[i]hrem Wellenschlage lauschten, und es aus den Was- [s]ern erklang zu uns, den Spätgebor'nen, wie eine ernste, mahnende Stimme -- als wir wandelten durch die langen Hallen, wo schweigend uns're alten Götter standen, und wir uns anblickten, und uns in die Arme sanken, ach! da, wo jeder graue moosbe- wachs'ne Trümmer, wo jedes Säulenstück, wo jeder Grashalm an den finstern Mauerrissen, wo alles, alles zu uns sprach -- da fühlten wir schwellen un- sern Busen; die Ahnung floh und es ward klar vor uns, unser Auge schwamm in Licht und Fülle, und, wie eine göttliche Erscheinung, sah'n wir niederquel- len den Geist der Schönheit, wir fühlten unsern Be- ruf und den Drang in unserem Jnnern und knieten nieder und riefen: dir, heil'ge Kunst, dir weih'n wir unser Leben!
Ach! und nun bin ich längst wieder ferne von dem Lande, und bin so ganz allein! Niemand hab, ich, den ich an meinen Busen schließen könnte, warm und innig, wie ich's möchte, keine Seele! Theodor! Das ist viel!
Und weißt Du, was es ist, das mich allein noch tröstet? Es ist der Geist der Natur, die in ihrer ruhigen Fülle vor mir liegt, wie meine alte, glück- lichere Welt.
[i]hrem Wellenſchlage lauſchten, und es aus den Waſ- [ſ]ern erklang zu uns, den Spaͤtgebor’nen, wie eine ernſte, mahnende Stimme — als wir wandelten durch die langen Hallen, wo ſchweigend unſ’re alten Goͤtter ſtanden, und wir uns anblickten, und uns in die Arme ſanken, ach! da, wo jeder graue moosbe- wachs’ne Truͤmmer, wo jedes Saͤulenſtuͤck, wo jeder Grashalm an den finſtern Mauerriſſen, wo alles, alles zu uns ſprach — da fuͤhlten wir ſchwellen un- ſern Buſen; die Ahnung floh und es ward klar vor uns, unſer Auge ſchwamm in Licht und Fuͤlle, und, wie eine goͤttliche Erſcheinung, ſah’n wir niederquel- len den Geiſt der Schoͤnheit, wir fuͤhlten unſern Be- ruf und den Drang in unſerem Jnnern und knieten nieder und riefen: dir, heil’ge Kunſt, dir weih’n wir unſer Leben!
Ach! und nun bin ich laͤngſt wieder ferne von dem Lande, und bin ſo ganz allein! Niemand hab, ich, den ich an meinen Buſen ſchließen koͤnnte, warm und innig, wie ich’s moͤchte, keine Seele! Theodor! Das iſt viel!
Und weißt Du, was es iſt, das mich allein noch troͤſtet? Es iſt der Geiſt der Natur, die in ihrer ruhigen Fuͤlle vor mir liegt, wie meine alte, gluͤck- lichere Welt.
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[4/0014]
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ſern erklang zu uns, den Spaͤtgebor’nen, wie eine
ernſte, mahnende Stimme — als wir wandelten
durch die langen Hallen, wo ſchweigend unſ’re alten
Goͤtter ſtanden, und wir uns anblickten, und uns in
die Arme ſanken, ach! da, wo jeder graue moosbe-
wachs’ne Truͤmmer, wo jedes Saͤulenſtuͤck, wo jeder
Grashalm an den finſtern Mauerriſſen, wo alles,
alles zu uns ſprach — da fuͤhlten wir ſchwellen un-
ſern Buſen; die Ahnung floh und es ward klar vor
uns, unſer Auge ſchwamm in Licht und Fuͤlle, und,
wie eine goͤttliche Erſcheinung, ſah’n wir niederquel-
len den Geiſt der Schoͤnheit, wir fuͤhlten unſern Be-
ruf und den Drang in unſerem Jnnern und knieten
nieder und riefen: dir, heil’ge Kunſt, dir weih’n wir
unſer Leben!
Ach! und nun bin ich laͤngſt wieder ferne von
dem Lande, und bin ſo ganz allein! Niemand hab,
ich, den ich an meinen Buſen ſchließen koͤnnte, warm
und innig, wie ich’s moͤchte, keine Seele! Theodor!
Das iſt viel!
Und weißt Du, was es iſt, das mich allein
noch troͤſtet? Es iſt der Geiſt der Natur, die in ihrer
ruhigen Fuͤlle vor mir liegt, wie meine alte, gluͤck-
lichere Welt.
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/14>, abgerufen am 16.07.2024.
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