlen — und aus
all’ dem jene ewige Liebe, jenes ewige Leben und
Gluͤhen, jenes Werden und Seyn, jene Fuͤlle von
Licht, wie ausgeſprochen ſein Name, der Name des
Hoͤchſten, Unerſchaffenen, der Geiſt des Lebens und
der Liebe — Phaethon wir ſollten allein ſeyn?

O Theodor! ich fuͤhlt’ es, wie ſie recht habe,
wie mich hingeriſſen mein namenloſer Schmerz, er-
griff ihre Hand, benezte ſie mit meinen Thraͤnen
und rief: vergieb mir, Atalanta. Mich hat mein
Sehnen uͤbermannt, ich glaubte mich ungeliebt!

Das iſt kein Menſch, ſagte ſie, und zog ihre
Hand ſanft aus der meinen und ſtand auf. Jch
folgt’ ihr ſtumm.

Seitdem iſt ſie mir noch heiliger. Meine Wor-
te meß’ ich ab vor ihr, wie vor einem goͤttlichen
Weſen, zu dem man betet.

Was will noch werden aus all’ dem?



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[80/0090] lieblichen Fruͤchte, — die Voͤgel in den Luͤften, auf den Zweigen, die Fiſche im Waſſer, ſelbſt die Muͤk- ken, die uns umſummen, und die Grillen, die ne- ben uns ſingen, und die Winde, die uns ſchmei- chelnd die brennenden Lippen kuͤhlen — und aus all’ dem jene ewige Liebe, jenes ewige Leben und Gluͤhen, jenes Werden und Seyn, jene Fuͤlle von Licht, wie ausgeſprochen ſein Name, der Name des Hoͤchſten, Unerſchaffenen, der Geiſt des Lebens und der Liebe — Phaethon wir ſollten allein ſeyn? O Theodor! ich fuͤhlt’ es, wie ſie recht habe, wie mich hingeriſſen mein namenloſer Schmerz, er- griff ihre Hand, benezte ſie mit meinen Thraͤnen und rief: vergieb mir, Atalanta. Mich hat mein Sehnen uͤbermannt, ich glaubte mich ungeliebt! Das iſt kein Menſch, ſagte ſie, und zog ihre Hand ſanft aus der meinen und ſtand auf. Jch folgt’ ihr ſtumm. Seitdem iſt ſie mir noch heiliger. Meine Wor- te meß’ ich ab vor ihr, wie vor einem goͤttlichen Weſen, zu dem man betet. Was will noch werden aus all’ dem?

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/90>, abgerufen am 05.05.2024.