Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.Was die Hand erschafft, wird nur durch sie Wenn's nur etwas zu scheiden, zu zerschneiden, Das ist, wie sie's heißen, ein systematischer Die Wissenschaft ist gar nichts anders, als ein Was die Hand erſchafft, wird nur durch ſie Wenn’s nur etwas zu ſcheiden, zu zerſchneiden, Das iſt, wie ſie’s heißen, ein ſyſtematiſcher Die Wiſſenſchaft iſt gar nichts anders, als ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0047" n="37"/> <p>Was die Hand erſchafft, wird nur durch ſie<lb/> bewegt. Ohne ihre Kraft iſt es tod. Solche Men-<lb/> ſchen lieben das todte Werk mehr, als die lebendi-<lb/> ge, ſchaffende Hand.</p><lb/> <p>Wenn’s nur etwas zu ſcheiden, zu zerſchneiden,<lb/> abzutheilen gibt. Selbſt das Unermeßliche meſſen<lb/> ſie. Wo etwas Ganzes, wo Eine Fuͤlle waltet, da<lb/> kommen ſie mit Faͤchern, Theilen, Geſchlechten,<lb/> Arten und Gattungen. Jhr Thoren! warum zer-<lb/> ſpaltet ihr den Koͤrper? Wißt ihr denn nicht, daß<lb/> der Geiſt, das unſichtbare, geſtaltloſe Weſen, euch<lb/> unter den Haͤnden entwiſcht? Was wollt ihr ma-<lb/> chen mit dem ſeelenloſen Koͤrper, wann ihr ihn ge-<lb/> trennt? Jhr hebt ihn auf, als eine Mumie: denn<lb/> das Todte liebt ihr ja.</p><lb/> <p>Das iſt, wie ſie’s heißen, ein ſyſtematiſcher<lb/> Weg. Aber wer faßt den Grundſatz aller Philoſo-<lb/> phie, den Einzigen und Ewigen, in Worte? Jm<lb/> Leben ſucht ihn und nicht in Buchſtaben, Zeichen<lb/> und Zahlen. O dieſes verfluchte Wiſſen, unſelige<lb/> Geſichte, Fratzen und Blendwerke laͤßt es dem Getaͤuſch-<lb/> ten, wie Banquo’s Koͤnigsſtamm voruͤberſchweben.</p><lb/> <p>Die Wiſſenſchaft iſt gar nichts anders, als ein<lb/> todter Koͤrper. Bringſt du den Geiſt, bringſt du<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0047]
Was die Hand erſchafft, wird nur durch ſie
bewegt. Ohne ihre Kraft iſt es tod. Solche Men-
ſchen lieben das todte Werk mehr, als die lebendi-
ge, ſchaffende Hand.
Wenn’s nur etwas zu ſcheiden, zu zerſchneiden,
abzutheilen gibt. Selbſt das Unermeßliche meſſen
ſie. Wo etwas Ganzes, wo Eine Fuͤlle waltet, da
kommen ſie mit Faͤchern, Theilen, Geſchlechten,
Arten und Gattungen. Jhr Thoren! warum zer-
ſpaltet ihr den Koͤrper? Wißt ihr denn nicht, daß
der Geiſt, das unſichtbare, geſtaltloſe Weſen, euch
unter den Haͤnden entwiſcht? Was wollt ihr ma-
chen mit dem ſeelenloſen Koͤrper, wann ihr ihn ge-
trennt? Jhr hebt ihn auf, als eine Mumie: denn
das Todte liebt ihr ja.
Das iſt, wie ſie’s heißen, ein ſyſtematiſcher
Weg. Aber wer faßt den Grundſatz aller Philoſo-
phie, den Einzigen und Ewigen, in Worte? Jm
Leben ſucht ihn und nicht in Buchſtaben, Zeichen
und Zahlen. O dieſes verfluchte Wiſſen, unſelige
Geſichte, Fratzen und Blendwerke laͤßt es dem Getaͤuſch-
ten, wie Banquo’s Koͤnigsſtamm voruͤberſchweben.
Die Wiſſenſchaft iſt gar nichts anders, als ein
todter Koͤrper. Bringſt du den Geiſt, bringſt du
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |