Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

die Seele stirbt nicht. Die Liebe ist ewig jung und
wandelt ewig unter Blumen.

Ach! aber die Blumen welken, Phaethon!
seufzte Atalanta mit einem unaussprechlichen
Schmerz im Auge.

Ewige Jugend ... du zarter Engel! Die Liebe
kennt kein Alter, wie der warme Sonnenstrahl,
der auch um graue Mauertrümmer quillt. Und
einst, wie die jungen Geister sich lösen aus der al-
ten ehrwürdigen Hülle, und frey sind und dahin
schweben können durch den Aether und zum ersten-
mal als Geister sich küssen ... Atalanta ... ein
Kuß der Geister ... Und wenn sie nichts mehr
hindert, in einander zu fließen, und eine Umarm-
ung wird die Ewigkeit ....

Atalanta blickte in das Wasser und dann hin-
auf zum Mond, als wollte sie ihn bitten, den
Lieben, Sanften, sie hinauf zu nehmen zu seinem
reinen Licht. Dann sagte sie: Phaethon, ach hier
ist's schön, doch dort ..... Die ewige Vollendung
glänzte in ihrem feuchten Auge; ihre Brust hob
sich unter dem Gewande. Mir war, als weinte sie
nun die letzte Thräne, als sey dieser sehnende Blick
der letzte, den sie dem Sterblichen zuwerfe, und sie

9 *

die Seele ſtirbt nicht. Die Liebe iſt ewig jung und
wandelt ewig unter Blumen.

Ach! aber die Blumen welken, Phaethon!
ſeufzte Atalanta mit einem unausſprechlichen
Schmerz im Auge.

Ewige Jugend … du zarter Engel! Die Liebe
kennt kein Alter, wie der warme Sonnenſtrahl,
der auch um graue Mauertruͤmmer quillt. Und
einſt, wie die jungen Geiſter ſich loͤſen aus der al-
ten ehrwuͤrdigen Huͤlle, und frey ſind und dahin
ſchweben koͤnnen durch den Aether und zum erſten-
mal als Geiſter ſich kuͤſſen … Atalanta … ein
Kuß der Geiſter … Und wenn ſie nichts mehr
hindert, in einander zu fließen, und eine Umarm-
ung wird die Ewigkeit ....

Atalanta blickte in das Waſſer und dann hin-
auf zum Mond, als wollte ſie ihn bitten, den
Lieben, Sanften, ſie hinauf zu nehmen zu ſeinem
reinen Licht. Dann ſagte ſie: Phaethon, ach hier
iſt’s ſchoͤn, doch dort ..... Die ewige Vollendung
glaͤnzte in ihrem feuchten Auge; ihre Bruſt hob
ſich unter dem Gewande. Mir war, als weinte ſie
nun die letzte Thraͤne, als ſey dieſer ſehnende Blick
der letzte, den ſie dem Sterblichen zuwerfe, und ſie

9 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0141" n="131"/>
die Seele &#x017F;tirbt nicht. Die Liebe i&#x017F;t ewig jung und<lb/>
wandelt ewig unter Blumen.</p><lb/>
            <p>Ach! aber die Blumen welken, Phaethon!<lb/>
&#x017F;eufzte Atalanta mit einem unaus&#x017F;prechlichen<lb/>
Schmerz im Auge.</p><lb/>
            <p>Ewige Jugend &#x2026; du zarter Engel! Die Liebe<lb/>
kennt kein Alter, wie der warme Sonnen&#x017F;trahl,<lb/>
der auch um graue Mauertru&#x0364;mmer quillt. Und<lb/>
ein&#x017F;t, wie die jungen Gei&#x017F;ter &#x017F;ich lo&#x0364;&#x017F;en aus der al-<lb/>
ten ehrwu&#x0364;rdigen Hu&#x0364;lle, und frey &#x017F;ind und dahin<lb/>
&#x017F;chweben ko&#x0364;nnen durch den Aether und zum er&#x017F;ten-<lb/>
mal als Gei&#x017F;ter &#x017F;ich ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x2026; Atalanta &#x2026; ein<lb/>
Kuß der Gei&#x017F;ter &#x2026; Und wenn &#x017F;ie nichts mehr<lb/>
hindert, in einander zu fließen, und eine Umarm-<lb/>
ung wird die Ewigkeit ....</p><lb/>
            <p>Atalanta blickte in das Wa&#x017F;&#x017F;er und dann hin-<lb/>
auf zum Mond, als wollte &#x017F;ie ihn bitten, den<lb/>
Lieben, Sanften, &#x017F;ie hinauf zu nehmen zu &#x017F;einem<lb/>
reinen Licht. Dann &#x017F;agte &#x017F;ie: Phaethon, ach hier<lb/>
i&#x017F;t&#x2019;s &#x017F;cho&#x0364;n, doch dort ..... Die ewige Vollendung<lb/>
gla&#x0364;nzte in ihrem feuchten Auge; ihre Bru&#x017F;t hob<lb/>
&#x017F;ich unter dem Gewande. Mir war, als weinte &#x017F;ie<lb/>
nun die letzte Thra&#x0364;ne, als &#x017F;ey die&#x017F;er &#x017F;ehnende Blick<lb/>
der letzte, den &#x017F;ie dem Sterblichen zuwerfe, und &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0141] die Seele ſtirbt nicht. Die Liebe iſt ewig jung und wandelt ewig unter Blumen. Ach! aber die Blumen welken, Phaethon! ſeufzte Atalanta mit einem unausſprechlichen Schmerz im Auge. Ewige Jugend … du zarter Engel! Die Liebe kennt kein Alter, wie der warme Sonnenſtrahl, der auch um graue Mauertruͤmmer quillt. Und einſt, wie die jungen Geiſter ſich loͤſen aus der al- ten ehrwuͤrdigen Huͤlle, und frey ſind und dahin ſchweben koͤnnen durch den Aether und zum erſten- mal als Geiſter ſich kuͤſſen … Atalanta … ein Kuß der Geiſter … Und wenn ſie nichts mehr hindert, in einander zu fließen, und eine Umarm- ung wird die Ewigkeit .... Atalanta blickte in das Waſſer und dann hin- auf zum Mond, als wollte ſie ihn bitten, den Lieben, Sanften, ſie hinauf zu nehmen zu ſeinem reinen Licht. Dann ſagte ſie: Phaethon, ach hier iſt’s ſchoͤn, doch dort ..... Die ewige Vollendung glaͤnzte in ihrem feuchten Auge; ihre Bruſt hob ſich unter dem Gewande. Mir war, als weinte ſie nun die letzte Thraͤne, als ſey dieſer ſehnende Blick der letzte, den ſie dem Sterblichen zuwerfe, und ſie 9 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/141
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/141>, abgerufen am 09.05.2024.