Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.Phaethon an Theodor. Des Morgens bin ich gern im Freyen. Da schließt Oft überrascht mich mein Johannes -- so heißt Phaethon an Theodor. Des Morgens bin ich gern im Freyen. Da ſchließt Oft uͤberraſcht mich mein Johannes — ſo heißt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0037" n="27"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Phaethon an Theodor.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>es Morgens bin ich gern im Freyen. Da ſchließt<lb/> ſich mein Buſen wieder auf, wie die Blumenglok-<lb/> ken auf der Wieſe: mein ganzes Weſen iſt ſo friſch,<lb/> wie das thaubeſprengte Gras. Jch lieg’ oft ſtun-<lb/> denlang unter meiner Eiche auf dem Huͤgel, und<lb/> hoͤr’ all’ das geſchaͤftig rege Treiben umher mit ei-<lb/> ner wunderbaren Wonne. Ach! und du weißt<lb/> nicht, was ſich da fuͤr Gedanken regen, wenn ich<lb/> hinuͤberſehe auf die vielen ſtillen Doͤrfer. Jch meine,<lb/> ich muͤſſe etwas dort ſuchen, und weiß doch nicht<lb/> was. Dann ergreift mich ein niegefuͤhltes Sehnen,<lb/> hinuͤber draͤngts mich, hinuͤber! und ich ſtrecke meine<lb/> Arme aus, als wollt’ ich eine Braut umfangen,<lb/> und weine hinuͤber in die blauen daͤmmernden Fer-<lb/> nen. Ach! ſie laͤcheln mich ſo lieblich unſchuldig<lb/> an, wie die Wangen eines Kindes.</p><lb/> <p>Oft uͤberraſcht mich mein Johannes — ſo heißt<lb/> jener ſchoͤne Juͤngling, von dem ich dir ſchrieb — und<lb/> ſezt ſich zu mir und trauert mit mir. Jch ſah’s ein<lb/> paarmal ſchon, daß ſein Auge blinkte, wie der Thau<lb/> auf der Blume, und er ſich zur Seite wandte, und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0037]
Phaethon an Theodor.
Des Morgens bin ich gern im Freyen. Da ſchließt
ſich mein Buſen wieder auf, wie die Blumenglok-
ken auf der Wieſe: mein ganzes Weſen iſt ſo friſch,
wie das thaubeſprengte Gras. Jch lieg’ oft ſtun-
denlang unter meiner Eiche auf dem Huͤgel, und
hoͤr’ all’ das geſchaͤftig rege Treiben umher mit ei-
ner wunderbaren Wonne. Ach! und du weißt
nicht, was ſich da fuͤr Gedanken regen, wenn ich
hinuͤberſehe auf die vielen ſtillen Doͤrfer. Jch meine,
ich muͤſſe etwas dort ſuchen, und weiß doch nicht
was. Dann ergreift mich ein niegefuͤhltes Sehnen,
hinuͤber draͤngts mich, hinuͤber! und ich ſtrecke meine
Arme aus, als wollt’ ich eine Braut umfangen,
und weine hinuͤber in die blauen daͤmmernden Fer-
nen. Ach! ſie laͤcheln mich ſo lieblich unſchuldig
an, wie die Wangen eines Kindes.
Oft uͤberraſcht mich mein Johannes — ſo heißt
jener ſchoͤne Juͤngling, von dem ich dir ſchrieb — und
ſezt ſich zu mir und trauert mit mir. Jch ſah’s ein
paarmal ſchon, daß ſein Auge blinkte, wie der Thau
auf der Blume, und er ſich zur Seite wandte, und
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